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ZUR EINFÜHRUNG „Tristan"- ein Werk, dessen Wirkung man in Jahrhunderten ablesen lernen muß © Bemerkungen zu „Tristan" Als Richard Wagners „Tristan" 1865 in München nach vielen Leiden und Wirrnis sen uraufgeführt wurde, da ahnte man wohl, daß man die Wirkung dieses Wer kes in Jahrhunderten ablesen lernen muß. Der „Tristan" als musikalisches Seelendra ma ist längst ins Zeitlose der Kunstleistung gerückt. Das heißt, auch unsere Gegen wart, die gelernt hat, der subjektiven Le bensbeichte Wagners mit lebendigen Sinnen und frischer Urteilskraft gegen überzutreten, wird im „Tristan" ein Phäno men ersten Ranges erkennen. Wer die Kühnheit und den Zauber dieser Partitur einmal geschmeckt, wird niemals ganz davon loskommen. „Dank der Musik ist der ,Tristan'", wie ein Berufener wie Ri chard Strauss aus seinem Blickfeld fest stellte, „die allerletzte Conclusion von Schiller und Goethe und die höchste Er füllung einer 2000jährigen Entwicklung des Theaters." Zwischen dem „Lohengrin" und dem nächsten abgeschlossenen Bühnenwerk des Meisters, dem „Tristan", liegt eine Zeitspanne von zehn Jahren. Den „Tri stan" nahm Wagner um die Mitte des Jahres 1857 in Angriff, als „Unterbre chung" und „Erholung" von seiner Arbeit am „Ring des Nibelungen". Das hatte ei nen zweifachen Grund. Einmal wurde es ihm immer mehr zur Gewißheit, daß an eine geschlossene Aufführung des „Rings" vorläufig nicht zu denken war. Dann wol le er durch ein „kleineres" Werk, für das er leichter einen Verleger zu finden hoffte, seinem wie immer geschwächten Geld beutel neue Nahrung zuführen. So ließ er Jung-Siegfried unter der Linde im Stich und warf sich mit voller Gewalt auf den „Tristan"-Mythos, den er bereits früher, parallel zu anderen Stoffen, erwogen und ausgedacht hatte. Dieser Mythos vom Helden Tristan, der für seinen König Mar ke die blonde Isolde aus Irland freien soll te, selbst aber in Liebe zu seiner Herrin entbrannte, war ihm zu jener Zeit beson ders nahe am Herzen. Fühlte er sich doch selbst ein wenig als Tristan, der Isolde- Mathilde Wesendonk, „die seine erste und einzige Liebe war an dem Höhe punkt seines Lebens", in heißer, geistiger Glut begehrte, um ihr schließlich nach langen inneren Kämpfen zu entsagen. Nur aus diesem für Wagner so ungeheu er nachhaltigen Züricher Erlebnis ist die Liebesglut, sind die Fieberschauer der „Tristan"-Musik zu erklären. In einer im Vergleich zu anderen Wagner-Werken geradezu minimalen Zeit wurde der „Tri stan" niedergeschrieben. Entsprechend der gewaltigen inneren Erregung, in der sich der Meister befand, nahmen die Ar beiten raschen Fortgang. Obgleich man es beim Enthusiasten Wagner gewohnt ist, daß er bei jedem neuen Werk in hel le Begeisterung geriet und behauptete, nie sei ihm etwas Besseres gelungen, so hat man doch hier beim „Tristan" den Ein druck: in dem Schaffenden glühte ein Vul kan, der sich Luft um jeden Preis machen mußte. In den Briefen an Mathilde We sendonk brach dieses Zeugungsfieber in oft überschwenglichen Ausdrücken los. Er nannte seinen „Tristan" eine „furchtbare Geschichte", sich selbst einen „Teufels kerl". Und er erklärte, sein „ganzes Leben nur noch an dieser Musik arbeiten" zu können. „O, es wird tief und schön; und die erhabensten Wunder fügen sich so geschmeidig dem Sinn. So etwas habe ich denn doch noch nicht gemacht: aber ich gehe auch ganz in dieser Musik auf; ich will nichts mehr davon hören, wann sie fertig werde ..." Das wahrhaft „Unerhörte" des „Tristan", was die Zeitgenossen erschreckte und die Nachgeborenen beunruhigte, kam für