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»S!, raths zu nehmen; er horchte mit großer Aufmerksamkeit zu, und seine Miene, je länger er zuhörte, wurde je ernsthafter^. ... Bei Madame Wolston schien gerade daS De^entheil d«r KM zk seiy; sie spielte mit Brotkrümchen, gab halbe oher verkehrte Aytworten untz sifig endlich quer über den Tisch eine ganz abweichende Unterhaltung M Herrn Waller an. ' Aber so hören Sie doch, Madame, rief Herr Wolston mit strenger Miene dazwischen. Ich bi» sogleich zu Ende, versicherte der Justizrqth. . Der arme Teufel wurde, wie gesagt, toll; soll auch übrigens allerhand halb dumme, halb schlecht« Streiche gemacht haben, und ist mir endlich, wie das in der Welt so geht, völlig aus de» Augen gekommen. Jetzt nun, einer gewissen An gelegenheit halber.... c -- Erbschaftsangelegenheit? schaltete Herr Äöolstön ein, indem er mit selt samen Blicken bald den Justizrath, bald seine Gemahlin »naß. Nichts von ErbschaftSangelegenheit, erwiderte der Justizrath ruhig» aber doch immerhin eine Angelegenheit, die mir wichtig genug ist, um Nachfor schungen nach dem Verschollenen anzustellen; ich dachte, die Frau Baronin könnte mir vielleicht dabei behilflich sein, setzte er gutmüthig hinzu. Oh, rief Herr Florus, indem er vor Freude in di« Hände schlug, das trifft sich ja prächtig, das kann ja gar kein Anderer sein als der sogenannte solle Heiner hier im Dorf. . . . Sie sind wol selbst nicht recht bei Sinnen, Herr Florus, sagte die Ba ronin, indem sie rasch die Tafel aufhob: ich kenne den Menschen nicht, dessen widerwärtigen Namen Sie in unsere Unterhaltung mischen, mit mehr poetischer Licenz, als ich von Ihnen erwartet hätte: aber daß das Sub jekt, von dem Sie sprechen, niemals in dem Hause meiner seligen Tante gewesen ist, das weiß ich, und bedaure ich daher, auch dem Herrn Justiz rath keine Auskunft geben zu können, wie schmeichelhaft mir sein Ver- trauen übrigens auch ist; die Polizei oder der Jrrcnvorstand wird wol eine geeignetere Stelle sein Stolz rauschte sie von dannen. Herr Wolston, mit finsterm Gesicht, zog sich ebenfalls zurück. Herr Waller, der wieder von dem Ganzen nichts be merkt hatte, setzte sich an den Flügel und fing an zu phantasiren. Herr Florus, in schmerzlicher Verlegenheit, rückte die Brille bald rechts, bald links. Aber um des Himmels Willen, bester Justizrath, flüsterte er dem Alten zu, waS bringen Sie auch für vertrackte Gespräche aufs Tapet, und was habe ich selbst nur gemacht, daß die Frau Commerzienräthin mich auf ein mal vor aller Welt so hart anläßt? So was ist mir ja nicht passirt, seit ich sie kenne! Der Justizrath schlug ein Gelächter auf, daß die Wände hallten. Seit Sie sie kennen! rief er, das ist der Punkt, Männchen, da liegt es! Ich, Sie haben es heute schon einmal gehört, kenne sie länger — und sie selbst weiß, daß ich sie kenne. Damit ließ er den verdutzten Poeten stehen und eilte mit einer Behen digkeit, die man seinen Jahren nicht zugetraut hätte, in den andern Flügel des Schlosses, um jetzt endlich dem Engelchen seinen Besuch zu machen. Der Empfang von Seiten der jungen Dame war, wie man sich leicht vorstellen kann, höchst befangen und einsilbig. Der Justizrath, in dem jetzt Niemand den übcrmüthigcn, schroffen Mann von vorhin wieder erkannt hätte, so sanft und herzlich trat er jetzt auf, und so aufrichtige, väterliche Zärtlichkeit leuchtete aus seinen Augen, faßte sie leise unters Kinn und richtete das holde Köpfchen mit zartem Druck in die Höhe. § Meine kleine Freundin ist böse auf mich, sagte er; meine kleine Freun din meint, der erste Gang deS alten polternden Advocaten hatte zu ihr sein müssen, und bedenkt nicht, daß zwischen ihr und mir kein Streit ist und daß überdies ein kluger Feldherr allemal zuerst das Terrain inspicirt. Kopf in die