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Thematik des Credo-Beginns wieder auf genommen und erhoben zu himmlischem Jubel, während alle folgenden Glaubens sätze fast genau dem ersten Teil folgen, also wieder nach dem A-B-A-Prinzip be handelt sind. Bemerkenswert ist, dass Schubert das Bekenntnis zur "heiligen, katholischen und apostolischen Kirche" wegließ, wie er es schon in allen seinen früheren Messen getan hatte. An Schuberts tiefer Frömmigkeit kann nicht gezweifelt werden, doch hatte er sich in kleinen Krei sen auch früher abfällig über manche Re präsentanten der Kirche geäußert. - In der Fuge des "Et vitam venturi saeculi" verar beitete Schubert ein gerades, etwas recht eckiges Thema, und es scheint, als sei es ihm hier weniger auf handwerkliche Vir tuosität und Fugenkunst angekommen als auf eine stupende chromatisch durchtränk te Harmonik, die weit in die Zukunft wies. Im Adagio des SANCTUS hat Schubert in seiner letzten Messe sein tiefstes, persönlichstes Bekenntnis zur Heiligkeit Gottes abgelegt und einen visionären Raum aufgetan, der seine Zeitgenossen erschrecken musste. Was hier auf engstem Raum an gewaltigen Steigerungen und an verrückten Modulationen zusammenge drängt ist, lässt ahnen, wie weit der "spä te" Schubert dem Zeitgeschmack entwach sen war, wie radikal er sich in seiner schöp ferischen Einsamkeit äußern konnte.- Das herzhaft bewegte "Hosanna" lässt an Tiefe an kontrapunktischem und harmonischem Rang nicht nach. Ein würdiger Abschluss des großartigen Satzes. Das BENEDICTUS ordnet sich sei nem Sinn innerhalb der Messe-Ordnung ein: In seiner Grundhaltung ist es lyrisch und kantabel, doch nicht langsam. Im Tem po Andante (alla breve) fließt es in gebun denen Linien weich dahin. Die As-dur- Tonart bringt eine samtige Farbe ein. Wie auch sonst üblich, wechseln Solisten und Chor einander ab. Bei zwei Chorstellen werden die Konturen etwas härter, im For te werden die Stimmen Fugato-mäßig ein geführt, doch die Grundhaltung bleibt lei se und liedhaft. Nach der liturgischen Re gel dürfen wir noch einmal das Hosanna hören. Mit einem erschreckenden dramati schen Ausbruch wühlt das AGNUS DE1 auf. Ein kantiges viertaktiges Thema, das unwillkürlich an die Tonfolge B-A-C-H erinnert, wird vierstimmig fugiert, mün det dann in eine Fortissimo-Bekräftigung. Unvermittelt folgt die zarte, fast scheue Bitte um Erbarmen ("Miserere nobis"). Dieser schroffe Wechsel wird noch zwei mal wiederholt, beim letzten Male aller dings zum Aufschrei ins dreifache Forte getrieben. - Langsam, von frommer Erge bung erfüllt, folgt die Bitte um den Frie den, in die auch die Solisten einstimmen. Doch während wir uns innerlich einem sanften Ende zuneigen, überfällt uns noch einmal bedrohlich das "Agnus Dei". Es will scheinen, als habe Schubert dem Frieden nicht getraut. Äußerlich herrschte wohl Frieden, doch Metternichs autoritäre Herrschaft unterdrückte ja jedes Aufbe gehren. Dass wir danach die endgültige und letzte Friedensbitte mehr resignierend als erlösend empfinden, ist unvermeidlich. Erich Mauermann