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Eine ruhige, gesangliche Einleitung (Adagio ma non troppo) in c-Moll eröffnet das Werk. Den Mittelteil bildet ein Andante con anima; sein liedhaftes, anmutiges Thema, vom Solo instrument mit Streicherbegleitung vorgetra gen, wird in zwei figurativen, sehr virtuosen Variationen abgewandelt, deren letzte im Pia- nissimo der Pauken verklingt. Zu dem das Con certino brillant abschließenden Allegro, einem heiter-sprühenden kleinen Rondo im 6/8-Takt, leitet ein langsamer, rezitativartiger Zwischen satz (Piü lento) mit Verwendung der tiefen Kla rinettenregister über, einer für Weber beson ders charakteristischen Klangfarbe. Im Concer tino läßt sich bereits Webers Fähigkeit, die in strumentale Melodik ganz im Sinne des Voka len zu erfassen, erkennen. „Die Haupteigenschaften meiner Musik sind leidenschaftlicher Ausdruck, innere Glut, rhyth mischer Schwung und überraschende Wen dungen", schrieb Hector Berlioz, der französische Komponist, glänzende Instrumen tator, eigentliche Begründer der Programm- Musik und Schöpfer der sinfonischen Dichtung, in seinen Lebenserinnerungen. Berlioz’ Musik spiegelt die gesellschaftliche und geistige Wi dersprüchlichkeit in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wider, insbesondere die typi schen Wesenszüge der Menschen jener Epoche. Ausgehend von Beethovens Pastoral-Sinfonie, in welcher der Wiener Klassiker bekanntlich „mehr Ausdruck der Empfindung als Malerei" verlangt hatte, machte der französische Meister die Musik zum Ausdrucksträger seiner dichte risch-programmatischen Vorstellungen. Dabei erschloß er dieser Kunst einen völlig neuen Gefühlsgehalt, eine faszinierende Bildhaftig keit, die ihn zum „realistischen Romantiker" werden ließ. Berlioz, ein besonderer Verehrer der Tonspra che Carl Maria von Webers und seiner neuar tigen, originellen Instrumentationskunst, die ungeahnte Charakterisierungsmöglichkeiten vor allem der Blasinstrumente erschloß und an die er unmittelbar anknüpft, besaß einen einmali gen Klangsinn. Von Weber, dessen „Aufforde rung zum Tanz" er instrumentierte, empfing er die Anregungen für seine weit in die Zukunft wirkende Instrumentationslehre. Damit wurde das, was dieser seinem Jahrhundert klanglich an Möglichkeiten eröffnet hatte, zugleich ein Ausgangspunkt für die virtuose Orchesterbe handlung Franz Liszts, Richard Wagners, Ri chard Strauss’, Gustav Mahlers, Claude De bussys u. a. Durch Steigerung der Ausdrucks mittel und des Umfangs des Orchesterappara tes erzielte Berlioz ungewöhnliche, neue Klangwirkungen. Das Orchester wurde bei ihm zu einem Instrument, mit dem er virtuose und Klangfarben-,, Sensationen" hervorbrachte. Manchmal entsteht sogar der Eindruck, als ob die musikalische Erfindung bei ihm durch eine „instrumentatorische“ ersetzt wurde. Neben der großen Anregerrolle, die er als Schöpfer des modernen Orchesters und glänzender Klang zauberer spielte, darf man jedoch in dem Mei ster getrost einen der ganz großen französi schen Komponisten sehen. Die O u v e r t ü r e „Der römische K a n eva I ", ein glänzendes, turbulentes Orche sterstück voller federnder Rhythmen, über schäumender Phantasie und kapriziöser Heiter keit, entstand als zweite Ouvertüre zu seiner Oper „Benvenuto Cellini" im Jahre 1844. Des halb enthält das Stück zwei Themen aus der Oper: das Thema des Karnevalschores mit sei nem schwungvollen italienischen Saltarello- Rhythmus und das lyrische Thema aus dem Liebesduett des ersten Aktes, das einen zärt lichen Kontrast zu der tänzerisch-ausgelassenen Grundatmosphäre der Ouvertüre schafft. Der Titel sagt alles über den Inhalt des Stückes: Volksfreude, zündendes, lebensvolles Karne valsgeschehen mit Liebesgeflüster, Maskentrei ben und wirbelndem Kehraus. übrigens hatten die ersten Pariser Aufführun gen des „Freischütz“ 1826 Berlioz das noch kaum erschlossene Gebiet des Phantastischen und Spukhaften enthüllt. In der „Symphonie fantastique" ist dies auch hörbar. Geht nicht auch die Höllenfahrt in „Fausts Verdammung" in direkter Linie auf das Freikugelschießen und die Wilde Jagd im „Freischütz" zurück? Als Weber auf seiner letzten Reise — der Fah^^ nach London zur Uraufführung des „Obero,^^ — im Februar 1826 in Paris Station machte, um berühmte Komponistenkollegen wie Cherubini, Rossini, Ferdinando Paer, Catel und Auber zu treffen, versuchte allein sein glühendster fran zösischer Verehrer, Berlioz, vergeblich, ihn zu sprechen. In seinen „Memoiren“ heißt es dar über: „Wie sehr wünschte ich, ihn zu sehen! Mit welchem Herzklopfen verfolgte ich ihn an jenem Abend. Meine Verfolgung war vergeb lich . . . Im Gegensatz zu