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renden Dichters und des nachempfindenden Musikers läßt sich nicht übersehen. Während Nietzsche sich aus Siechtum, Gehemmtsein und Lebensrausch in eine ersehnte Wirklichkeit schmerzvoll hineinträumte, trat Strauss mit der bajuwarischen Vitalität seines geistigen und körperlichen Wesens an diese Weltanschauung heran. Mögen die dithyrambisch-ekstatische Sprache Nietzsches und einzelne erschaute Ge dankenbilder die Phantasie des Komponisten beflügelt haben: eine solche .Tondichtung (frei nach Nietzsche) für großes Orchester* konnte in seinem Gesamtschaffen nur Aus druck der .Verwegenheit' sein — ein Suchen nach neuen Ausdrucksformen. Sich selbst hat Strauss bei der tondichterischen Beschwörung des Nietzscheschen .Übermenschen' bestimmt nicht gemeint. Die August 1896 in München abgeschlossene und im gleichen Jahr in Frank furt am Main uraufgeführte Partitur enthält da für keinerlei Anhaltspunkte. Sicher hat Romain Rolland recht, wenn er schreibt: .Das Pro gramm, das sich Strauss gestellt hat, verliert sich keineswegs in unbedeutende, malerische und anekdotische Einzelheiten, sondern wird in einigen ausdrucksvollen und majestätischen Zügen umrissen.' Aber er, der später von einem .schwachen Werk' sprach, übersieht, daß dies populär-weltanschauliche Kompendium von Diesseitigkeit und Mystik, von gelösten und ungelösten Welträtseln auch in solch klang sinnlicher Gestalt die Hörer verwirrt und den Zugang zu den musikalischen Schönheiten er schwert. Dabei ist gerade bei diesem Stück, das seiner Struktur nach gehört und nicht ge sehen werden will, der Anteil des Formkünst lers und Klangzauberers Strauss bedeutend; aus seinen klangsinnlichen Reizen resultiert wohl auch in neuerer Zeit eine stärkere Ver breitung. Formal erkennt man mühelos eine sinfonische Fantasie, die ihre Anregung aus verschiedenen Partien der Dichtung empfängt. Das Grundproblem, das Nietzsche und somit auch Strauss bewegt, ist das Verhältnis des Menschen zur Welt — zur Natur. Sonnenauf gangspoesie, anknüpfend an den als Geleit wort vorangestellten ersten Teil des Hymnus an die Sonne, eröffnet die Partitur — diese nicht leicht zu überschauende Introduktion mit ihren raschen Dur-Moll-Schaltungen und ex tremen Kontrasten von Licht und Schatten wächst aus dem lapidaren, der Trompete über ¬ tragenen C-Dur-Urmotiv der Natur heraus, das nichts anderes als die durch die Quint ge teilte Oktave ist. Daran reihen sich acht ge schlossene, gleichwohl kunstvoll miteinander verbundene Gebilde, .Nummern', wenn man so will. Im Gegensatz zu den denkbar unphi losophisch einfachen Klangsymbolen für die strahlende Sonne (erstmals verwendet Strauss die Orgel), die Sehnsucht, Freuden und Lei denschaften stehen die dunkleren Klangberei che der Einsamkeit, des Rätselvollen. Höchst eindrucksvoll, wie der Komponist beim ab schließenden .Nachtwandlerlied' die H-Dur- Helligkeit des Diskantes gegen das surrende C der Bässe, den Grundton der Natur, setzt. Zur Charakterisierung der .Hinterweltler' klingt .Credo in unum Deum' in den Hörnern an,W neue nervös-pathetische klangliche Räume stößt Strauss beim vielgeteilten, wunderbar strömenden Streichermelos des Gesangs des Glaubens vor. ,Von der großen Sehnucht' wird auch musikalisch zum unaufhaltsam sich stei gernden Drängen und Emporstreben. Der Glo rifizierung des Irdischen (,Von den Freuden und Leidenschaften') folgt das Funebre des ,Grab liedes*. Bei der Ironie der Fuge, deren Rei henformung man allen Ernstes als frühes Bei spiel einer Anwendung der Zwölftontechnik herangezogen hat, wird die Musik, dem The ma .Von der Wissenschaft' entsprechend — .scholastisch*. Der .Genesende' kehrt sich noch mals dem sinnenfrohen, lachenden Leben zu; und beim beschwingten, merkwürdig wienerisch eingefärbten .Tanzlied' tritt der Musiker in naiv-unbekümmerter Daseinsfreude auf den Plan. Doch selbst dieser ,Tanz der leichten Füße* vermochte nicht, Nietzsche den Menschen nahezubringen." (Ernst Krause) VORANKÜNDIGUNG: Sonnabend, den 25. Oktober 1986, 19.30 Uhr (Freiveffc; Sonntag, den 26. Oktober 1986, 19.30 Uhr (AK/J) Festsaal des Kulturpalastes Dresden 2. AUSSERORDENTLICHES KONZERT Gastspiel der Prager Sinfoniker Dirigent: Petr Altrichter, CSSR Solist: Boris Krajny, CSSR, Klavier Werke von Ivan Parik und Antom'n Dvorak Programmblätter der Dresdner Philharmonie Redaktion: Dipl.-Phil. Sabine Grosse Spielzeit 1986/87 — Chefdirigent: Jörg-Peter Weigle Druck: GGV, BT Heidenau 111-25-16 2,85 JtG 009-61-86 EVP —,25 M