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Sonnabend. Zweite Ausgabe. MM S llhr. LS. Juli L8SL. Die Zeitung er. Meint täglich zwei mol und »ird ausgegeben in Leipzig Vormittag« l l Uhr, Abend« < Uhr; in »»«»»«» Abend« i Uhr, Vormittag» 8 llhr. Preis für da« Vierteljahr > Thlr.; jede einzelne Num mer l Rgr. —- Nr. 367. Deutsche Mgeuieiue Zeitung. «Wahrheit und Recht, Freiheit und Gesetz!» Zu beziehen durch alle Poft' ümter de» In- und Ausland«», sowie durch die Expeditionen in Leipzig (Querstraße Nr. v) und lvre«de« (bei E. Hickner, Neustadt, An der Brücke, Nr. 2). gnserttonSgebühr für den Raum einer Zeile r Ngr. Die „Reuen Gespräche" des Hrn. v. RadowiH. n. (Vgl. Nr. 354.) Dresden, 14. Juli. „Wir sind verloren, ein Spott der Feinde, eine Schmach im eigenen Lande. Aber der Tag der Vergeltung wird nahen, eS wird Rechenschaft gefedert werden von Groß und Klein, von Denen, welchen der schlechte Wille zum Erfolge, und Denen, welchen der gute Wille zur Niederlage verhalf! Was habt ihr gemacht aus der Nation, die sich eurer Ehre, eurer Macht anvertraute, wo habt ihr hin gebracht das Kleinod, das wir in eure Hände legten, die Einheit Deutsch lands, seine Herrlichkeit und Macht? Wahrlich, man wird sie nicht von dannen lassen, bis sie auch den letzten Heller bezahlt haben, bis der Fre vel der Einen, die Schwäche und der Wankelmuth der Andern wieder getilgt ist!" So läßt Radowitz einen Freund, den er hochachtet, einen Bundesbruder der geheimen, vornehmen Revolutionsgesellschaft, reden, und wenngleich die diplomatische MaSke mit dem Namen „Waldheim" zu solchen Ausbrüchen des Zornes und der Leidenschaft den Kopf schüt telt, so muß sie doch bekennen, wie ihr Niemand nachsteht in dem fres senden Kummer darüber, daß Deutschland dergestalt zwischen das Edelste und Niedrigste gestellt, seinen Innern und äußern Feinden erlegen ist. Sie weiß keinen Trost als den, daß Gott anders richten werde als die Welt, da Gott die Herzen und die Nieren prüfe und nicht die greiflichen Erfolge; ein Trost freilich nur, der den Politiker in dem Christen auf gehen läßt und der Denen ein flüchtiges Beifallslächeln abzwingen mag, die prunkend die christliche Liebe im Munde, aber den Todhaß still im Herzen tragen. „Gott wird anders richten", vielleicht auch schon das Gericht eineö kommenden Geschlechts, -daS manchen Nebel hat fallen und die „Wahrheit" ihr Recht hat erlangen sehen; den bekümmerten Vater- landöfreunden von heute aber mag man es verzeihen, wenn sie, mitten in die graue Dämmerung unserer neuesten geheimen Staatsgeschichte gestellt, im Nnmuth über daS Schicksal Dessen, waS sie Deutschlands Recht und Priußenö europäische Geltung nennen, die Grenzlinie der Gerechtigkeit gegen einzelne Personen nicht finden können. ES ist noch unvergessen allüberall, daß, als der Hammer der königlichen Macht der Revolution den Kopf zerschlagen, die deutschen Regierungen ihren ehe maligen Anhängern, den konservativen, statt der von Jedermann als Bedürfniß erkannten weltgeschichtlichen That daS Hinsiechen deS Gedan kens, daS peinvolle Zerrinnen der Ausführung boten. Als die deutsche Frage 1849 in daS entscheidende Stadium gekommen war, maß der Kö nig von Preußen seinen Entschluß lediglich nach persönlicher Gewissen haftigkeit, nicht nach Begeisterung, nicht nach StaatSktugheit, nicht nach Vernunft. Waldheim läßt ihn sagen: „Ich erkenne die Herstellung eines Gemeinwesens als eine gerechte Foderung