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sterschaft und Stilsicherheit zeugt unter anderem die erstaunlich kurze Entstehungs zeit vieler seiner bedeutendsten Schöpfun gen. An dem Klavierkonzert arbeitete er mit Unterbrechungen von Anfang Juni bis zum 16. Juli 1910. Gleichwohl sind bis in Regers letzte Wer ke hinein jene „Beeinflussungen" spürbar, von denen er spricht - er ist und bleibt trotz mancher Ausblicke und Vorgriffe auf künf tige Entwicklungen in erster Linie Erbe und Endpunkt der großen klassisch-romanti schen Ara der Musik. Aber darin liegt zu gleich ein besonderer Reiz der Beschäfti gung mit Regers Werken: herauszufinden, in welcher Weise sich der Komponist mit seinen Vorgängern auseinandersetzt, wie er - im vorliegenden Falle - in der dreisätzi- gen Gesamtanlage - in der Binnenstruktur des Verhältnisses von Solopart und Orchester, in der Umdeutung des klassischen Sonatenprinzips den von Beethoven ausgehenden, durch Schumann und Brahms vermittelten Typus des sinfoni schen Konzerts - gleichsam einer Sinfonie mit obligatem Klavier - aufgreift, modifi ziert und mit seiner Sprache und seinem Geist erfüllt. Für die traditionelle, quasi improvisierte Solokadenz hat Reger - auch hierin dem späten Brahms folgend - in seiner Konzep tion des Konzerts keinen Raum. „Sowohl der erste als der letzte Satz sind so ge schlossen, daß eine Kadenz da einfach nicht zu machen ist", schreibt er an Frieda Kwast-Hodapp, „die Pianisten werden also schimpfen, daß da gar nichts drinnen steht, wo man sein Klavierboxertum zeigen kann." Auch in diesem Werk, in dem „al les bis in die äußersten Zweiglein thema tisch durchgebildet ist", ging es Reger darum, alle Stimmen einschließlich der des Solisten weitestgehend an der sinfonischen Entwicklung des thematischen Materials zu beteiligen. Deshalb sind aber die technischen Ansprü che an den Solisten nicht etwa geringer als beispielsweise bei Liszt oder Tschai- kowski. Der Solopart ist dem Zeitstil ge mäß „vollgriffig", dabei stets sehr kla- vieristisch und mit Schwierigkeiten ge spickt, die aber durch die enge Verflech tung mit dem Orchester nicht so auffällig sind - was dazu beiträgt, das Werk dem Virtuosen weniger dankbar erscheinen zu lassen.Je länger man sich damit beschäf tigt, desto mehr bedauert man seine Nicht beachtung durch die Pianisten und ent deckt, daß besonders die beiden ersten Sätze „in der Kraft ihrer Erfindung, der Tie fe des Empfindens wie der Sattheit des Kolorits zum Besten und Eingänglichsten gehören, was Reger geschaffen hat" (Hehemann]. In herausfordernd kämpferischer Gebärde, über bedrohlich anschwellendem Pauken wirbel, türmt sich das - an Brahms' d-moll- Konzert gemahnende - Kopfthema des ersten Satzes (Allegro moderato] macht voll auf, um sogleich in absinkenden gro ßen Intervallen wieder zu erlöschen. Ein zweites Auflodern gerät abermals ins Stok- ken; erst der dritte Aufschwung führt im Orchester zu größerer Entfaltung der ge stauten Energien. Der Vorgang wiederholt sich in abgewandelter Form, verkürzt und dramatisch zugespitzt, mit dem spannungs voll vorbereiteten rhapsodisch freien Ein satz des Solisten. In der nach Zeitmaß und Stimmung kontrastierenden, nokturnoarti- gen Episode des Seitenthemas („molto tranquillo", Des-dur) weicht die leiden schaftlich erregte Auseinandersetzung ei nem verträumten Dialogisieren zwischen Orchester und Klavier. In der Durchführung dominieren die drängenden, konfliktge ladenen Elemente des Hauptthemas, de nen gegenüber sich das Quarten-Motiv des Seitenthemas bald als beschwichtigen der Einwurf, bald in pathetischer Steige rung zu behaupten sucht. Die Reprise mün det in eine Coda, in der-ehe der Satz mit dem Hauptthema und drei schneidenden f-moll-Akkorden schroff abbricht - noch ein Das Klavierkonzert - Entstehung, Struktur, Inhalt