Volltext Seite (XML)
6. Ars poetica Den Fluß, der Zeit und Wasser ist, betrachten, bedenken, daß die Zeit ein anderer Fluß ist, wissen, daß wir uns wie der Fluß verlieren, und daß wie Wasser die Gesichte schwinden. Fühlen, daß Wachen ein anderer Schlaf ist, der träumt, daß er nicht träumt, und daß der Tod, den unser Fleisch fürchtet, dieser Tod ist aus jeder Nacht, den wir den Schlaf nennen. Im Tag oder im Jahr ein Symbol sehen der Tage des Menschen und seiner Jahre, die Beleidigung der Jahre verkehren in Musik, einen Laut und ein Symbol. Im Tod den Schlaf sehen, im Abendrot ein trauriges Gold, solcherart ist Dichtung, die unsterblich und ärmlich ist. Die Dichtung kehrt wieder wie Morgen- und Abendrot. An Abenden betrachtet ein Gesicht uns manchmal aus dem Grund eines Spiegels; die Kunst muß sein wie dieser Spiegel, der uns unser eigenes Gesicht enthüllt. Es heißt, Odysseus habe, satt von Wundern, aus Liebe geweint, als er Ithaka, grün und schlicht, sah, Kunst ist dies Ithaka, aus grüner Ewigkeit und nicht aus Wundern. Sie ist auch wie der unendliche Fluß, der zieht mal weilt und Spiegelbild des gleichen unsteten Heraklit ist, der stets gleich ist und anders, wie der unendliche Fluß. Die Gedichte sind entnommen: Jorge Luis Borges, Gesammelte Werke ® 1981 Carl Hanser Verlag, München - Wien