Durch doppelgriffiges Spiel kann die Violine zwar an Volumen gewinnen, doch ihr ureigenes Gebiet ist die beseelte Kantilene, der solistische Gesang. Auch zu kapriziöser Seiltänzerei ist sie prädestiniert. Kurzum: Sie ist die Primadonna unter den konzertfähigen Instrumenten und be ansprucht besondere Rücksichtnahme vom Komponisten, um sich optimal darzustellen. Brahms hatte in seiner Kindheit etwas Geige spielen gelernt, sich auch etwas als Bratscher betätigt, doch in die letzten Geheimnisse spiel technischer Möglichkeiten fühlte er sich nicht eingeweiht. Hier war fachmännischer Ratschlag gefragt, denn - dies wußte auch Brahms - ein Konzert muß aus dem Geist des jeweiligen Soloinstruments konzipiert sein, und das führt weit über das nur Spieltechnische hinaus. Probleme über Probleme, ein Wagnis also. Und so tat er genau das, was immer getan werden sollte, wenn man ehrlich zu sich selbst und be reit ist, seine Grenzen auch zu erkennen: man holt sich fachmännischen Rat. Und das geschah auch in diesem Fall. Brahms wendete sich direkt an seinen Freund Joachim und lud ihn für Ende August zu einem Besuch nach Pörtschach ein. Beide hatten viel zu bereden. Daraus entwickel te sich ein längeres Miteinander, das auch spä ter noch anhielt. Brahms - knurrig wie eh und je - befolgte natürlich nicht alles, was ihm Joachim riet und lehnte mancherlei sogar recht rigoros ab. Denn Joachim sah mehr auf violini- stische Erleichterungen, die Brahms aber - allem Konventionellen, Harmlos-Virtuosen und Gängi gen abgeneigt - keineswegs dulden wollte. So entstand ein Konzert, das äußerst schwer war und spieltechnisch bis an die Grenze des ir gendwie Möglichen führte und - so spöttelte mancher - schließlich sogar gegen die Violine geschrieben zu sein schien. Brahms hatte wirk lich lange an dem Konzert gearbeitet, immer wieder verändert, immer weiter nach Lösungen gesucht, von denen er glaubte, sie verantworten