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dresdner O PHILHARMONIE genommen worden war, und wo sich, nach Schumanns Einweisung in die Nervenheilan stalt und Tod, innige Freundschaftsbande zwi- I sehen Clara und ihm knüpften, Bande, aus de nen - hätte Brahms seine übergroße Scheu abgelegt - eine tiefe Liebe hätte werden kön- I nen. Brahms aber blieb einsam, Beethoven gleich und menschenscheu wie er. Auch als er seit 1872 ganz in Wien lebte, dort seine wahre Heimat gefunden hatte, war’s wie bei Beethoven: ein verehrender Kreis bildete sich um ihn. Ja, Brahms wurde von dem bedeuten den Kritiker Hanslick, Todfeind Wagners, auf I den Schild gehoben, vor allem aber, um Wagner und dessen Anhängern schaden zu wollen. Brahms aber ging seinen eigenen Weg, unbeeinflußt von Lob und Tadel. Er wollte, ja mußte sich an Beethoven messen, nur das galt, war ihm wichtig. „Ich werde nie eine Sinfonie komponieren!“, gestand er sich ein, weil er sich vor so einem „Riesen“ fürchtete, den er „hin ter sich marschieren hört“. Kein Komponist kam an Beethoven vorbei, wollte er Sinfonien schreiben. „Wer vermag nach Beethoven noch | etwas zu machen?“ Das hatte schon vor sech zig Jahren der junge Franz Schubert so emp funden. Beethovens Übermacht wirkte läh mend auf die Nachgeborenen. Wir wissen, daß Brahms - spät zwar, aber höchst erfolgreich - seine Sinfonien komponierte, vier an der Zahl. Spötter allerdings meinten, daß seine Erste Beethovens Zehnte geworden sei. Es ist ein Körnchen Wahrheit dabei, denn Brahms wurde, trotz seiner unleugbar romantischen | Einstellung, ein Neuklassiker. Er bändigte sei ne Gedanken in eine herbe, strenge Form, be vorzugte die „absolute“ Musik vor der schil dernden, der programmatisch-bebilderten eines Franz Liszt z. B. und blieb trotz innigen Überschwanges in den Gefühlen, trotz gewal tig hereinbrechender Dramatik ein an klassische Schönheitsideale glaubender Künstler. Eduard Hanslick (1825 - 1904), gefürchteter Kritiker in Wien, stellte sich vehement gegen die „neudeutsche" Richtung um Liszt, der auch Wagner und Bruckner zuzurechnen sind. Diese sahen sich ihrer seits als Vertreter einer musikalischen „Fort schrittspartei" und standen in Opposition zu der durch Mendels sohn, Schumann und Brahms repräsentierten Gruppe, die wiederum sich dem Stil der Wiener Klassik verpflichtet fühlte.