der Nation und als eine wahre Mission für Preußen; aber höher als dies, höher als Alles steht mir das göttliche Gebot, daß ich meine Hand nicht ausstrecken darf nach fremdem Gute. Ich darf kein deutsches Fürstenhaus zwingen, daß es sich seiner Rechte begebe, weder direct durch meine Waffen, noch indi- rect, indem ich den Aufruhr in seinem Lande entzünde. Durch Letzteres, durch die sogenannte legale Revolution in den Vereinen, Sturmpetitio nen und Steuerverweigerungen oder durch die illegale Revolution in den Straßen würde ich zudem die Grundlage aller Obrigkeit vernichten, also auch die meinige. Den Aufruhr in Ungarn und Italien nähren und in Polen anfachen, ist nur der nothwendige, letzte Schritt dabei. Ich will den Teufel nicht auStreiben durch der Teufel Obersten! Nur freie Ueber- zeugung, nur rechtliche Zustimmung der Regierungen darf daö Werk der politischen Wiedergeburt Deutschlands gründen. Ich halte die Einigung der Nation unaussprechlich hoch, ich habe eö gethan, seitdem ich denken und empfinden konnte, aber meine Pflichten als christlicher König noch höher. Beide liegen so weit auseinander als Himmel und Erde; das sind nicht Sentenzen, sondern Gebote; hier stehe ich und kann nicht anders." Wir wollen diese Politik nicht als eine transcendentale, hyper christliche verurthetlen, wir wollen nicht untersuchen, ob und wieviel an ihr christliche Abkehr oder Scheu vor dem Ernste des Entschlusses Theil gehabt hat; daß aber nicht nur außerhalb, sondern auch innerhalb der Mauern schwer gefehlt worden ist, das erkennt selbst Waldheim-Rado witz in vollem Maße Pi. Wenn er daneben verlangt, daß wir „das reinste Herz, das je auf einem Throne geschlagen", mit seinem eigenen Maße messen sollen, so dürfen wir darauf erwidern, daß wir nie Wasser mit der Elle', nie die Entfernung mit dem Scheffel gemessen und daß gerade wir nie aufgehört haben, die Lichtseiten an dem Charakter jenes Fürsten hervorzuheben. Aber sein „geheimnißvoller" Rathgeber? Er hat eS mit keiner Partei verderben wollen während der zwei Jahre, in denen die Zukunft Deutschlands in seinen Händen ruhte oder sich ver barg, sagen seine Feinde. Er hat eS keiner Partei recht machen wollen, versichert er selbst. Die Wirkung bleibt dabei dieselbe, aber daS sittliche Motiv ist ein äußerst verschiedenes. Die sogenannten specifischen Preu ßen sagten zu ihm: „Du gehörst zu uns, denn dein Herz ist dem Kö nige, deine Treue dem Dienste, Beides dem Lande unauflöslich verpfän det. Ergreifen wir also den Moment, den nicht leicht wiederkehrenden, um Preußen aus dem deutschen Wirrsal reichen Vortheil zuzuwenden." Er mußte antworten: „ES handelt sich nicht bloö um Preußen, sondern um Deutschland. Preußen hat einen hohen Beruf empfangen, den Be ruf zur Wiedergeburt der Nation; diesen Beruf muß eS erfüllen. Durch und in dieser Erfüllung wird es groß und herrlich werden, nicht durch den Zuwachs einiger Quadratmeilen und Einwohner." Die Contrere- volutionaire sagten zu ihm: „Du gehörst zu unS, denn du hast in in niger Gemeinschaft mit uns den Kampf geführt gegen die Ursachen und Vorboten des JahreS 1848. Vereinige dich also mit unS, brich mit der Revolution, tilge ihre Spuren in der Verfassung vom 31. Jan." Er mußte antworten: „Das darf und will ich nicht; nicht brechen, son dern zerbrechen, das ist die Aufgabe. Die Revolution als Princip ist das Unrecht, die Unvernunft. Ihr gegenüber muß das Recht, die Ver nunft befestigt