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„...gleichsam zerstückelte (und doch bewundernswert einheitliche) Musik..." „Ich höre, ich sehe, ich fühle nicht das Meer", schrieb Pierre Lalo als Kritiker im „Temps". Er ging von einer reali stischen Schilderung aus und hatte die Satz überschriften wörtlich genommen. Und so mußte er zu seiner Fehleinschätzung des programmatischen Gedankens kommen, weil es noch nicht zum allgemeinen Verständnis gehörte, seelische Befindlichkeiten in Musik gekleidet serviert zu bekommen. Themen tragen das Werk, wie es schon seit Haydn üblich war, seit Beethoven aber unab dingbar wurde. Begriffe wie Melodie, Harmo nie, Kontrapunkt, ja selbst Rhythmus und Instrumentation haben ihren früheren, in Klassik und Romantik gültigen Sinn verloren, befinden sich eher im Stadium der Auflösung, sind verschwommen, vage, zerstückelt. „Doch wie ein zerbrochenes Glas die Lichtbrechung hundertmal vervielfältigt wiedergeben kann, so enthält auch diese gleichsam zerstückelte (und doch bewundernswert einheitliche) Musik hundertmal mehr feinste Nuancen als je eine andere zuvor.... Alles ist ein ununterbrochenes Wogen und Flimmern, ein Ziehen und Zurück fließen, ein Spiel der Lichter, ein Kräuseln und Aufbäumen und Beruhigen unter dem Einfluß des Windes, ein Zerstäuben in Millionen Trop fen, ein Widerspiegeln des weiten Himmels, dessen Farben und Wolken unaufhörlich wechseln" (Kurt Pahlen). Debussy hatte seine Partitur 1903 begonnen und schon programmatische Satzüberschriften vorgesehen, diese jedoch später noch um geändert. 1905, im März, war die Komposition abgeschlossen. Am 15. Oktober des Jahres er folgte in den „Concerts Lamoureux“ unter der musikalischen Leitung von Camille Chevillard die Uraufführung. Möglicherweise wurde die Aufführung, wenn man zeitgenössischen Be richten glauben darf, der Musik nicht gerecht. So wird heute gelegentlich auch der 19. Ja nuar 1908, an dem Debussy selbst das Werk in den „Concerts Colonne“ dirigierte, als eigent licher Uraufführungstermin genannt. Wenn auch damals noch vielfach nicht begrif fen wurde, was Debussy eigentlich in seiner Komposition ausdrücken wollte, so gehört heute doch gerade dieses Werk zu den am meisten gespielten Orchesterstücken des Meisters.