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Tod, Gut und Böse, Seligkeit und Verdamm nis, Licht und Finsternis, Niederlage und Sieg sind die Welt, in der er lebt." „Das ist auch die Welt, die in Bruckners Musik dargestellt ist. Um seine Vorstellungswelt sinnfällig, bild haft darzustellen, hat Bruckner eine Tonspra che von großer Eindringlichkeit entwickelt. Man hat in der Beschreibung der Brucknerschen Tonsprache ihre Abhängigkeit von Richard Wagner oft über Gebühr betont. Nur in sei ner Harmonik zeigt Bruckner Wagnersche Ein flüsse. Seine Melodik kommt weit eher aus der Tradition Beethovens und Schuberts. Aber auch der Einfluß Bachs ist in den kurzen, prä gnanten und im Hinblick auf kontrapunktische |rbeit erfundenen Themen nicht zu überhören. Bei alledem ist Bruckners Tonsprache äußerst originell, und diese Originalität verdankt er gerade jener Fähigkeit, die von seinen Bio graphen übersehen, von ihm selbst jedoch in sehr aufschlußreicher Weise dargestellt wurde: seiner Fähigkeit, aus der Beobachtung der Wirklichkeit neue Intonationen zu gewinnen" (G. Knepler). Bruckners Sinfonien, insgesamt Höchstleistun gen der Sinfonik des vergangenen Jahrhun derts, weisen eine ganz unverwechselbare Or ganik auf. Wohl kennen auch sie die vier Sätze der Beethovenschen Sinfonie, die the matisch-motivische Arbeit. Aber Bruckner stellt nicht wie Beethoven dualistische Themen, etwa ein männliches und ein weibliches gegenüber, sondern läßt seine Themen (oft drei in einem Satz!) sich gleichsam aus dem Nichts entfalten zu zwingenden Melodiebögen, ja melodischen Blöcken (diese Entwicklung hält selbst in der Durchführung an). Weniger also dialektische Auseinandersetzung, sondern mehr thematisch geistiges Wachstum zeigen diese Werke. Bruckners musikalisches Bauprinzip, das ge waltige Klangblöcke neben Episoden von in nigstem Ausdruck setzt, wird meistens im letz ten Satz gekrönt, wenn alle Themen der Sin fonie in großartig-hymnischer Schlußsteigerung wiederkehren. Bruckners Tonsprache atmet echt romantischen, klangschwelgerischen Geist. Die Meiodienseligkeit der Volksmusik seiner ober österreichischen Heimat hat ihn oft genug inspiriert. Monumental, riesenhaft sind die äußeren Formen der Brucknerschen Sinfonien, die einmal „zyklopische Orgelimprovisationen" genannt wurden, doch niemals sind sie form los. Ihre Gesetzmäßigkeiten erschließen sich nicht auf den ersten Blick, sondern erfordern vom Hörer intensivste Aufmerksamkeit und Hörbereitschaft. Bruckners 6. Sinfonie A-Dur wurde in den Jahren 1879—1881 komponiert. Das ein stündige Werk erlebte seine vollständige Ur aufführung erst nach dem Tode des Kompo nisten in einem Philharmonischen Konzert in Wien am 26. Februar 1899 unter der Leitung Gustav Mahlers, nachdem schon 1883 die bei den Mittelsätze des Werkes von den Wiener Philharmonikern unter Wilhelm Jahn erstmalig zum Klingen gebracht worden waren. Die Sin fonie, ein Lobgesang auf die Schönheit der Erde, wird gern, entsprechend Beethovens Sechster, Bruckners „Pastorale" genannt. An der Spitze der Exposition des ersten Satzes (Maestoso) steht das aus dem Quintfall machtvoll und männlich ausschwingende Hauptthema der Celli und Bässe, das aus dämmerndem Zwielicht des Anfangs heraus wächst und im vollen Orchesterglanz „einer der strahlendsten Sonnenaufgänge der Musik" wird. Freundliche Gedanken spricht nach elegischem Beginn auch das sangliche zweite Thema aus. Eine einsame Flöte leitet dazu über. Charakteristisch sind besonders die spielerische Quintoie und der volksliedhaf te Ausklang. Ein drittes rhythmisches Thema, von fast allen Instrumenten unisono kräftig vorgetragen, besitzt eine abschließende Hal tung. Die Durchführung und Reprise werden hauptsächlich vom Kernthema bestimmt. Das verhältnismäßig kurze, sehr feierliche F- Dur-Adagio weist eine durchführungslose So natenform mit wiederum drei Themengruppen auf. Es kündet von überschwenglichem Glück (zweites Thema in den Violinen), aber auch von schmerzlichem Verzicht, Liebesleid (erstes Thema in den ersten Violinen mit elegischen Klagerufen der Oboe; drittes Thema, das ernst, dunkel, im langsamen Marschschritt ei ner Trauerprozession erklingt, Celli und Bässe zupfen eine eintönige Begleitung). Die drei Themen werden nacheinander sehr stimmungs voll verarbeitet. Der Scherzosatz ist einer der schönsten, den Bruckner geschrieben hat. Er ist kein derber, bäurischer Tanz, sondern die feingliedrige Darstellung eines phantastischen, gespensti schen Spuks, einer impressionistischen Nacht stimmung. Das Ganze besitzt infolge ständiger Durchsetzung mit Trioien etwas „geisterhaft Huschendes", über dem Klopfen der tiefen Streicher und einem Motiv der zweiten Violi nen und Bratschen bildet sich im dritten Takt — in Holzbläsern und Violinen - das Thema des Hauptteiles. Romantisches, idyllisches Gepräge besitzt das zarte Trio. Eine plastische, thematische Sprache und ein einfacher, klarer, nichtsdestoweniger imponie render Aufbau kennzeichnet das kraftvolle, sieghafte Finale. Dem sich breit in den Violi nen entfaltenden Hauptthema über dem Pizzicato der tiefen Streicher und leisem Tremolo der Bratschen folgt das zweite, strah lend aufgipfelnde Thema (zuerst in den Hör nern) und schließlich das sangliche dritte Thema in den Streichern. Choralhaftes erinnert an den religiösen Untergrund des Bruckner schen Schaffens. In wechselnden farbigen und klangprächtigen Bildern zieht der Satz vorüber und krönt mit seinem lebensfreudigen, hellen Ausklang die Sinfonie, indem neben dem strahlenden zweiten Finalthema das Haupt thema des ersten Satzes in den Posaunen glanzvoll aufleuchtet. Prof. Dr. Dieter Härtwig VORANKÜNDIGUNG: Sonnabend, den 22. März 1986, 20.00 Uhr (Anrecht A 1) Sonntag, den 23. März 1986, 20.00 Uhr (Anrecht A 2) Festsaal des Kulturpalastes Dresden Einführungsvorträge jeweils 19.00 Uhr Dipl.-Phil. Sabine Grosse 7. PHILHARMONISCHES KONZERT Dirigent: Horia Andreescu, SR Rumänien Solist: Oleg Kryssa, Sowjetunion, Violine Werke von Haydn, Schnittke, Sibelius und Strauss ACHTUNG! Vorverlegung des 9. Philharmonischen Konzertes, Anrecht A 2, vom 27. auf den 25. April 1986! Programmblätter der Spielzeit 1985/86 Redaktion: Prof. Dr. Dresdner Philharmonie habil. Dieter Härtwig Druck: GGV, BT Heidenau 111-25-16 2,85 JtG 009-3-86 EVP —,25 M 6. PHILHARMONISCHES KONZERT 1 985/86