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Richard Wagner (1864) den, der Wagners Entwicklungsweg ge nau verfolgte, kaum überraschend. Wag ner tritt uns jetzt nicht mehr, wie in seinen Werken von den „Feen" bis zum „Lohen- grin", als Ringender und Suchender ent gegen, sondern als bewußter Verteidiger und Gestalter seiner Kunstanschauungen. Wagner urteilte selbst: „An dieses Werk erlaube ich, die strengsten, aus meinen theoretischen Behauptungen fließenden Anforderungen zu stellen: nicht weil ich es nach meinem System geformt hätte, denn alle Theorie war vollständig von mir vergessen; sondern weil ich hier endlich mit der vollsten Freiheit und mit der gänz lichsten Rücksichtslosigkeit gegen jedes theoretische Bedenken in einer Weise mich bewegte, daß ich während der Aus führung selbst inne ward, wie ich mein System weit überflügelte. Es gibt kein größeres Wohlgefühl als diese vollkom menste Unbedenklichkeit des Künstlers beim Produzieren, die ich bei der Aus führung meines ,Tristan 1 empfand. Sie war mir vielleicht nur dadurch möglich, daß eine vorhergehende Periode der Re flexion mich ungefähr in der gleichen Weise gestärkt hatte, wie einst mein Leh rer durch Erlernung der schwierigsten kon trapunktischen Künste mich gestärkt zu haben behauptete, nämlich nicht für das Fugenschreiben, sondern für das, was man allein durch strenge Übung sich an eignet: Selbständigkeit, Sicherheit!" E. K. Das Vorspiel zum Nachmittag eines Faun ist Claude Debussys berühmtestes Orchesterwerk. Der Erfolg dieser 1892 geschriebenen, von der gleichnamigen Dichtung Stephane Mallarmes (1876) angeregten sinfonischen Dichtung war schon bei der Uraufführung in Paris im Jahre 1 894 sehr groß, ihre Nachwirkung bedeutend. Verfeinerte Leidenschaft, zar teste Gefühlsnuancen, ein glücklicher Na turzustand spiegeln sich in diesem vielfäl tig schillernden, mehr andeutenden als beschreibenden einsätzigen Werk (das ursprünglich ein Flötenkonzert werden sollte), dessen „Programm" Thomas Mann in seinem Roman „Der Zauberberg" mit dichterischem Feingefühl wiedergegeben hat. Er schreibt: „Rücklings lag er auf einer mit bunten Ster- nenblumen besäten, von Sonne beglänz- ten Wiese, einen kleinen Erdhügel unter dem Kopf, das eine Bein etwas hochge zogen, das andere darübergelegt, - wo bei es jedoch Bocksbeine waren, die er kreuzte. Seine Hände fingerten, nur zu seinem eigenen Vergnügen, da die Ein samkeit über der Wiese vollkommen war, an einem kleinen Holzgebläse, das er im Munde hielt, einer Klarinette oder Schal mei, der er friedlich-nasale Töne entlock te, einen nach dem anderen wie sie eben kommen wollten, aber doch in geglück tem Reigen, und so stieg das sorglose Genäsel zum tiefblauen Himmel auf, un ter dem das feine, leicht vom Winde be wegte Blätterwerk einzeln stehender Bir ken und Eschen in der Sonne flimmerte. Doch war sein beschauliches und unver- antwortlich-halbmelodisches Dudeln nicht lange die einzige Stimme der Einsamkeit. Das Summen der Insekten in der sommer heißen Luft über dem Grase, der Sonnen schein selbst, der leichte Wind, das Schwanken der Wipfel, das Glitzern des Blätterwerkes, - der ganze sanft bewegte Claude Debussys berühmtestes Orchesterwerk 0