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Ne « rr ' Die Antigone deS Sophokle« in München. ÜMstNchen, SS. No». Rach langem Sehnen, nachdem zwei unserer Schwe sterstädte un« schon voran gegangen, sahen endlich auch wir gestern da« Meisterwerk der „attischen Biene" über unsere Breter gehen. Wir gestehen, trotz aller Be wunderung für da- griechische, namentlich Sophoklrische Drama, sahen wir den noch der Aufführung mit einiger Bangigkeit entgegen. Wenn irgend ein Zweig der poetischen Literatur, so hängt da» Drama mit der Geschichte, mit der religiö sen, sittlichen und politischen Anschauung einer Nation innig zusammen. Mehr noch al- bei einer andern Nation ist dies bei der griechischen der Fall. Der Gegenstand der Tragödien ist dort den Sagenkreisen entnommen, Zweck der Tragödie ist Ver herrlichung einer Gottheit, Chor, Scene, Maske, Tanz, Alles hängt mit diesem religiöse« Zwecke innig zusammen, und selbst daS Theater hat seine Gestalt und Größe diesem heiligen Grundgedanken zu verdanken. Bei un» ist dies anders. Mag »an aus der eigenen Geschichte seinen Stoff holen oder in kosmopolitischem Weltschmerz aus der Vergangenheit anderer Nationen Dramen schaffen, oder mag man gar allgemeine Ideen in Personen ohne Fleisch und Blut verkörpert darstel len: daS Drama ist für die geistige Unterhaltung da, der Dichter kann dasselbe höchstens als Selbstzweck betrachten, ein« besondere religiöse und geschichtliche Weihe hat dasselbe bei uns nicht. Wie viel mehr ist dies für die Mehrheit auch unscrS gebildeten Publicum- bei dem griechischen DraiKa der Fall! Wer sich nicht ganz ernst mit der klassischen Literatur befaßt hat, dem entgeht vollständig diese höhere religiöse Bedeutung, und selbst Diejenigen, welche unsere sogenannten höher» Lehr anstalten besucht und die poetischen Erzeugnisse der Griechen mit Hülfe der HH. Buttmann und Rost „studirt" haben, selbst sie dürften kaum jenes Gefühl mit- bringen, welches für eine richtige Auffassung de« griechischen Drama absolut noth wendig ist. Sie betrachten eS höchsten« wie eine ganz außer ihnen stehende Kunst erscheinung!, etwa wie eine Marmorstatue de« Phidias, die religiösen und politi schen Voraussetzungen bringen sie nicht mit. Es war uns aber auch noch aus andern Gründen für die erste Darstellung bange. Wir sind umfassende, verwickelte Handlungen im Drama gewöhnt; wir sind gewöhnt, daß sehr Vieles vor unsern Auge« vorgehj; da« vvreuripideische griechische Drama führt nur wenig Handlung vor dem Zuschauer auf; das Meiste wird berichtet, eS ist die Rede, in welcher die dramatische Handlung uns geistig vorgeführt wird. Horaz belehrt uns zur voll kommenen Genüge über den höher» ästhetischen Grund; allein wenn auch Mcdea ihre Kinder nicht auf der Bühne zerstücken soll, ja wenn auch das moderne Drama eS aufgeben würde, durch Gifttode die Aerzte selbst zu frappiren, so muß es nichts destoweniger zugestanden werden, daß es bei unserer modernen Anschauung — und diese habe ich hier im Auge — an Interesse bedeutend verliert, wenn alleSDaS, was man den KermbtS Stücks nennen darf, durch Phylakten, Angeloi und Exangeloi blos berich tet wird. Dazu kommt die Unbeholfenheit der antiken Bühne und der Umstand, daß die Scene in der Regel nicht wechselt, während Italien und Frankreich, dank dem Hrn. Vol taire, endlich die Einheit der Zeit und des Ortes über Bord geworfen und auch Deutsch land der miSverstandenen aristotelischen Regel den Rücken kehrte. Aber selbst DaS, was noch b»i Sophokles fast als die Hauptsache gelten konnte, flößte uns einige ängst liche Spannung ein. Ich meine hier nicht die berühmte Controverse zwischen dem Geheimrath Böckh und Professor Seidler, ob