Höh', Engelchen, und das Herz auch! Unsere Sachen machen sich besser als ich dachte; Ihr Stiefpapa ist lange der Menschenfresser nicht, als den Sie ihn mir früher geschildert haben, und was Ihre gnädige Frau Mutter betrifft, so hab' ich da schon meine Fädchen, an denen ich sie halte.,.. Wohlwollen und Freundlichkeit waren zu sehr die Natur des Engelchen, als daß sie einer so herzlichen Anrede gegenüber alle Angst und Kränkung, die sie ausgestanden, nicht sogleich hätte vergessen sollen. Die Thränen stürzten ihr aus den Augen, wie der alte Herr sie liebkoste; aber es wa ren, schon mehr Thränen des Dankes als des Schmerzes. Ja, sagte sie, ich will es nur gestehen, ich war recht bös auf Sie, Herr Justizrath; ich habe mich sehr geängstigt, daß Sie alle die Zeit gar nichts von sich hören ließen, und als sie nun gar beinahe vierundzwanzig Stun den mit mir unter einem Dache sein konnten und hatten kein Wort, keinen Blick für mich, da dachte ich allerdings, das Herz müßte mir brechen vor Betrübniß; cs war nicht blos deshalb, daß ich nun ganz verlassen, ganz rathlos war, es war noch weit mehr, weil ich fürchtete, Ihre Freundschaft, Ihre väterliche Liebe verscherzt zu haben. - Nun aber sind Sie ja da, Sie nennen mich Ihr Engelchen und richten mir den Kopf in die Höhe, wie ehedem; nun will ich auch wieder Ihr verständiges, tapferes Kind sein, und wie es auch komme, Sie sollen Ehre mit mir einlegcn. Allein dieser gute Muth hielt nicht lange vor. Der Justizrath, noch ganz voll von dem Gespräch, das er heute früh mit Herrn Wolston gehabt, sowie noch ganz stolz über die Vortheile, die er nach seiner Meinung über denselben gewonnen hatte, beeilte sich dem Engelchen den Inhalt der Un terredung ausführlich mitzutheilcn; er setzte ihr die Vortheilc deS Vergleichs auseinander, über den er unterhandelt hatte, und fügte hinzu, daß eS nun von ihrer Seite nur ein klein wenig Klugheit, ein klein wenig Entgegenkommen bedürfen werde, um ihren Stiefvater wirklich zum Abschluß defftkbrkt Wl bewegen. , . Jn' dttp Mr, mit. welchen» der alte Hpr, utzähke, h-ttr «r gar nicht beaiech, DieMgelicä, Wit jedem Wort«, dal epsOach, ttücher und bleicher geworden'-wär i>'bis sie endlich,, mkklen unter seines Erzählung, rasch in die Höhe fuhr und weit von ihm zurücktretend, mit emporgehobener Rechte —: Nie, nie, rief si«, werd' ich diesen oder irgend einen andern Vergleich mit Herrn Wolston eingthen! Mein Recht zu vertheidigen habe ich Sie gebeten, .Herr Justizxath, nicht eimm Vergleich für mich zu schließen, bei dsyz.Wikr Recht njit Küß«» getreten wird, ja was sag' ich? bei dem ich e- selbst mit Füßen tret«! In leidenschaftlicher Erregung ging sie vor dem Justizrath auf und nie der; ihr Antlitz war jetzt von Purpurröthe übergossen und fest und sicher bohrte ihr Aug« in das deS Justizrath«. Recht! Recht! polterte der Alt«: diese jungen WeiWilder gehen mit den Worten um, als wären es Pfeffernüsse — soll ich Ihnen sagen, mein Schah, was Ihr Recht ist? Binnen hier und fünf Tagen dem Commer- zienrath über den armseligen Nest Ihres mütterlichen Vermögens zu quit- tiren und dann aus dem Hause zu gehen. Aus dem Hause! von der Seite meines BruderS! rief Angelica verächt lich; seien Sie unbesorgt, Herr Justizrath, ich bi» nur ein Mädchen, aber solange noch ein Athemzug in meinem Bruder ist, werde ich nicht gehen! Sie werden gehen müssen, Schätz, erwiderte der Justizrath mit unerbitt lichem Phlegma. Ja, wenn Sie auch allerdings nur ein Mädchen sind, so hätte ich von Ihrem sonst so klaren Verstände dennoch erwartet, daß Sie die Lage der Sache besser durchschauen.