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Franz Schubert Messe Nr. 6 Es-dur für Soli, Chor und Orchester D 950 Franz Schubert. Lithographie von Josef Kriehuber. 1846 Sechs vollendete Messen hat Franz Schubert hinterlassen. Schon in seiner ersten in F-dur, D 105, fand der 17-Jähri ge einen eigenen Ton, der sich äußerlich durch reichere Harmonik und pastosere Farben vom großen Vorgänger Joseph Haydn absetzte, dessen Messen Schubert während seiner Konviktszeit gründlich kennengelemt hatte. Beim Anhören die ser Messe würde man nie mehr an Haydn denken. Die drei folgenden Messen (bis 1816) zeigten einen ähnlichen, noch "un schuldigen" Stil. Erst mit der As-dur-Mes- se, D 678, setzte sich Schubert mit der Gattung auseinander. Volle drei Jahre lang, von 1819 bis 1822, kreiste er immer wie der um dieses Werk. Das Ergebnis war seine erste "Missa solemnis" von ungleich stärkerer Expressivität und weiter Ausdeh nung-. Den singulären Höhepunkt seines geistlichen Schaffens bildete die heute aufgeführte Messe aus dem Todesjahr 1828, die allein schon durch ihren Um fang imponiert. Sie dauert fast eine Stun de, und wenn man bedenkt, dass er sie erst Mitte Juni begann, und wenn man sich ver gegenwärtigt, dass er neben etlichen kür zeren Werken das Streichquinetett und die letzten großen Klaviersonaten schuf, dann kann diese Fülle nur mit einem wahren Schaffensrausch innerhalb von vier Mo naten erklärt werden, denn diese Zeit hät tet eigentlich fürs bloße Abschreiben rei chen können. Schuberts Ehrgeiz, "das Höchste in der Kunst zu erreichen", drückte sich darin aus, dass er die Idee des Symphonischen, also rein musikalisch konzipierte Strukturen und Abläufe, über das Festhalten am Mes setext stellte. Mit Kürzungen und Umstel lungen verfuhr er freizügig, was die Unangepasstheit des Gottesfrommen Komponisten beweist, wenn es ihm um seine Kunst ging. Was die musikalische Substanz anlangt, stieß er in völlig neue Bereiche vor: an Subjektivität der Erfin dung und persönlichster Expressivität er reichte er auf seine Weise eine Größe und Tiefe, die man in die Nähe von Beetho vens "Missa solemnis" rücken kann, neben der man früher Schuberts Opus gnädig als romantischen aber deutlich schwächeren Sonderfall gelten ließ. Symphonisch ist auch die Orchester besetzung: 2 Oboen, 2 Klarinetten, 2 Fa gotte, 2 Hörner, 2 Trompeten, 3 Posau nen und Pauken, (wobei die beiden letzt genannten eine wichtige Rolle spielen). Zu diesen Vorstellungen passte der sakrale