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Freitag. Zweite Ausgabe. Abend« 8 Nhr. S. Dcccmber 18SI iO-iPzig. »>« Zntiing «rscheiiU mit «««nahm« »,« «4NNtag» t»,lich zart »«I ->u«q,g«»en in»«tP. ,ig Vormittag« l l Uhr, F»t«u « Uhr: In »««»»«« Uten»« N Uhr, Vormittag« « Uhr. Prrt« für »«« Viertrlj-Hr I'/,Thlr.; jede rinjclnrNum mer l Ngr. Rr. 6 »6 -— DcilWk Allgmknit Zcitung. «Wahrheit und Recht, Freiheit und Beseh!» Zu lxjirhen durch alle Post ämter de« In- und Uutlande«, sowie durch die Erpeditionen in a«ip«ig (Querstraße Nr. U) und DreNdr« (tei L. Höckner, Neustadt, Au der Brücke, Nr. «). gnsertlo»«grdüßr für den Raum einer Zeile U Ngr. Der Staatsstreich in Frankreich. --- Obgleich nach den vorauSgegangenen Ereignissen kaum mehr unerwar tet, hat derselbe doch, wie eS scheint, eine allgemeine Bewegung der Gemm ther, beinahe möchte man sagen Bestürzung auch bei uns hervorgebracht. Zeuge dessen ist die gedrückte Stimmung und das Fallen der Curse an der berliner wie an der hiesigen Börse. *) Es beweist dies, daß man das pariser Ereigniß nicht al- den Abschluß einer Kette von Verwickelungen und als den vielersehnten Ruhepunkt nach der langen unbehaglichen Spannung, sondern als den An fang neuer, unbekannter und unberechenbarer Wendungen der Dinge an sieht, denen man mit der Bangigkeit der Ungewißheit entgegenblickt. Schwer vorauszusehen, ja nur zu muthmaßcn ist allerdings, welche Folgen und welchen AuSgang die That des Präsidenten für ihn selbst und für Frankreich haben werde, weit mehr noch, welche Rückwirkungen diese kommenden Ereignisse möglicherweise auf die allgemeinen europäischen Ver hältnisse, allernächst auf Deutschland äußern könnten. Bei der Dürftigkeit der Nachrichten, welche bisjetzt — lediglich auf telegraphischem Wege — hier her gelangt sind, läßt sich weder über die Pläne des Präsidenten jenseits dieses ersten Schrittes, namentlich über die Mittel, mit denen er die so keck eingenommene Position zu behaupten gedenkt, noch über die Widerstands kräfte, denen er auf diesem Wege begegnen möchte, ein irgendwie sicheres Urtheil fällen. Nur so viel scheint bisjetzt festzustehen, daß der Präsident, entweder weil wirklich ihm selbst ein ähnlicher Streich, eine Anklage, viel leicht sogar Verhaftung, von Seiten der Majorität der Nationalversamm lung drohte, oder auch nur weiser den Moment günstig wähnte, den Bo den der Verfassung verlassen, die von dieser für souverän und unauflöslich erklärte Vertretung der Nation mit Waffengewalt auseinandcrgesprcngt, ihre nach der Verfassung unverletzbaren Mitglieder in großer Anzahl ge- fangengeseht, daß er eine neue Versammlung auf Grund des wiederherge stellten allgemeinen Stimmrechts berufen, gleichzeitig aber sich zum Präsiden ten auf zehn Jahre proclamirt hat. Und alles Dies scheint Paris mit Ruhe, das Militär mit offenen Kundgebungen der Anhänglichkeit an den Präsiden ten ausgenommen zu haben. Aber wird Paris ruhig bleiben? Wird, falls ein Widerstand sich noch zeigte, die Nationalversammlung sich für Ludwig Napoleon oder gegen ihn erklären? Werden die pariser Regimenter auch im letzter» Falle ihm treu bleiben und seine Diktatur sichern? Wird im übrigen Lande das Volk und da- Militär ihm zufallen? Paris, sagt man wol, Paris und ganz Frankreich lassen sich jede Ge walt gefallen, wenn sie ihm nur Ruhe, Fernhaltung der Anarchie, Wieder kehr der Vertrauens durch geordnete Zustände verspricht. Mag sein; aber ist denn dies« usurpirte Gewalt des Präsidenten eine solche, welche die ge wünschten Garantien böte? Die zehmährige