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Hans Zender versuchte in seinen Werken mehrfach, Sprache nicht nur als Textvertonung zu verstehen, sondern das Verhältnis von Schrift, Wort, Klang einzubeziehen und auszudeuten. daß ein zeitlicher Zustand erzeugt wird, in dem verschiedene Bewe gungsrichtungen aufgehoben sind. Zender - meint Wilfried Gruhn - würde in diesen asiatischen Stük- ken auf die traditionelle Sprachlich- keit verzichten, „d. h. eine abend ländische musikalische Syntax auf der Basis zeitlich gerichteter und ,logisch' miteinander verknüpfter Strukturglieder" und „die Leere von Konstruktion in einer Momentform suchen. Form resultiert hier aus der zyklischen Anordnung autonomer Einheiten, die erst in der Wahrneh mung in Beziehung zueinander tre ten." Das ist einer der Wege, die Zender ging. Ein anderer ist es, die Sprache an sich und den Sinn des sen, was Sprache auszudrücken vermag, mit kompositorischen Mit teln zu deuten. So entstanden colla geartige Montagen verschiedener Texte in den „Canti II, III und IV" oder auch zahlreiche Vertonungen von literarischen Texten („Drei Ron dels nach Mallarme, 1961, bis zu der oratorienhaften, vierteiligen Vertonung des alttestamentarischen „Hohenlieds" als „Shir Hashirim. Canto VIII", 1993-1996). Aus den vielgestaltigen Auseinanderset zungen mit Sprache entstand auch das Werk „Muji no kyo" (1975). Der Titel dieses mittelalterlichen ja panischen Gedichtes bedeutet et wa „Gesang der leeren Schrift", „Nicht-Schrift-Lied" und läßt bereits erkennen, worum es dem Komponi sten in solchen Werken ging, in denen er sich mit japanischen oder auch chinesischen Denkfiguren auseinandersetzt: das Verhältnis von Schrift, Wort, Klang. Zwei Strophen untergliedern sich in je vier Soloteile, in denen die Stimme den Text vorträgt. Jedem Solo folgt ein instrumental ausge führter Tuttiteil. Die drei Instrumen talsolisten werden der Stimme in ständig wechselnden Kombinatio nen zugeordnet, die soweit gehen, daß statt der Violine auch ein Violoncello zu besetzen möglich ist und dem Klavier auch eine elektri sche Orgel oder ein Synthesizer beigeordnet wird. „Keimzelle ist das Gedicht, dergestalt, daß von der phonetischen Textur, der Aus sprache des dem europäischen Ohr gänzlich fremdartigen Gebil des das gesamte Artikulationsre pertoire hergeleitet wird: nicht al lein das vokale, sondern auch das instrumentale. Der Text wird also nicht im traditionellen Sinne ver tont, den Worten nicht ein auto nomes musikalisches Gewand über gestülpt. Vielmehr wird der Textvor trag einer höchst nuancenreichen kompositorischen Bearbeitung un terzogen: eine relative Tonhöhen ordnung wird vom natürlichen Sitz der Vokale bestimmt: die U- bzw. I-Laute markieren die Lagenbe grenzung in der Tiefe bzw. Höhe, während die mannigfaltigen A- und O-Laute in der Mitte des Tonraums angesiedelt sind. Die Konsonanten bestimmen wesent lich die extrem vielfältig abgestufte Dynamik und Gestik. Die Beglei tung' greift ihrerseits Geste und Artikulation des Textvortrages auf: