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Tod und Traurigkeit ausmalt. Eben so wie dort scheint die Sonne auf. Der wüste Sturm des „Dies irae" mag uns erschrecken, weil wir zum „geknechteten Erdklumpen" wer den, wenn der Tod die Sonne ver deckt, doch ist das auch in manch einer seiner Opern so dargestellt worden. Wie in den Opern, den Geschichten, Dramen über Schick sale geht es immerfort um den Menschen selbst, um seine Ge schicke. So sah es natürlich auch Verdi. Rein äußerlich ist der We senskern des Requiems eine Ge genüberstellung von Lebendig-Sein und dem Versiegen jeder Bewe gung im Tode. So wird es beispiels weise auch im größten seiner Werke - wenn man das überhaupt so klassifizieren mag -, dem „Otello", ausgesagt. Doch eines dürfen wir nicht übersehen: Verdi hat es ernst gemeint mit diesem geistlichen Werk, mögen seine kompositorischen Mittel noch so sehr irdischen Ursprungs sein, mag auch der erste Eindruck an Opern musik denken lassen. Mozart wur de bereits nachgesagt, er setze sei ne Messen „tantzweis", Haydn und andere Komponisten vor ihm hatten Probleme damit, den rech ten Ton in ihren geistlichen Werken zu treffen. Beethoven mußte sich bei seiner „kleinen" C-Dur-Messe fragen lassen, was er denn da wie der gemacht habe. Es ist ein ural tes Problem für beinahe jeden Komponisten gewesen, sein Kir chenwerk dem dogmatischen An spruch so anzupassen, daß es auch als solches der allzu schnel len Kritik standhalten konnte. Wir sollten, denke ich, nicht leichtfertig etwas abtun, was einen tiefernsten Hintergrund hat, was in Ehrfurcht gemeint und in entsprechender Demut gezeugt ist. Verdis Requiem ist es. Die Durcharbeitung des Orchestersatzes allein könnte, müßte dies sogar belegen, wüßten wir nicht, wie ernst es Verdi selbst war. Wie ausgeprägt ist die thema tische Arbeit, wie läuft das Thema etwas des Lacrymosa durch alle Stimmen. Verdi fußt in der Ge sangsmelodik seiner Vorgänger. Er kannte sie alle genau: Palestrina (auf den sich die Dogmatiker eines Kirchenstils berufen), Scarlatti, Per- golesi. Und doch hatte er sich den eigenen musikdramatischen Stil ge schaffen, der auch das Requiem prägt, weit davon entfernt, wirklich opernhaft zu sein. Natürlich ent nahm Verdi seiner eigenen Opern praxis die Kunst, Solostimmen dia logisch einzusetzen. Die Wirkung des Chores hatte er viele Male er proben können. Gerade im „Dies irae" sind sogar alte Techniken sei ner Vorgänger aus dem 16. Jahr hundert herauszuhören. Einen heu tigen Hörer, wie auch einen des vergangenen Jahrhunderts, interes siert sicherlich weitaus weniger, wie dicht und kunstvoll der Satz des Werkes gearbeitet ist, als mehr der Elan oder der tiefe Ernst einer solchen Komposition. Nicht die achtstimmige Fuge des „Sanctus" als achtstimmige Fuge wird ihn be wegen, sondern der hohe Ernst, Giovanni Palestrinas (1525-1594) würdevoller, die Worte genau berücksichtigender Kompositionsstil wurde vom Tridentiner Konzil (1545-63) zum Maßstab für die Schaffung geistlicher Musik erhoben.