-würden. Ich haße mich mit JhE Angelegenheit mehr beschäftigt und mehr darin gearbeitet, als Sie ahnen. Wenn ich Sie solang« ohne bestimmte Antwort gelassen, so geschah daS nur, weil ich selbst noch ohne die entscheidende Antwort von andern Orten her war. Und ebenso jetzt, wenn ich siebzigjähriger Mann in so schlechter Jahreszeit in Person hierher komme, so geschieht das ebenfalls nur, weil mit Tinte und Feder, mein gutes Engelchen, in dieser verlorenen Sache nun einmal nichts auszurichten ist und weil meine ganze Hoffnung für Sie nur noch auf persönliche Unterhandlungen und Vergleiche gesetzt sein kann. Es ist sehr viel Ungesundes «Nd Verkehrtes in diesem Hause, und ist es gewe sen seit alten Zeiten. Das ist schlimm für Sie, und doch auch wieder gut. Denn was keine Advocatenweisheit ausrichten könnte, das kann hier viel leicht der Blick eines alten ehrlichen Kerls, verstehen Sie? indem er seine Augen noch gewaltiger blitzen ließ als gewöhnlich, so ein Blick, der wie ein Blitz auf die eingeschlafenen Gewiss«» niederfährt, daß sie aufflammen lich terloh. Aber bleiben wir bei der Sache, gutes Kind. Ich habe alle Pa piere und Schriften gewissenhaft durchforscht, habe alle Umstände und That- sqchen genau zusammengestellt; ich sage Ihnen, daß hier gar kein Proceß zu führen ist.! DaS Testament ist seltsam, ist abenteuerlich, aber es ist ju ristisch nicht anzugreifen — Das Testament ist falsch! ist meiner Mutter untergeschoben, abgezwun- gen! rief Angelica mit einer Sicherheit, die gleichwol den alten ergrauten Praktikus nicht auS dem Text bringen konnte. Möglich, liebe« Engelchen, sagte er,»ja, was den lehtern Punkt angcht, höchst wahrscheinlich. Aber wir haben keine Spur von Beweisstücken iw der Hand. Ruhmredigkeit, gutes Kind, ist nicht meine Art und am we.-! nigsten gegen Sie möchte ich prunken und groß thun mit Dem, was ich für Sje Methan. Aber Sie »öthigen mich ja dazu, Sie verwetterter klei ner. Eigensinn! Kurz denn: ich habe nach England geschrieben,, ich hgbe Monate lang durch di« geschicktesten und schlauesten Agenten die sorgfältig sten Nachforschungen anstelle» lassen; ich habe auch viel und mancherlei in Erfahrung gebracht — davon ein ander mal —, aber nur leider nichts, was uns als Beweisstück gegen Ihren Stiefvater dienen konnte. Der Vergleich, über welchen ich unterhandle, ist, ich muß es Ihnen wiederholen, der eine zige leidliche Ausweg, den es für Sie gibt; er verhindert wenigstens den öffentlichen Skandal und sichert Ihnen für alle Wechselfälle deS Lehens eine schickliche und sorglose Existenz. Ich kann arbeiten; warf Angelica trotzig dazwischen. Sehr gut, wenn Sie es können , entgegnete der Justizrath; aber noch weit besser, wenn Sie es nicht brauchen. Kein Geld nöthig haben, von seiner Arbeit leben — ja freilich, das ist auch so eine Pfeffernuß, mit der ihr jungen Personnagen gern euer Spielchen treibt; ich dächte, Sie wären hier eben an dem rechten Ort, um sich zu überzeugen, daß Arbeit im-Ge» gcntheil eine sehr harte, sehr bitter« Nuß ist, und daß Mancher flch d-S- Blut unter den Nägeln hervotarbeitm kann, und kann sein armes Dasein mit alledem doch nicht fristen. Sie haben keine andere Wahl:. Entweder Sie geben nach — - . Nimmermehr! rief das Engelchen. . „ Oder Sie gehen inS Elend — , Niemals! rief sie wiederum. Nun zum Teufel, platzte der Justizrath heraus, oder Sie thun dem Te stamente den Willen und heirathen! Wie? pfeift der Wind daher? und ist es etwa Das, was das gnädige Fräulein wollen? Ich habe auch schon so ein Vögelchen davon singen hören — der dicke Herr FloruS? ist's rich tig? Ein wenig passirt, der Mann, ein wenig kujckbeinig, was man so nennt; aber freilich, ein Poet, ein berühmter Mann.... - Narrenspossen, sagte das Engelchen, indem sie, trotz Aufregung und Be trübniß, doch nicht umhinkonnte, über die komischen Geberden deS alten Herrn zu lächeln; die schneeweißen, aber gleichwol noch sehr dichten Haar« standen ihm in die Höhe, wie eine Wolke, aus der sein von Wein und