Regicrungsgewalt, die der Prä sident sich selbst zugelegt, wäre dieser Partei der Ruhe um jeden Preis schon recht; allein daö allgemeine Stimmrecht, das er mit in den Kauf gibt, und die danach zu wählende Versammlung, welche er in nahe Aussicht stellt, machen für sie dieses Geschenk zu einem sehr zweideutigen. Wird der zehn jährige Consul von eigener Fayon stark genug sein, einer aus dem allge meinen Stimmrechte hervorgegangenen, möglicherweise sehr radikalen Ver sammlung die Spitze zu bieten, wenn diese etwa damit anfängt, alle jene Repressiv- und Coercitivmaßregcln aufzuheben, in denen die Ordnungspartei seit drei Jahren die alleinigen Bürgschaften des Fortbestehens der Gesell schaft, der Beschwörung des „rothen Gespenstes" verehrt hat? Und wenn er es nicht kann, wird sie nicht dann die jetzt auseinandergesprengte Natio nalversammlung mit ihrer so unvergleichlich konservativen, d. h. reaktionären Majorität sehnlich zurückwünschen, gegen den Präsidenten aber, der dieselbe so muthwillig aufgelöste bitter« Groll hegen? Wenn aber der Präsident sich entschließen sollte, die neue Versammlung ebenso der Partei der Ruhe zu opfern, wie er jetzt die konservative Nationalversammlung anscheinend im Interesse der Demokratie auflöst, wird jene Ordnungspartei ihm von Staats streich zu Staatsstreich folgen, uneingedcnk des zuletzt doch ünauSblcib- lichen Rückschlags, der dann sie selbst um so gewisser mit treffen würde? Unsern deutschen Reaktionären wäre eine solche Verblendung zuzutrauen, den französischen, die darin mehr Voraussicht, mehr Erfahrung haben, wol kaum. Die republikanische oder demokratische Partei wird vielleicht, ja sehr wahrscheinlich im Augenblicke nichts gegen den Präsidenten unternehmen, theils weil sie im offenen Kampfe unter den jetzigen Umständen zn unt«v- *) Infolge der neuesten Nachrichten a»S Paris sind di« Curse wieder gestie gen, wie wir bereits heute früh mittheilten. Ueberhaupt war Vorstehendes, wie man leicht sehen wird, vor dem Bekanntwcrdcn des heute früh Berichteten nie- dergcschricben. Auf dieses muffen wir un« deshalb Vorbehalten, noch ausführ licher zurückjukommen. D. Re». liegen fürchtet, theils weil ein günstigeres Terrain ihr durch den Präsiden ten selbst geboten ist: die allgemeinen Wahlen. Dort wird sie denselben er warten ; aber schwerlich wird sie um diesen Preis die zehnjährige Präsident» schafteverlängerung, d. h. die zehnjährige Diktatur, und die in Aussicht ge stellte neue Verfassung mit einer vom Präsidenten zu ernennenden ersten Kammer, einer Wiederaufwärmung der Pairökammer von 1830, sich willig gefallen lassen. Dann wird also der Präsident möglicherweise einer in ih- rer Majorität demokratischen, vielleicht socialistischen Versammlung in ähn licher Lage gegenüberstchen, wie er jetzt einer konservativen gegenüberstand. Er kann dann zum zweiten male thun, was er jetzt gethan; aber wenn ihn nun dann die Bourgeoisie, die Nationalgarde im Stiche ließe und er seine ganze Hoffnung auf die Armee allein sehen müßte? Zwar scheint er das schon jetzt zu thun; allein uni die Armee dauernd für sich zu haben, nm sich auf sie allein gegen den Widerstand der Demokratie und bei einer passiven oder schwankenden Haltung des Bürgerthums mit Sicherheit stützen zu können, wird er ihr mehr bieten müssen als einen bloßen Namen, der, wie strahlend immer, doch bald fick abnutzt, wenn man sieht, daß eS eben nur ein Name ist; er wird den Soldaten und Offizieren bestimmte Aussich ten auf Waffenruhm, Auszeichnung, Avancement eröffnen, er wird also mit einem Worte eine kriegerische