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ZWEITER AKT gen. Doch dieser, dem längst die Zusammen hänge klar sind, der immer schon vorher alles weiß, auch, welch grausames Spiel die Götter mit Oedipus in Wirklichkeit treiben, möchte den Helden schonen und weigert sich, ihm über den Mörder Auskunft zu geben. Oedipus aber, noch völlig im Dunkeln tappend, tut, was bedeutende Herren gelegentlich im Übereifer tun: einen Schuldigen suchen, um zu zeigen, wie sehr sie selbst über den Dingen stehen. Oedipus also beschuldigt plötzlich ausgerech net Kreon, der ihn einst als König einsetzte, mit Hilfe des Sehers die Herrschaft erringen zu wol len. Dieser jedoch, empört, will wenigstens ein kleines Licht auf die Sache werfen und gibt noch einen Satz preis: „Der Mörder des Königs ist ein König!“ Mehr nicht, sagt nicht wer, nicht welcher König es ist, denn derer gab es viele. Oedipus will dies nun aber um alles in der Welt herausfinden. Jokaste, die Gemahlin des Oedi pus, erscheint und wird freudig vom Volk be grüßt. Der Chor - in der griechischen Tragödie oft die Stimme des Gewissens, des inneren Aufruhrs - feiert den Retter vor der Pestilenz. An dieser Stelle verfügten die Autoren das Ende des I. Aktes. Jokaste hat eine große Szene, die musikalisch aus verschiedenen Teilen besteht. Sie mißtraut den Orakeln, denn ihr verstorbener Mann, König Laios, wurde doch wohl von Räubern er mordet, wie sie aus sicherer Quelle weiß, an der Kreuzung dreier Straßen, einem Trivium, wie dies im Lateinischen bezeichnet wird, das nachher immer mehr zum deutlichen Mahn wort wird. Doch Oedipus erinnert es irgendwie an seine eigene, längst vergessene Tat. Der Chor hilft ihm mächtig nach. An einem dreifa chen Kreuzweg, diesem Trivium, hatte er einst einen Greis getötet. Wenn es nun dieser König gewesen wäre? Angst schnürt ihm die Kehle. Noch zweifelt er an der Bedeutung jenes