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raffiniert adaptierten Broadway-Stil „There's a boat that's leavin' soon for New York" sowie als hymnisch gesteigerter Abschluß das Chorspiritual „Oh Lawd, l'm on my way". Gershwin selbst legte besonderen Wert darauf, daß man „Porgy and Bess" als eine Volksoper ansah. „Als ich an der Musik zu arbeiten begann, entschloß ich mich, kein originales Volksmusikmaterial zu gebrau chen, weil die Musik aus einem Guß sein sollte. Deshalb schrieb ich meine eigenen Spirituals und Volkslieder. Diese sind aber dennoch Volksmusik - und folglich ist ,Por gy and Bess', da auch in der Form opern- haft, eine Volksoper." Gershwin versuchte, in das Drama den Humor, den Aberglau ben, den religiösen Eifer, den Tanz und den unbezähmbaren Lebenswillen der Ne ger einfließen zu lassen. „Porgy and Bess" wurde 1935 in Boston uraufgeführt. 1928 unternahm Gershwin eine Europarei se. Vor allem in Paris hoffte er, seine musika lischen Fertigkeiten zu erweitern, und so er suchte er, allerdings vergeblich, unter ande rem Strawinsky, Prokofjew und Ravel um Unterricht. Sie reagierten, von seiner Musik begeistert, alle ähnlich wie Ravel: „Weshalb wollen Sie ein zweitklassiger Ravel werden, da Sie ein erstklassiger Gershwin sind?" Angeregt durch die Atmosphäre der Welt stadt, konzipierte er das Orchesterstück „Ein Amerikaner in Paris", das im Dezem ber des gleichen Jahres in der New Yorker Carnegie Hall unter der Leitung von Walter Damrosch uraufgeführt wurde. Der Kompo nist bemerkte zu diesem „eigentlich rhapso dischen Ballett", es sei seine „Absicht, die Eindrücke eines amerikanischen Reisenden wiederzugeben, der durch Paris schlendert, der auf den Straßenlärm hört und die fran zösische Atmosphäre in sich aufnimmt". Das einsätzige dreiteilige Stück mit seinen originellen Themen, effektvollen Entwicklun gen und geschickten Klangmontagen ba siert auf den Modellcharakteren von Rag time, Blues und Charleston. Festlich-frohe Eröffnung im Stile französi scher Musik, wobei Debussy zitiert wird. Ein Blues klingt auf, Gefühl der Sehnsucht und des Heimwehs in einer fremden Stadt. In immer neuen Orchesterfarben wird die ser Blues gesteigert. Rückkehr zur Fröhlich keit des Anfangs. Charlestonstimmung. Auch ein paar Boogie-Woogie-Anklänge sind zu hören. Im Finale werden die drei Hauptthemen noch einmal zitiert und mitein ander verbunden: Das französische, der Blues und der Charleston. Der Widerhall, den das Stück fand, war ungewöhnlich spontan, bei den Hörern und auch beim Fachpublikum. Toscanini hat Gershwins Werke immer wieder mit Liebe und Begeisterung dirigiert. Als Film, Ballett oder Orchesterdichtung, der „Ameri kaner in Paris" wurde ein Welterfolg. So ist es geblieben bis zum heutigen Tag. „George Gershwin war einer jener selte nen Musiker, für die Musik nicht ein Produkt mehr oder weniger großer Geschicklichkeit ist. Musik war für ihn die Luft, die er atmet, die Speise, die ihn nährt, der Trank, der ihn erfrischt. Musik war das, was sein Ge fühl erweckte, und Musik war das Gefühl, das er ausdrückte. Unmittelbarkeit dieser Art ist nur großen Männern zu eigen, und es kann kein Zweifel darüber bestehen, daß er ein großer Komponist war. Was er vollbrachte, kam nicht nur der amerikani schen Musik zugute, sondern es war ein Beitrag zur Musik der ganzen Welt." Arnold Schönberg