oder doch drohende Politik nach außen annch- men müssen. Ob er das wird wollen? ob er es wird können? das ist die Frage. ES gäbe noch einen zweiten Weg für Ludwig Napoleon, um sich zu behaupten und den Widerstand gegen seine Usurpation, namentlich auf Sei ten der Demokratie und der von dieser beherrschten untern Classen zu neu- tralisiren: er müßte sich bemühen, durch eine Politik des Fortschritts und der Reform im Innern die Wünsche und Bedürfnisse des Volks, insbeson dere der untern Classen zu befriedigen; ja er könnte sogar daran denken, seine Stütze, wie Ludwig Philipp in den Mittelklassen, so seinerseits in dem eigentlichen Volke, in der arbeitenden Elaste zu suchen, diese auf Kosten jener zu begünstigen. Bisher freilich hat der Präsident diesen Weg nicht einge schlagen; im ganzen Verlaus der dreijährigen Führung seines Amtes hat er wenig oder nichts gethan, um seinen guten Willen für jenen Theil des Volks zu bethätigen. Während in dem Nachbarstaate Belgien die aus den Mittelklassen selbst hervorgegangene Regierung, von einer socialen Reform zur andern schreitend, die Interessen ihres eigenen Standes nicht schont, hat der Erwählte des Volks, der, wie man sagt, einen großen Theil der auf ihn gefallenen sechs Millionen Stimmen den in seinem Namen gemach ten Versprechungen socialer Verbesserungen und Erleichterungen für die un tern Classen verdankt, sich unthätig, unfruchtbar in Schaffung gemeinnützi ger Einrichtungen und nur fruchtbar im Unterdrücken aller freien Bewegun gen, gehorsam den Winken der reaktionären Mittelklassen bewiesen. Er kann also wenigstens nicht darauf rechnen, Vertrauen und Sympathien beim Volke schon vorzufinden, er müßte Beides erst durch Thaten erwerben. Soviel geht aus dieser Betrachtung der Situation hervor, daß die Lage des Präsidenten nach dem unternommenen Staatsstreiche eine nicht minder schwierige ist als vorher, und daß diese eine That noch keineswegs die Dauer seiner Gewalt und die Erhaltung des Bestehenden, soweit diese durch jene bedingt ist, sichert. Zugleich aber ergibt sich, nach welche» Seiten hin eine Rückwirkung dieses neuesten Ereignisses auf Deutschland möglicherweise zu erwarten steht. Eine neue Revolution gegen die Diktatur Ludwig Napo- leon's — eine nach außen kriegerische Haltung Frankreichs — oder endlich eine fortschreitende, liberale, vielleicht sogar radikale, demokratische und so- cialistische Politik im Innern: das sind die drei Eventualitäten, welche sich zunächst im Hintergründe der kommenden Ereignisse zeigen. Daß die eine wie die andere derselben, wenn sie einträte, auf die Schicksale Deutsch lands höchst bedeutend einwirken müßte, liegt am Tage; eine nähere Erör terung der Modalität dieser muthmaßlichen Rückwirkungen bleibe Vorbehalten. Deutschland. *Bon der Oder, 2. Dec. Wie man auch im übrigen Deutschland über den Inhalt der preußischen Thronrede uctheilen wird, darüber wird überall nur Ein Urtheil der Billigung sein, daß die preußische Regierung angesichts der drohenden Theuerung für die nächste Zukunft bis zur Ernte erklärt, sie werde zu keinem Ausfuhrverbote des Getreides ihre Zuflucht nehmen. Bei der dermaligen so gelockerten Vereinigung zwischen den deutschen Staaten hätte Preußen ebenso gut wie Oesterreich 1847 seine Grenzen für die Ausfuhr der Lebensmittel verschließen können; es hätte dazu in der Thatsache einen plausiblen Grund gefunden, daß die Vorräthe durch die schon jetzt eingelrctcne und immer noch fortdauernde Ausfuhr nach Oester reich, besonders nach Sachsen fürs Frühjahr so vermindert werden würden,