die „Antigone" daS erste mal im dritten Jähre der 84. Olympiade aufgeführt wurde oder nicht; nicht einmal den Streit habe ich im Auge, ob dieses Drama seinem Dichter den Feldherrnstab ver schaffte, ungefähr wie man bei unsern Freicorps die guten Redner zu Offizieren wählt«—ich Meine hier lediglich den Chor. Ob man dem Chor das Vermittler amt einräume, oder ob man in ihm die eigenen Ideen des Dichters verkörpert sehen wiil — er hat jedenfalls die höchste Bedeutung im griechischen Drama, wäh rend er bei unS nur eine Gelegenheit für den Tondichter ist, vielstimmige Ge- sänge zu componiren und selbst Schiller in seiner „Braut von Messina" dieselben feindlichen Elemente in seine Chöre verlegte,, wie sie im Dialoge an den Lag tre ten. So herrlich auch die musikalische Einkleidung dieser Chöre ist und wie weit di« hier von MendelSsohn-Bartholdy geschaffene Lonwelt auch von allen unsern Compositionen abweicht — so viel ist gewiß, diese Musik ist nicht die einfache Flöte und Lyra> in dieser Einkleidung ist der Chor der griechische nimmermehr und er ist eS um so weniger, als wir leider den bedeutungsvollen Lanz der plastischen Nation xoir Ao/Hv nimmer ktnnen und daher nicht einmal einen Versuch der Nach ahmung zu machen im Stande sind. Die« wären meine Bedenken, als ich gestern daS überfüllte Haus betrat. Sei eS Neugierde, sei eS Wissbegierde — Hunderte von Personen drängten sich hinzu/ ohne einen Platz zu finden. Die Jnscenirung hatte unter der Leitung des berühmten-Philologen Friedr. Thiersch stattgefunden. Der für daS Orchester be stimmte Raum war in die Orchestra verwandelt. Zn der Mitte befand sich die LhyMela des Bacchus, recht« und links waren Eingänge. Treppen führten zum Lygeion hinauf,, d-S mit einer fallenden Wand geschloffen war. Im Hintergründe de« Logeion war der Palast des Kreon. Im Hyposeenion das Innere seiner Woh nung. Da-ich gerade vow der Kleidung deSHanse« spreche, so will ich gleich die den Frauen so liebe Rolle übernehmen und die Costume kurz beschreiben. Im Ganzen waren dieselben ungefähr so, wie sie Witzschel in seiner bekannten Schrift „Die traKscha, Bühne in Athen" beschreibt. Antigone und Hämon waren ganz weiß gzMdct,. ISmene hätte, ein weiße« Kleid, rothett Überwurf und blaue« Tuch, .HÄn eiü weiße- mit Gold Vtladeike? G)wand und darüber den Purpur. Die d?n Chor bildenden Greise trugen graue Kleider und darüber bis an daö Kitte rriDnve blaut!', rothe, oder grüne Oberkleider. Die Maske fehlte gänzlich. Die Äitfsass^g htb'Hauptroksen stand in Mitte zwischen der Böckh'schen Auf- filssüng und dNstNtAeN, welche Iälob dürchführr. „UNgemessenes und leidenschast- liHS! Streben, welcher sich überhebt, führt zum Untergänge"; dies der Grund gedanke, auf', welches der Erstere ha» dichterisch, Wert aufbaut. Antigone über- hchtsstch, nach seiner-Auffassung, indem, sie dem Gebot«! ihres Herrschers zuwider» Handelt, sie hatte eS den Göttern überlassen sollen, für die Bestattung ihres Bru der- zu sorgen; auch Kreon überhebe sich, indem er zu unbesonnen handle. Uebri- gen» sei Kreon nicht schlecht, sondern nur fest und starr. Jacob findet folgende Grundgedanken in Antigone: „Gegen daö alte menschliche Recht und die Gebote der Götter solle der Mensch nicht freveln. Die- thut Kpeon, indem er die Be stattung de- Polyneikc- untersagt und Antigone lebendig! einmauern lässt, und des halb geht er und sein Hau- zu Grunde." Wie gesadh unsere Antigone (Frl. Damböck) und unser Kreon (Hr. Dahn) standen ungefähr^ in der Mitte zwischen diesen beiden Auffassungen, oder vielleicht besser, sie vereinten die Lichtstiten beider. M. DaE«, welche diesmal recht- sehr an die Rachel erinnerte, zrkßtt' sich durch' unv HUrch