Richard Strauss zur Zeit der ersten ,Salome"-Aufführung (1905) und ehe das Richard Strauss, der große Meister sinfonischer Programmusik und der Oper, hat nahezu 200 Lieder kom poniert, meist mit Klavierbeglei tung. Einige davon instrumentierte er nachträglich für Orchester, um auf den zahlreichen Konzertreisen mit sei ner Frau, Pauline de Ahna, - seit 1 894 mit ihr verheiratet - auftreten zu kön nen. Andere no tierte er sogleich in einer Orche sterfassung. Weit über die Hälfte seiner Liedwerke entstand in den Jahren vor der Jahrhundertwende, mehrfach ausdrück lich seiner Frau zuge dacht, danach - mehr oder weniger sporadisch - die restlichen. So komponierte er 1918 in dichter Folge neunund zwanzig Lieder, so daß jenes Jahr geradezu als sein „Liederjahr" be zeichnet werden kann. Für Strauss war das Lied die kleine Form, in der er Vorgedachtes musikalisch nachvollziehen und gedanklich Über höhen, oftmals auch hintergründig kommentieren konnte. Er, der wohl während seines ganzen Lebens in musikalischen Bildern dachte, suchte immerfort den Anstoß von außen. So bei seinen Tondichtungen, so bei seinen Opern, so auch bei den Liedern. An seinem Lebensabend gestand er, daß er das Wort für seine Inspiration benötige; denn „das Symphonische" - meinte er - die absolute Musik seien Sa- der Jugend. Strauss verstand Lied als kleinen Kosmos, als ein eigenes Ganzes, ein in sich geschlossenes Werk mit einer völlig eigenen Grundstimmung. Die Opernarie aber ge höre in einen grös seren Sinnzusam menhang, bleibe immer nur der Teil eines Ganzen. Wird der er strebte Ausdruck bei dem kleinen Kunstwerk Lied nicht sofort erfaßt, so ist bereits alles vertan. Aus dieser Einsicht heraus lenkte der Komponist sein be sonderes Augenmerk stets auf den Anfang. Schon in den er sten Einleitungstakten mußte sich der Grundcharakter des gesamten Liedes enthüllen, die Hörer gefan gen halten. Trotz der Fülle gehören seine zahl reichen Lieder nicht gleichermaßen zu seinem Hauptwerk wie die Orchester- und Bühnenwerke, doch zeigen sie den Meister in einer ebensolchen subtilen Musikausdeu tung. Sind es oftmals nur winzige Kabinettstückchen, gelegentlich brei ter angelegte Gesangsszenen, ha ben sie doch alle eines gemein: sie sind vom Wort, vom Rhythmus, vom Lyrismus geprägt, schwingen