den Erscheinungen in Shakespeares Dichtungen blieb er allen Men schen sichtbar, unsichtbar nur einem einzigen“. Mit dem Ausdruck, grenzenloser Bewunderung rühmte er Webers „schlichte Wahrhaftigkeit", seine „stolze Ursprünglichkeit“ seinen „Haß gegen den Formelkram". Viel zitiert ist auch sein Ausruf in seiner „Instrumentationslehre" am Ende der Ausführungen über die Klarinet te: „O Weber!!" Webers Beispiel nationalen Freiheitsdenkens, das verbunden war mit dem aus Aufklärung und Klassik übernommenen menschheitlichen Be freiungsdrang — sichtbar im Sieg des Guten und im Triumph des Volkes in seinen Stücken — regte vor dem Hintergrund der Herausbil dung bürgerlich-kapitalistischer Nationalstaa ten im 19. Jahrhundert national akzentuierte Opernwerke in Rußland, Böhmen, Ungarn, AÜen an. So wie das von Weber als Opern lektor des Ständetheaters in den Jahren 1813 bis 1816 aufgebaute Repertoire den Spielplan des deutschen und später auch des tschechi schen Operntheaters in Prag beinahe noch im ganzen 19. Jahrhundert bestimmte, laufen Fä den von seinem Opernschaffen, insbesondere vom „Freischütz", zur nationalen tschechischen Opernproduktion von Bedrich Smetana und Antonin Dvorak, so daß mit Fug und Recht unser heutiges Konzert mit einem Beispiel ro mantischen Musikdenkens aus der tschechischen Sinfonik ausklingen kann. Antonin Dvorak schrieb seine Sinfo nie Nr. 5 F-Dur als 34jähriger im Jahre 1875. Das Werk wurde fälschlicherweise lange Zeit als dritte Sinfonie bezeichnet, da es Dvoraks Verleger Simrock aus kaufmännischen Erwägungen 1888 unter dieser Nummer und mit der zu hohen Opuszahl 74 (eigentlich erst op. 24!) veröffentlicht hatte, nachdem vorher bei ihm die in Wirklichkeit später entstandenen Sinfonien D-Dur und d-Moll (ihrem Entste- Jwngsdatum nach Nr. 6 und 7) als Nr. 1 und 2 ^Ähienen waren. Die alte Bezeichnung der rtmften Sinfonie als Nr. 3 bezog sich also le diglich auf die Reihenfolge der Herausgabe. Der Komponist widmete das einem sehr frucht baren Schaffensjahr entstammende Werk dem großen Dirigenten Hans von Bülow, der ein tatkräftiger Förderer seiner Kompositionen war und ihn in einem Brief aus dieser Zeit den „nächst Brahms gottbegnadetsten Tondichter der Gegenwart“ nannte. Dvorak dirigierte seine am 25. März 1879 unter der Leitung von Adolf Cech in Prag uraufgeführte F-Dur-Sinfonie auch selbst häufig, u. a. in Brünn, Prag, Mos kau und am 13. März 1889 auch als Gast des Gewerbehaus-Orchesters in Dresden, des Vor läufers der Dresdner Philharmonie. Das Werk, das bereits in starkem Maße die Meisterschaft und Ausdruckssicherheit des Komponisten er kennen läßt, wurde von dem Musikforscher Her mann Kretzschmar übrigens als Dvoraks „Pa storale" bezeichnet — ein Name, der allerdings eigentlich nur für die ersten drei Sätze der Sinfonie, ganz besonders für den ersten, Gül tigkeit hat. Eine idyllische, naturverbundene Grundstim mung besitzt der sonnige erste Satz (Allegro ma non troppo). Die Klarinetten und danach die Flöten stimmen das freundliche, aus zer legten Dreiklängen bestehende Grundthema an, dem ein kraftvolles zweites Thema (Gran- dioso) und ein melodisch einfaches Seitenthe ma in D-Dur folgen. Nach der frischen, far benfrohen Durchführung führt die Coda mit einer Vereinigung von Grund- und Seitenthe ma im Fortissimo zu einem letzten Höhepunkt, um dann im Pianissimo zu verklingen. Der zweite Satz, ein etwas melancholisches Andante, dessen kantables Hauptthema zuerst von den Violoncelli vorgetragen wird, ist in dreiteiliger Rondoform angelegt. Der Mittelteil (Un pochettino piü mosso) bringt im Kontrast zum ersten Teil eine Aufhellung der Stimmung. Mit einer rezitativartigen kurzen Überleitung schließt sich der dritte Satz nach einer „ganz kleinen Pause" unmittelbar an den vorherge henden an; dann setzt das Allegro scherzan- do mit liebenswürdig-tänzerischen Klängen ein, die wieder unmittelbar die nationale Zugehö rigkeit der Ausdruckswelt des Komponisten spiegeln. über den pastoralen Charakter der schlichteren ersten drei Sätze hinaus geht das meisterhafte Finale, das mit einer breit ausladenden Anla ge, seiner starken dramatischen Spannung und seiner auch harmonisch kühnen, neuartigen Konzeption bereits zu Dvoraks bedeutendsten sinfonischen Sätzen gezählt werden muß. Nach schwankenden Stimmungen, dramatischen Kon flikten und lyrischen Episoden kommt es zu Ausbrüchen jubelnder Daseinsfreude. Die hym nische Steigerung des Schlusses gipfelt in der sieghaft-strahlenden Wiederkehr des F-Dur- Hauptthemas des ersten Satzes in den Posau nen, mit der ein Brückenbogen vom Anfangs- zum Schlußsatz geschlagen wird. Prof. Dr. habil. Dieter Härtwig