alr die von dem Edlem ihrer Handlung vtMoNNneN überzeugt» JUng- l e t o re. frau. Sie zeigt sich fest, ohne hart zu sein; sie ist von heiliger Begeisterung bv- seelt, ohne unweiblich zu werden; da- Bewußtsein, daß e« für sie unabwettbeirr' Pflicht sei, ihren Bruder zu bestatten, ist in ihr so vollendet, daß sie e« nicht be greift, wie ihr« Schwester nur ander« denken, ander- fühlen kann. Da« göttlich» Gebot, da- ungeschrieben in ihrem Herzen lebt, erfüllt sie mit der Gewißheit, e» könne kein Mensch, wie hoch er auch stehe, ihm zuwiderhandeln. Diese Ueberzeu- gung prägte Frl. Damböck in ihrer Darstellung vollendet au», während sie zu ihrer Schwester mit Festigkeit sagt: „Ihn aber — ich bestatt' ihn"; sie spricht sich in der Offenheit aus, mit der sie die Lhat dem Kreon bekennt, sie zeigt sich in dem heiligen Rechtebewußtsein, mit welchem sie dem Kreon entgegnet: „Nicht geu« ja war es, der mir dieses kundgethan, — noch Dike war's, die bei den untern Göttern wohnt, — die solche Satzung aufgestellt den Sterblichen. — Auch nie so mächtig achtet' ich, was du befahlst, — um über ungeschricb'ncs, festes, göttliche« Gesetz hinauszuschreiten, eine Sterbliche." Bei dieser Auffassung der Antigone ist eS natürlich, daß die von Jacob beanstandeten Verse: „Starb mir ein Mann, so ward Mir Wol ein anderer" als störend wegbleiben mußten. Zwei Eriten aber wurden von Frl. Damböck nicht so aufgefaßt oder wenigsten« dargestell», wK der Dichter, sie- ohne Zweifel beabsichtigt hat, nämlich die Ironie, der Hohn gegen ihre edle, aber schwache Schwester und die zarte Seite der schwesterlichen Liebe; der Hohn, welchen den Dichter in die Worte gelegt wissen will: „Sei nicht um mich bang: sichre du nur dein Geschick" und später unter Andern in die Sätze: „Da« frage Kreon, blo- um den ja sorgtest du"; und „Du wähltest dir da- Leben, ich das Sterben mir"; die zarte Schwesterliebe, welche sich in den Sätzen ausspricht: „Nicht mitzuhassen, mitzulieben weiß ich nur"; und „Mit Schmerzen thu ich's, wenn ich Hohn dir bieten muß". Frl. Damböck hat eS in ihrer Gewalt, den Höhepunkt tragi scher Leidenschaft und Festigkeit in künstlerischer Schönheit darzustellen; die zarte Seite ward ihr von der Natur versagt. Jenen Höhepunkt tragischer Vollendung aber legte sie in den Schlußscenen an den Lag, in welchen sie in Verzweiflung und dennoch im-, mer das Bewußtsein ihres Rechts an der Stirn tragend von der Oberwelt Abschied' nimmt und in ihr Grabgcmach fortgeschleppt wird. Aber auch unser Repräsentant des Kreon, Hr. Dahn, trug nicht den verächtlichen Tyrannen Kreon zur Schau, wie er häufig und insbesondere auch von Iacob ausgefaßt wird, sondern einen Fürsten, der vollkommen von der Rechtmäßigkeit seiner Handlungen überzeugt ist, der eS nicht begreifen kann, wie seine Gebote denen der Götter entgegen sein können, der strenge an seinem Rechte festhält, und wiewol dem Gefühl« zugänglich, dem selben bis zum letzten Augenblick keinerlei Einfluß auf seine Handlungsweise ein räumen will. Hr. Dahn faßte Kreon als einen festen, starren Charakter auf/ doch nicht als eine» Wütherich, als einen schlechten Despoten, und- gewiß mitMecht.