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gelabt. [...] Solang ich denken kann, hat's mir an allem gemangelt, an allem ... [...] Und gerade meine Kirchensachen wär'n doch mit so viel, tief er Empfindung' geschrie ben? Was die schon wissen, die so daherreden I Die neue Messe zum Exempel: eine Skriptur des Herrn Regenschori Leitermayer für seine Dreifal tigkeitskirche im Alsergrund, nichts weiter; aus Freundschaft [...] und weil er halt weiß, daß ich's brauchen kann ... Kyrie eleison: hundert Gulden wenigstens - mit tiefer Empfindung der elenden und gottver dammten Notwendigkeit, am Leben zu bleiben, solang's noch irgendwie geht [...] Abwägen, zählen, rechnen - zu verlieren hab ich eh nix mehr. Und wenn ich meine Messe in die Waag schale lege, dann sicher nicht, um meinen Frie den zu machen: furchtlos bis zuletzt - beschützt oder nicht. Mein,Schwanengesang' wird jeden falls ein anderer sein ..." Die Uraufführung in jener Wiener Kirche sollte Schubert nicht mehr erleben, erst recht nicht den Einzug des Werkes in den Konzertsaal. Den haben wir Johannes Brahms (1833-1897) und dem Wiener Dirigenten, Komponisten und Hof kapellmeister Johann Herbeck (1831-1877) zu verdanken. Brahms, der Schubert zutiefst ver ehrte und in vielerlei Hinsicht als sein Vorbild ansah, revidierte den vorliegenden Klavieraus zug gründlich: „Nun scheint mir doch die Hauptsache, dass das Werk möglichst künstle risch und anständig, wie sich's bei dem Manne und unserer Liebe für ihn schickt, in die Welt gesandt wird." Die Es-Dur-Messe wurde schließlich 1865 publiziert. Auffällig an diesem Werk erscheint der Verzicht auf die Orgel, auf eines der archaischsten Instru mente der Kirchenmusik. Weihevoll klingt das Werk dennoch durch die drei Posaunen, mit denen Schubert Brucknerschem Idiom vorgreift. Im „Kyrie" erzeugt der Posaunensatz zusätzli che klangliche Wärme, ehrfurchtsvoll hingegen tönt die herbe, akzentuierte Melodie, die den Worten des „Domine Deus" im „Gloria" entge gensteht. Der Chor übernimmt - im Gegensatz etwa zur früher komponierten Messe in As - den Groß teil der deklamatorischen Aufgaben. Solostim men wie etwa im „Benedictus" dominieren nur selten. „Gratias Agimus" oder der Beginn des „Credo" zählen zu jenen Abschnitten, die Schu bert als schlicht homophonen Satz komponier te. Demgegenüber folgte er in den Schlussab schnitten von „Gloria" und „Credo" kirchen musikalischer Tradition und schuf groß angeleg te Fugen. Und wie schon Mozart bei seiner unvollendeten c-Moll-Messe KV 427, so gestal tete auch Schubert das „Et incarnatus est" als pastoralen, schwelgerischen Siciliano. Innere Geschlossenheit erhält die Messe durch motivi sche Brücken zwischen einzelnen Sätzen. So klang das Motiv des „Agnus Dei" bereits im „Domine Deus" des „Gloria" an. Würde man dramaturgische Höhepunkte aus Schuberts letzter Messe herausgreifen, so zähl te einerseits das „Gloria" dazu, dessen Span nungsbogen von mystischer Zurücknahme bis zu unbändigem Jubel reicht. Zudem wäre das „Agnus Dei" zu nennen: Über einem Ostinato,