Franz Schubert Messe Nr.6 Es-Dur für Solo, Chor und Orchester D 950 Franz Schubert war gerade 17 Jahre alt, als er 1814 für das 1 OOjäh- rige Jubiläum der Liechtentaler Pfarrkirche seine erste Messe kompo nierte; die letzte seiner sechs Messen dadierte aus dem Frühsommer seines Todesjahres 1828. Schubert hat sie nicht mehr gehört, wie den Großteil seines übrigen OEuvres auch nicht, denn die Uraufführung fand erst im Jahr darauf in der Wiener Dreifaltigkeitskirche statt. Erst viel später hat das Werk auch durch den Dirigenten Johann Herbeck, vor allem aber durch Johannes Brahms, den Weg auch in die Konzertsäle gefunden. Und Brahms war es auch, der den damals bereits vorliegenden unzulänglichen Klavierauszug mit aller Sorgfalt revidierte und im Vorwort schrieb: „Nun scheint mir doch die Hauptsache, dass das Werk möglichst künstlerisch und anständig, wie sich's bei dem Manne und unserer Liebe für ihn schickt, in die Welt gesand wird". Und trotzdem dauer te es noch einmal bis ins Jahr 1863, ehe der Gewand hauskapellmeister Carl Reinecke vier Sätze der Es-Dur-Messe in Leipzig zur Aufführung brachte. Erst in diesen Jahren beginnt die eigentliche Rezeption der Schubertschen Es-Dur-Messe. Dass Schubert in diesem Werk konsequent auf die Orgel, dieses spe zifisch kirchliche Instrument, verzichtet, bedeutet einen krassen Bruch mit der Tradition. Trotzdem fehlt es dieser Musik durch den Einsatz von drei Posaunen aber nicht an Feierlichkeit und Würde. Diese Instrumente treten schon im warm strömenden, beim „Christe eleison" inständig flehende „Kyrie" zum herkömmlichen Orchester; und ihr Einsatz im „Domine Deus mit einer Folge archaisch herber Töne reißt geradezu metaphysische Tiefen auf. Gegenüber vorausgegangenen Messen, in denen Schubert Wert auf den häufigen Wechsel zwi schen Solo-und Chorpartien gelegt hat, ist die Es-Dur-Messe vorwie gend eine Chormesse. Schlichten homophonen Partien (wie im Gratias agimus" oder zu Beginn des „Credo") stehen an den durch die kirchenmusikalische Tradition vorgezeichneten Stellen wie dem „Cum Sancto Spirito" oder dem „Et vitam venturi" ein wenig unper sönliche, didaktisch geratene Fugen gegenüber. Die Solostimmen dominieren dagegen das in As-Dur stehende „Benedictus" oder (mit Sopran und zwei Tenören) das „Et incarnatus est", einem klang schwelgerischen, sich im Siciliano-Rhythmus wiegenden Satz.. Schon Mozart hatte in seiner unvollendet hinterlassenen c-Moll-Messe KV 427 das „Incarnatus" als Siciliano gestaltet. Bei Schubert nun gerät dieser Satz zu einer regelrechten Rossini-Imitation. Will man die musi kalischen in Schuberts letztem großen kirchenmusikalischen Werk benennen, so müssen neben dem „Domine Deus" des a-capella ein setzenden, dem zwischen dämmernder Mystik und Verzückung schwankenden „Gloria" das Sanctus" und vor allem das „Agnus Deus" genannt werden. Innerhalb von nur sieben Takten werden beim traditionellen dreimali gen Anruf des klangprächtigen „Sanctus" vier verschiedene Tonarten