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Sergej Rachmaninow mit seinen Töchtern in Dresden 1924 maninow war vor den Wirren der Okto berrevolution zunächst nach Stockholm und dann in die Vereinigten Staaten übersiedelt, aber er hat (im Gegensatz zu anderen russischen Emigranten wie Vladimir Horowitz, Sergej Kussewitzky, Nathan Milstein oder Igor Strawinsky] nie die amerikanische Staatsbürgerschaft beantragt und ist in seinem Wesen, seinem Status und seiner Musik nach Russe geblieben, wie er es noch 1941 in einem Interview bestätigt hat. „Ich habe mich in meinen Kompositionen nie darum bemüht, originell, romantisch, national oder irgend etwas anderes zu sein. Ich bringe das, was ich in mir höre, so getreu wie möglich zu Papier. Ich bin ein russischer Komponist, und meine Heimat hat mein Temperament und meine Ansschauungen geprägt. Meine Musik ist Ausdruck meines Temperaments, und also ist sie russische Musik." In der Sowjetunion hat man ihm seine Übersiedlung in die Vereinigten Staaten lange nicht verziehen, ihn als Abtrünnigen und Dissidenten verunglimpft und sein kompositorisches Schaffen nach 1917 mit Verachtung gestraft. In Amerika dagegen wurde Rachmaninow zwar mit offenen Armen empfangen, und er feierte als Pianist, Komponist und Dirigent gleich spektakuläre Erfolge, doch die amerikanische Musik hat ihn nie wirklich als „einen der Ihren" betrachtet; seine Podiumsangst, seine strenge Selbstkritik, sein asketisches Auftreten, seine Wortkargheit und sein distanzierter, gewissermaßen „sach licher" Interpretationsstil entsprachen so gar nicht dem Glanz - und Glamourimage des Künstlers, das in Amerika favorisiert wurde. Will man Sergej Rachmaninow und seiner Musik gerecht werden, so muß man zu ihren Ursprüngen zurückkehren - nach Rußland. Seit der Moskauer Uraufführung des ersten Satzes seines Opus 1 - des Klavierkonzerts fis-moll - am 17. März 1892 und der glänzend aufgenommenen Premiere seiner preisge krönten Oper „Aleko" am 27. April 1 893 war Rachmaninow nicht etwa als Traditionalist, sondern als eigenständige, zukunflweisende Komponistenpersönlichkeit begrüßt worden. Vier, fünf Jahre lang verfolgte er seinen Weg als Komponist äußerst geradlinig und schien alle Erwartungen zu bestätigen, die man auf ihn gesetzt hatte. Dann aber fand (am 15. März 1 897) in Petersburg die von Alexander Glasunow dirigierte Uraufführung der ersten, nach Themen der russisch-orthodoxen Liturgie komponierten Sinfonie (d-moll op. 13) Rachmaninows statt, die einen katastrophalen Mißerfolg erlebte; das Werk wurde als „modernistisch, banal, armselig in seiner thematischen Erfindung und krankhaft pervers in seiner Harmonik" radikal abgelehnt. Rachmaninow war über diesen Mißerfolg so enttäuscht, daß er in Depressionen verfiel und mehrere Jahre lang zu jeder schöpferischen Arbeit unfähig war. Im Sommer 1900 konnte er durch die Hypnosebehandlung des Psychiaters Nikolai Dahl diese Krise zwar überwinden, doch sie hatte sein Wesen