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DRESDNER PHILHARMONIE Er suchte, experimentierte, verwarf, schrieb neu, arbeitete um. Und so entwickelte sich eine ei gene Kraft in seiner Musik, entstand das , Unverwechselbare seiner Tonsprache, eine mu sikalische Ausdrucksfähigkeit, die er in seinen Werken zum Schwingen brachte und uns Heutigen, in Zeiten von zahllosen Unmensch lichkeiten, zum Mitschwingen hinüberreichen ! konnte. Brahms war ein „Sommerkomponist“ (Johannes Forner), einer, den die winterliche Kälte erstar ren ließ, der Licht und Wärme benötigte, der sich frei fühlen mußte, um schöpferisch arbei ten zu können, ganz nach seinem persönlichen Wahlspruch „frei, aber froh“. Er suchte die Einsamkeit der Natur, hielt Zwiesprache mit ihr, wollte aber in jedem seiner Sommerorte auch nicht auf Freunde und Bekannte verzichten, lud immer wieder welche ein, brauchte sie für den Gedankenaustausch, den Widerspruch und den Zuspruch. So entstand ein Großteil der Werke „seit 1861 in den Sommermonaten bis weit in den Herbst hinein, zunächst in der Hamburger Umgebung, dann in Lichtenthal bei Baden- I Baden, am Starnberger See, an Rügens | Steilküste, in Österreich und in der Schweiz. ... Spazierengehen heißt für ihn schöpferisch sein. Er schlendert nicht auf den Flaniermeilen der Kurorte. Er stürmt dahin auf verschwiegenen Pfaden, durch Dickicht und unwegsames Gelände, in aller Frühe gewöhnlich und bei Wind und Wetter. Schweißnaß kehrt er zurück, um mit frischen Kräften seine Kompositionen niederzuschreiben“ (Johannes Forner). Und nun - im Mai 1878 -, einen Tag vor sei nem 45. Geburtstag, kam Brahms von einer Reise aus Italien zurück, dem Land voller Licht und Sonne, das er späterhin immer wieder be suchen sollte. Er reiste aber nicht nach Wien, wo er inzwischen seinen endgültigen Wohnsitz ge- ! nommen hatte, sondern machte Station in Pörtschach. Heute ein international besuchter Franz Liszt sammelte während seiner Weimarer Zeit (1849 bis 61) bedeutende Musiker als Mitstreiter (darunter auch H.v. Bülow) um sich und förderte durch Aufführungen insbe sondere die Programm sinfonie (Berlioz) und das Musikdrama (Wagner). Diese Gruppe, anfangs „Zukunftsmusiker" genannt, gab sich den offiziellen Beinamen „Neudeutsche Schule" und trat gegen die Musik „Konservativer" auf, die sich der klassi schen Tradition ver pflichtet fühlten (Mendelssohn, Schu mann, Brahms). Obwohl Bülow sich den „Neudeutschen" verpflichtet fühlte, war seine Brahmsverehrung beispiellos.