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Vorspiel zum Bühnenweihfestspiel "Parsifal" und Karfreitagszauber aus dem 3. Aufzug Ein enormer musikalischer Kontrast wird im heutigen Konzert aufgetan: die im Wesen kontemplativen Parsifal-Stücke, deren Handlung sich primär auf einer geis tigen Szene abspielt, und dann die ins Ex treme gesteigerte Expressivität der "Wal küre" mit ihrem geballten szenischen Ak tionismus. Die Schöpfung des "Parsifal", des letzten Wagnerschen Wer kes, war nicht von langer Hand und kon kret geplant. Eher war es so, dass eine lan ge zurückliegende Idee plötzlich wieder durchbrach und von Wagner Besitz ergriff. Im Januar 1877, nicht einmal ein halbes Jahr nach den ersten Bayreuther Festspie len, bedrückt von lastenden Schulden und beständig bedrängt von Gläubigern, eröff nete er Cosima: "Ich beginne den Parzival (sic) und lass nicht eher von ihm, als er fertig ist". Wenn Wagner von einer Werk vorstellung gepackt wurde, vergaß er alle äußeren Rücksichten. Im April 1877 war der Text niedergeschrieben. Wieder war die tragende Gestalt ein naiver Held, doch diesmal als reiner Tor, der nicht wie Sieg fried durch eine Reihe heldischer Taten begeistert, sondern der "durch Mitleid wissend" wird, also durch Erkenntnis zum mitleidsvollen Erlöser reift, der des Amfortas Wunde heilt und selbst zum König der Ritter aufsteigt, der den Gral, das Blut Christi, verwahrt und seine mys tische Kraft ausstrahlen lässt. Die Komposition zog sich insofern lange hin, als sich Wagner auf neuen, un betretenen Bahnen bewegte, was den Stoff betraf, vor allem aber die Instrumentie rung. Im April 1879 war die kompositori sche Arbeit abgeschlossen, die Orches trierung war indessen erst im Januar 1882 beendet. Fünf Jahre brauchte Wagner also zur Verwirklichung seiner Idee. Während dieser ganzen Zeit, die Wagner zumeist im Haus Wahnfried zubrachte, beschäftigte er sich immer wieder mit Johann Sebastian Bach, dessen Musik er als "ein in sich Vollkommenes" empfand. Die alte Faszi nation durch den Geist Beethovens trat zurück - typisch für die jetzt statische Ebene. Das Vorspiel wendet sich zu völlig neuen musikalischen Vorstellungen in Wagners Schaffen. Es verharrt vom Be ginn bis zum Ende im gleichen Tempo ("Sehr langsam") und suggeriert allein da durch die Sphäre des Nicht-Handelns. Hier wird die alte dynamische Ouvertüre negiert zugunsten einer intensiven Ein stimmung in den Geist des Werkes. Wäh rend das Gralsmotiv zuerst feierlich und weihevoll in As-dur erklingt, führt es uns bei seiner Wiederholung in c-moll spon tan in die Schmerzenswelt des leidenden Amfortas. Bemerkenswert ist, dass Wag ner deutliche Zäsuren setzt ("sprechende Pausen"), und gleichsam in Reihentechnik die zwei tragenden Themen abhandelt, ge gliedert durch das "Dresdner Amen", eine einfach aufsteigende Linie, die wir schon von Mendelssohn kennen. Die Dreiteil igkeit wird realisiert, indem das Ende zum Beginn zurückkehrt. Bewun dernswert ist die Farbgebung: was sich so einfach anhört, ist das Ergebnis raffinier ter Mischungen. So wird immer wieder eine fast magische Leuchtkraft erzielt. Die Partitur ist mit einer beinahe Mahlerschen Fülle von dynamischen Bezeichnungen, bis hin zu den feinsten Nuancen, gespickt, dazu mit vielen Vorschriften, zumeist "sehr ausdrucksvoll"; es scheint, als habe Wag ner, sich auf neuem Terrain bewegend, nichts mehr dem Ermessen der Interpre ten überlassen wollen. Der Karfreitagszauber als großes Orchesterzwischenspiel in dem ersten Teil des 3. Aufzugs organisch eingebaut,