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EINFÜHRUNG Siegfried Matthus, einst Schüler von Rudolf Wagner-Regeny und Hanns Eisler, dann Dramaturg bei Walter Felsenstein an der Komischen Oper Berlin, schrieb 1973 mit dem „Kleinen Orchesterkonzert“ ein knappes Stück, das im Charakter heiter, unbeschwert, ja sogar satirisch ist. Der erste Satz, ein pfiffiger Marsch, stützt sich auf kurze musikali sche Phrasen, die vor allem vom Rhythmus bestimmt werden, zumal der Schlagzeugapparat bereits hier mehrmals auftrumpft. Ein kurzes ein gängiges Motiv in den Violinen eröffnet den zweiten Satz. Seine mehr malige wörtliche Wiederkehr erleichtert dem Hörer das Erfassen seiner Struktur. Der langsame Satz wird zunächst von Harfe und Klavier und in der Folge von der Flöte dominiert. Dazwischen breitet Matthus ein Gewebe von klangmalerischen Linien und Akkorden aus, das besonders durch seine Farbigkeit besticht. Ein vitaler Musiziergeist prägt das Finale, das mit seinem Schlagzeugsolo dem „Kleinen Orchesterkonzert“ einen wirkungsvollen Abschluß sichert. Wolfgang Amadeus Mozart hat die Sinfonia concertante Es-Dur KV 297b vermutlich im April des Jahres 1778 für die gerade in Paris wei lenden Mannheimer Bläser-Virtuosen Wendling. Ramm, Stich und Rit ter geschrieben, die das Werk im Rahmen der Concerts spirituels auf führen sollten. Er verkaufte das Autograph an den Direktor dieser Kon zertreihe, Jean Le Gros, der allem Anschein nach aber zu schwach war, um die Aufführung des Werkes gegen mancherlei Widerstände durchzu setzen. Mozart beklagt dies ausdrücklich in einem Brief an seinen Vater vom 9. Juli 1778. Schlimmer noch als die vereitelte Uraufführung scheint mir freilich der Umstand, daß das Autograph verschollen ist, denn die auf uns gekommene Abschrift des Werkes aus der Hand des Mozart-Biographen Otto Jahn aus dem Jahr 1865 enthält doch sehr vie le unmozartische Zusätze. Erfreulicherweise ist es der Musikwissen schaft des 20. Jahrhunderts gelungen, diese Zusätze vielfach wieder auszumerzen und so zählt die Sinfonia concertante heute zweifellos zu den Meisterwerken ihrer Gattung. Dem pathetischen Einleitungssatz mit breitem Ritornell entspricht ein kunstvolles Finale-Rondeau mit nicht weniger als zehn Variationen, die den Solisten eine wahre „Schau stellung virtuosen Könnens“ ermöglichen. Dazwischen findet sich ein sehr gehaltvoller langsamer Satz, der interessanterweise auch wieder in der Haupttonart steht. Gustav Mahler schuf seine erste Symphonie als Kapellmeister in Kas sel, Prag und Leipzig. Es war die Zeit, in der er „die konventionellen Bande der Spätromantik auf vielfältige Weise zu sprengen suchte“, sich ihnen aber doch nicht zu entziehen vermochte, wie gleich die Einlei tung zum ersten Satz zeigt: eine Klangvision des erwachenden Mor gens, die schließlich in das fröhliche Hauptthema mündet. Es ist das Wanderlied „Ging heut’ morgen übers Feld“, das Mahler seinen „Lieder eines fahrenden Gesellen“ entnommen hat. Diese Stimmung, aus der sich eine Vielfalt von fast durchwegs sangbar erfundenen Motiven ableitet, beherrscht in immer neuen Variationen den Satz, der schier jubelnd schließt. Nicht minder fröhlich klingt das folgende Scherzo mit seinen aufstampfenden Rhythmen und den heiter-beschwingten Länd lermelodien, obgleich sein Trio-Mittelteil schon besinnlichere Töne anschlägt. Vor Beginn des dritten Satzes verlangt der Komponist eine längere Pause, denn der nun anhebende zweite Teil der „sinfonischen Dichtung“ (dritter und vierter Satz) ist auf einen viel ernsteren Ton gestimmt. Dumpf wie ein Trauerkondukt hebt „feierlich und gemessen“ der dritte Satz an, der sich auf dem Kanon eines Volksliedes („Bruder Martin, Bruder Jakob“) aufbaut. Der Mittelteil in G-Dur trägt eine für Mahler geradezu charakteristische Vortragsbezeichnung „Sehr einfach und schlicht wie eine Volksweise“. Dann kehrt das Kanonthema wieder, ehe mit ungeheurer Vehemenz der vierte Satz folgt, der im wesentlichen zwar der klassischen Sonatenform entspricht, daneben jedoch ureigene programmatische Züge aufweist. Besonders auffallend sind die themati schen Beziehungen zum ersten Satz, dessen zarte Morgenstimmung nun zum triumphierenden Hymnus wird. Dr. Heinz Klier