Volltext Seite (XML)
ZUR EINFÜHRUNG Recht qualvoll löste sich Strauss von der Viersätzigkeit der Alpensinfonie, um sie letztendlich zu einem (ganzheitlichen/ Satz zu vereinen © tichrist" jedoch bleibt erhalten, und dies bis in die letzte Kompositionsskizze hin ein, die Strauss am 5. August 1913 in Garmisch beendet: Er ist ein unumgängli cher thematischer Schlüssel zum Verständ nis des Werkes, dem man aus Unkenntnis seiner Entstehungsgeschichte den Verzicht auf traditionelle Naturmystik stets als Un fähigkeit auslegte, Reales zu transzendie ren. Noch 1948 schrieb Strauss an einen jungen Dirigenten: „Viel Vergnügen zur Alpensinfonie, die ich auch besonders lie be. Sie ist, seit einige Schreiberlinge wie Paul Bekker in der,Vision' biblische Meta physik vermißt haben, die mir übrigens auch in der Pastorale zu fehlen scheint (der badende Beethoven hatte zu beten verges sen), von der hohen Intelligenz stets unter schätztworden. Sie klingt allerdings auch zu gut!" In der Tat wird in der „Alpensinfonie" der Klang sich selbst zum Thema, galt es doch, dem sinnlichen Naturverständnis Strauss' ein akustisches Äquivalent zu erfinden. Trotz Wind- und Donnermaschine, Kuh glocken und Tam-Tam kommt es jedoch so gut wie nie zu deskriptiven Klang exzessen, wie sie die Teilüberschriften der Partitur vermuten lassen. Selbst für einen Könner wie Strauss („Jetzt hab' ich endlich instrumentieren gelernt!" soll er nach der Generalprobe gescherzt ha ben) ist Instrumentation nie illustrativer Selbstzweck, sondern bleibt stets der poetischen Erfindung nachgeordnet. Für die Partie „Am Wasserfall" entwarf der Komponist sogar ein märchenähnliches Sujet: „Vision einer Wasserfee", musi kalisch verkörpert durch eine volkslied hafte Phrase der Klarinetten und Obo en, die als „Erscheinung" von impressio nistischen Klangvaleurs umspielt wird, zu denen neben Glockenspiel, Triangel und Becken vor allem Streicher-Glissandi, Harfen- und Celesta-Arpeggien gehören. Besonderes Augenmerk richtete der Instrumentator auf die Anfangsfakte der Partitur: 20fach geteilte Streicher und Fagotte lassen - durchaus im Sinn mo derner Cluster-Technik - alle Töne der b-Moll-Tonleiter nach und nach erklin gen - was einen gleichsam im Raum stehenden, das Gefühl der Ein geschlossenheit suggerierenden Klang eindruck ergibt. Daß diese Takte - die, von Strauss um 1900 aufgezeichnet, als erster Einfall zur "Alpensinfonie" zu gelten haben - das Werk nicht nur er öffnen, sondern auch beschließen, ist vordergründig mit der Gleichheit der Stationen zu erklären („Nacht"). Doch ging es Strauss ja nicht um Widerspie gelung realer Vorkommnisse, sondern um künstlerische Sublimierung seeli scher Reflexe, die er zu allgemeinen poetischen Programmen weitete und dem traditionellen Sinfonieschema - wie Hermann Scherchen 1920 formulierte - "zur inneren Belebung" beigab: „Dik- kicht: Fugato polyhon" / „Sonnenun tergang: Fantasie extatisch, mit aufge regtem Geigenrecitativ" (aus den Skiz zenbüchern). Der Formverlauf der „Alpensinfonie", die vier Sätze zu ei nem amalgamiert, bestätigt aufs neue Strauss' architektonisches Prinzip der psychologisierten Form: poetische Pro gramme als Korrektiv, das die Material schwere der tradierten Schemata ela stisch werden läßt. Erst nach und nach - 10 Skizzenbücher belegen die qual volle Entstehungsgeschichte - hat Strauss sich von der Viersätzigkeit ge löst; das ursprünglich streng klassische Konzept hatte u. a. im zweiten Satz, unter Einbeziehung von "raschen Ober pfälzer Drehern", einen Ländler mit Trio-Einschüben vorgesehen. Das poe tische Programm einer an Selbstfindung (Antichrist) und Naturgeschehen (Al pen) orientierten Erlebniskurve ließ Strauss jedoch sehr bald zu einer Form behandlung finden, die als sinfonisches Modell nun ihrerseits die Kurve "Auf-