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erbitterten Sultan Schahriar, der sich geschworen hatte, jede seiner Frauen nach der Brautnacht umzubringen. Dieser Tyrann wird vom Komponisten mit einem düsteren, despotischen Baßthema in unisono vorgestellt. Eine in Triolen dahinfließende, von Harfen akkorden begleitete Melodie der Solovioline symbolisiert sodann die kluge und lieb reizende Scheherazade, der es gelingt, ihr Leben zu retten, indem sie dem Sultan tausendundeine Nacht lang Märchen erzählt und es versteht, dessen Neugierde zu er wecken, so daß die Hinrichtung immer wieder aufgeschoben wird. Durch ihre menschlich ergreifenden Schilderungen vermag es Scheherazade sogar, in dem Tyrannen echte Liebe zu erwecken. Nun soll sie seine Gattin werden. Einzigartig hat Rimski-Korsakow den orienta lischen Märchenzauber in farbenprächtigen, sinnbetörenden Klängen und faszinierenden Rhythmen eingefangen und dem Sieg der Menschlichkeit über das Antihumane bildhaft musikalischen Ausdruck verliehen. Die einzel nen Sätze der sinfonischen Dichtung, die der Exposition, der Einleitung, folgen, schildern vier Märchen aus „Tausendundeine Nacht". Jedem Märchen, das durch eigene Motive und Themen gekennzeichnet wird, ist ein Satz gewidmet. Die Zustimmung oder Ablehnung des Sultans ist an seinem Thema zu erkennen, das entweder „geschmeidig oder schroff" die Erzählungen unterbricht. Im ersten Satz erzählt Scheherazade von den abenteuerlichen Reisen des kühnen See fahrers Sindbad und vom romantischen Meeres rauschen. Mehrfach wird sie von dem unge duldigen Sultan unterbrochen. Doch gelingt es ihr immer wieder, ihn zu beschwichtigen. Zweiter Satz. Die Erzählung vom Prinzen Kalender. Reizend plaudert Scheherazade von diesem Tausendsassa und Spaßvogel, von seinen lustigen Eulenspiegeleien, so daß der Sultan herzlich lachen muß und nicht weiß, was ihm mehr gefällt, der Prinz Kalender (der vom Solofagott und anderen Instrumenten rhythmisch-kapriziös symbolisiert wird) oder die anmutige Erzählerin. Dritter Satz. Scheherazade fesselt den Sul tan mit der Liebesgeschichte vom jungen Prin zen und von der jungen Prinzessin (cha rakterisiert von zwei liedhaften Themen, die zuerst in den Streichern erklingen, dann mannigfaltig abgewandelt und instrumentiert erscheinen). Zunächst ist der Herrscher von der poetischen Geschichte wie verzaubert, doch plötzlich braust er wieder auf. Eine neue Erzählung (Kadenz der Solovioline) besänftigt ihn dann endgültig. Vierter Satz. Die dramatische Erzählung vom rauschenden Fest in Bagdad, vom sturm gepeitschten Meer und dem Schiff, das gegen den Magnetberg treibt und zerschellt. In realistischen Klangbildern erlebt der Hörer das Geschehen: das festliche Volkstreiben in den sonnendurchfluteten Straßen Bagdads, das Unwetter, den Schiffbruch, das allmähliche Nachlassen des Sturmes. Scheherazade hatte den grausamen Sultan bisher interessiert, zum Lachen veranlaßt und milde, träumerisch ge stimmt. Nun aber gewinnt sie sein Herz, hat sie ihm doch gleichnishaft sein eigenes bis heriges Leben vor Augen geführt, das einsam dem Untergang zustrebt. Er ist bezwungen. Mit Scheherazade vereint, will er ein neues Leben beginnen, das nicht mehr von der Grausamkeit, Tyrannei, sondern von der Liebe beherrscht wird. Diese Wandlung schildert der Epilog, in dem die beiden Themen des Sultans Schahriar und Scheherazades (Solovioline) versöhnt miteinander verschmelzen.