werden, das heißt sie zerbrechen. Die Revolution als ge schichtlichen Hergang aber kann Niemand ungeschehen machen; was hier durch veranlaßt wurde, daö darf Niemand willkürlich antasten, wenn eS rechtsbeständig geworden ist." Die Oesterreicher sagten: „Du gehörst zu unS, denn du wolltest von jeher nicht, daß Oesterreich von Deutsch land loSgerissen und mit Preußen entzweit werde. Also betritt einen Weg, der uns zusagt." Darauf mußte er erwidern: „Oesterreich mit Deutschland und Preußen entzweien, daö wollte ich nicht und Niemand will es mit Vorsatz und Absicht. Aber ich kann eure Wege nicht gehen, denn ich bin Preuße uud Deutscher und habe zuerst danach zu fragen, waS beiden heilsam ist, dann erst, wie dieses mit einem für beide Theile ersprießlichen engen Verhältnisse zu Oesterreich zu vereinigen ist." Die großdeutschen Katholiken sagten: „Du gehörst zu unö, denn du gehörst unserer heiligen Kirche an. Also laß die preußische Spitze der Union fallen und stelle dadurch daS konfessionelle Gleichgewicht her." Er mußte antworten: „Ich gehöre der katholischen Kirche an mit Leib und Seele, aber nicht der großdeutschen Politik; ich darf Beides nicht vermengen und kann nicht von der Ueberzeugung lassen, daß der Bundesstaat die durch Recht und Vernunft gebotene Gestalt für Deutschland ist und daß dieser nicht anders als durch ein preußisches Primat zu gründen ist." Die Gothaner endlich sagten: „Du gehörst zu uns, denn du willst die Na tion aus ihrer Zerrissenheit erlösen und zur Einheit führen. Ergreife also jedes Mittel, um die Union sofort durchzuführen!" Darauf antwortete er: „DaS ist mir nicht erlaubt; denn Recht und Vernunft setzen auch hierin bestimmte Schranken; nicht jedes Mittel, das zum Ziele führt, ist gestattet." Wenn schon die alten Römer verlangten, man solle über die mensch lichen Dinge weder weinen noch lachen, sondern sie verstehen, so mag die im Vorhergehenden zusammengestellte llsvuo nStrospootivo das Ver- ständniß jenes Mannes erleichtern, den während seiner öffentlichen Stel lung ein allgemeines Miötrauen, eine durch alle Parteien gleichförmig durchgehende Verdammung verfolgte. Für dieses Verständniß findet sich in den „Neuen Gesprächen" noch ein Lichtschein, der jedenfalls bemer- kenSwerth ist. Ist doch dem Alterego des Geheimnißvollen selbst der ernste Zweifel geblieben, ob der Mann von Erfurt sich in einer konsti tutionellen Regierung zum verantwortlichen Rathgeber zu so schwieriger Zeit herbeilassen durfte. Wohl fühlte er, daß er seinen königlichen Freund vor dem Lande venreten könne, ob aber auch daS Land vor dem Kö nige? „Wenn er hier und da anders erkannte und wollte, als eS in der theuren Seele seines Königs lag, hielt er sich auch befugt Anderes zu thun?" Nein! das wollte er nicht und das ist sein Schicksal gewe sen. Ist hierbei noch etwas dunkel? Die Parteiung im eigenen Lande, das ist die Achillesferse der preußischen Politik gewesen. Nach dem Für- stencongresse waren eö nicht die Besorgnisse vor österreichischem und bairi schem Widerspruche, war eö nicht die Furcht vor auswärtigem Einschreiten, waö zwischen die richtige Einsicht und die Ausführung im preußischen Ministerium trat, eS war der Zwiespalt im eigenen Lager, der bis zur- Spitze deS Staatö Bahn gewonnen. Vom Beginne der großen, schwarz- roth-goldenen Bewegung an hatte eine Partei in Preußen in ihr nur ein Werkzeug der Demokratie und ein Verderbe» für die Monarchie er-