* Die Tragödie würde wol Abscheu erregen, aber dieses Gefühl könnt« nun und nimmermehr als etwas „Schöne-" gelten. Es ist ihm vollkommen ernst, wenn er sagt: „Doch darf der Böse nicht empfah'n dem Guten gleich"; er zeigt daS Bewußtsein seines Rechtes, wenn er spricht: „Rein, wen daß Volk cinsetzte, dem gehorche man, in Kleinem und Gerechtem und im Gegcntheil. Dir-Uebel grösste? ist die Zügellosigkeit re." und gibt ja ohne Widerrede Zsmene frei, als der Chor ihn ermahnt, daß sie schuldlos sei. Auch die edlcn Gefühle legte Hr. Dahn tref fend an den Lag, so die Rührung, welche ihn erfaßt, als er' Antigone für Die erkannte, welche er als Lhäterin strafen mußte und die väterliche Liebe, al« Hä- mon vor ihm erschien. Desto schwächer aber führte Hr. Dahn die Partien durch, wo Kreon die Reue an den Lag legen, wo er das Beschlossene widerrufen und den Schmerz über die ihn bestürmenden Leiden därstellen soll. Hier überschritt Hr. Dahn beiweitem die Grenzen der tragischen Schönheit, es blieb ihm nicht- mehr von der königlichen Würde zurück, nichts mehr von dem früher» Selbstbtwusst- scin, daß auch in der Verzweiflung nicht vollends Unterdrückt wttdsii därfi DM' war keine Leidenschaft mehr, das war ein Geschrei - EurydiK wutde rE KrAtt Bättgen ziemlich würdelos gegeben; Hr. Richter stellte den Hämon wacker' da»^ Hr. Keller den LiresiaS ohne eine Spur jener Gottbegeisterung, welche den un trügerischen Seher auszeichnen soll. Desto trefflicher waren Frt. HalttmanN «Gi! zarte, edle, dabei aber schwache und furchtsame ZSmene und Hr. Christel, al« gx. schwätziger Wächter. Unübertrefflich endlich, in musikalischer Beziehung »äinliH, war der Chor. Dieser war paarweise durch den rechten Eingang in di« Orchestra getreten, theilte sich sodann in die zwei aus je 15 Personen bestehenden Halb- chöre unter je einem Chorführer (Hr. Kindermann, Hr. Bättgen) und trug die meisterhafte Schöpfung meisterhaft vor. Insbesondere wirkte der Chor: „V Eros, Allsieger im Kampf! rc." und die BacchuShymne wahrhaft elektrisch. Ja ich möchte sagen, die Chöre sangen zu schön. Von vielen Seiten hört« ich nicht-' äßst" „Die herrliche Musik!"; man betrachtet leicht Das al- Hauptsache) wü- doch ei gentlich nur Nebensache feimsoü) und wendet das ganze Augenmerk auf die Musik, während es sich doch darum handelt, das treffliche attische Drama ktynen' zu ler»" nen. — Meine Befürchtungen haben sich nicht in vollem Mäße bewährt. Der größt» Lheil der Zuschauer betrachtet zwar „Antigone" nicht fürDä«, waS c- s«in soll, Wenige nur werden mit Bewußtsein herausfinden, was denn eigentlich da- Große daran ist und was nicht; allein die Tragödie hat gefallen, sie hat gefallen, viel leicht weniger als Tragödie wie al- eine Art Feststück. Wir wünschen von Zeit zu Zeit eine Wiederholung; mundgerecht wird man unö die antike Lragödie nim mer machdn wollen noch können; sie wird immer nur als CuriMSt'Ankläng fin-' den. So viel aber möge sie un« lehren, daß eS der ureigene Geist eine« Volkes sein muß, aus welchem ein nationales Drama hervorwächst; unsere Sagenkreise liegen unserer modernen Anschauung so fern, als uns die Sägen fremder Völker liegen. Aber unsere Geschichte ist auch nicht arm an dramatischem Stoffs man möge zugrcifen! *Men, 3V. Nov. Die Redaetion de» Jllustrirten Familienbuchs de? Otster- reichischen Lloyd in Triest hat bekanntlich vor einiger Zeit Preise voNZsi üüd 26' Dukaten für die zwei besten Novellen ausgeschrieben. Die' zur Prüfung der einlaufenden Dichtungen ernannten Preisrichter: Grsllparzer, Hebbel und Her- mannsthal haben jetzt den ersten Preis der Novelle „LallbstuMM" von Friedrich Uhl (Verfasser des virlMannten „Stillleben-": „An der TheiPH zutrtämlt, deü zweiten Preis der Novelle „Anne Marie" von Ernst Ritter. -i-Bon dem Intendanten de- stuttgarter Hofthrätkr«, KäMMtthetrN b. Gall, erwartet män eine systematische Darstellung aller in eine wohlgeordnete Lhkater- führung einschlagenden Gegenständ» vom rein administrativen Standpunkte. SS wird diese Schrift in größtem Mäßstabe ausführen, was Hr. v. Gäll schob as» Vorstand der oldeNbUrgtt Bühn» in einer klemern AbhandlüNg mit kürzen Fin gerzeigen al- Richtschnur einer guten Bühncnführung angab. Seme inzwischen