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6. ZYKLUS-KONZERT FRANZ LISZT Festsaal des Kulturpalastes Sonnabend, den 1. Februar 1986, 20.00 Uhr Sonntag, den 2. Februar 1986, 20.00 Uhr droscJoon ohilbiQrnnoniie^ Dirigent: Siegfried Kurz, Dresden/Berlin Solist: Lothar Strauß, Berlin, Violine der Welt Musica Instrumentalis Musica humana Musica mundana Paul Hindemith 1895-1963 Sinfonie „Die Harmonie PAUSE Peter Tschaikowski 1840-1893 Violine Konzert für Ktavier und Orchester D-Dur op . 35 AI legro- non-troppo-e—mol't-o-wo-est-oso—-■- • A4+egro"-eort~5pTrf brr .tAudauUno- semplice Pf-estiss+mo Tempo 4 Franz Liszt Tasso, Lamento e Trionfo - 1811 — 1886 Sinfonische Dichtung KAZUNE SHIMIZUS Sieg im internationalen Marguerite-Long-Jacques-Thibaud-Wettbewerb 1981 erregte insofern auch die besondere Aufmerksamkeit der musikalischen Fachwelt, da erst nach 22 Jahren dieser Erfolg wieder einem japanischen Pianisten zufiel. Für Kazune Shimizu begann damit seine internationale Karriere. Der Künstler wurde 1960 in Tokio geboren. Im Alter von vier Jahren erhielt er den ersten Klavierunterricht. 1969 trat er in die Kinderklasse der Toho Gakuen Musikschule ein und wurde dort durch die Professoren Keiko Miura und Hiroshi Miura ausgebildet. 1974 wurde er 3. Preisträger des 28. Wett bewerbs der japanischen Mittelschulen. Zwei Jahre später nahm er seine Studien an der Toho Gakuen Musikhochschule auf und 1978 ging er als 3. Preisträger aus dem 47. Japanischen Musikwettbewerb hervor. 1980-1981 vertiefte er seine Ausbildung am Genfer Konservatorium bei Prof. Louis Hiltbrand. Nach seinem großen Erfolg in Paris kehrte er in die Heimat zurück, wo er bisher mit allen namhaften Orchestern konzertierte. Auf einer ausgedehnten Fernost-Asien-Tournee gab er u. a. vielbeachtete Kon zerte in Singapore und Bangkok. |n unserem Konzert spielt Kazune Shimizu auf eigenen Wunsch statt des im Konzertplan angekündigten 2. Klavierkonzertes von Franz Liszt das 1. Klavierkonzert von Peter Tschaikowski. ZUR EINFÜHRUNG Die Sinfonie „Die Harmonie der Welt" ist Paul Hindemiths monu mentalstes sinfonisches Werk und stellt die Krönung dieses Schaffensgebietes im Rahmen seines gewichtigen Oeuvres dar. Hindemith widmete sie dem Basler Kammerorchester zum 25. Geburtstag und seinem Leiter Paul Sacher. Das 1951 komponierte Werk ist in Aufbau, Faktur, Instrumentation und Aussage ein Ge genstück zur populär gewordenen Sinfonie „Mathis der Maler" aus dem Jahre 1934. Wie bei jener ist der Ausgangspunkt eine Oper und wird das musikalische Geschehen — von der szenisch suggestiven Klanggestik des An fangs bis zu dem triumphalen, von Glocken klängen überstrahlten Schluß — von opernmä ßiger Dramatik bestimmt. Hindemiths sinfo nisches Testament, eine echte Bekenntnis-Sin fonie, imponiert durch Konzentration, Klang dichte und Vergeistigung, durch Spannweite und Aufrichtigkeit der künstlerisch-menschli chen Aussage, durch Klarheit und Meister schaft der kompositorischen Gestaltung, die im dritten Satz in hymnischem, brucknerischem Glanz gipfelt. In diesem Sinne ist die Sinfonie „Die Harmonie der Welt" ein Endpunkt in der Geschichte der bürgerlichen Sinfonik, zu gleich ein bezeichnender Ausdruck für Hinde miths Rückbesinnung auf die alten Formen des Barock und der Klassik (wie Fuge, Pas sacaglia, Sonate), die jedoch durch eine kon- trapunktisch kunstvolle Variationstechnik und die Zuordnung von symbolischen Gestalten eine großartige innere Verwandlung erfahren. Die Verschmelzung konstruktiver und symbo lischer Ordnungsprinzipien durchzieht Hinde miths gesamtes Spätschaffen, über die Sin fonie „Die Harmonie der Welt" äußerte der Komponist folgendes: „Die drei Sätze der Sin fonie sind konzertmäßig verarbeitete Musik stücke aus einer Oper. Diese handelt vom Leben und Wirken Johannes Keplers, den ihn fördernden oder hindernden Zeitereignissen und dem Suchen nach der Harmonie, die un zweifelhaft das Universum regiert. Die Titel der Sätze beziehen sich auf die bei den Alten oft anzutreffende Einteilung der Musik in drei Klassen und wollen damit auf all die früheren Versuche hinweisen, die Weltenharmonie zu erkennen und die Musik als ihr tönendes Gleichnis zu verstehen." Hindemith sieht die Gestalt des Astronomen Johannes Kepler, der als einer der Begründer der modernen Astronomie angesehen wird, vorwiegend vom theologisch-metaphysischen Standpunkt. Ihn interessiert besonders die Zahlensymbolik des Mittelalters im Hinblick auf kosmische Verhältnisse, die sich in der Musik als einem Mikrokosmos widerspiegeln sollen. Entsprechend tragen die einzelnen Sätze der Sinfonie programmatische Titel: „Musica instrumentalis", „Musica humana", „ Musica mundana". „Die .Musica instrumentalis' enthält Musik aus den Opernszenen, in denen widrige äuße re Umstände das Handeln des Helden er „Die Arbeit geht sehr langsam vorwärts un< will mir nicht gelingen", heißt es in einen Brief Peter Tschaikowskis an seiner Bruder Anatol während der Komposition de Klavierkonzerts Nr. 1 b-Moll op 2 3. „Grundsätzlich tue ich mir Gewalt an utg zwinge meinen Kopf, allerlei KlavierpassagS auszutüfteln." Diese Zeilen zeugen von de unerbittlichen Selbstkritik, die der Meister im mer von neuem an sich übte, von seiner schöp ferischen Unzufriedenheit, die es ihm stet schwer machte, an seine künstlerische Leistunc zu glauben. Aber auch der berühmte russisch, Pianist Nikolai Rubinstein, Direktor des Mos kauer Konservatoriums, dem Tschaikowski da Werk ursprünglich widmen wollte und vor dem er technische Ratschläge für die Gestal tung des Soloparts erbeten hatte, lehnte e mit vernichtenden Worten als völlig unspielba und schlecht ab, was sich der Komponist seh zu Herzen nahm. Und doch sollte gerade da schweren. Drei konstruktive Hauptelemenli werden gegeneinander ausgespielt: ein ku" zes ostinates Thema, ein gewichtig voran schreitender Marsch und ein Teil von wilder Ungezügeltheit. Im zweiten Satz, der .Musica humana' (den Szenen entnommen, in denen die seelischen Beziehungen der Handelnden das Thema sind), werden zwei langgezogene Melodien erst einzeln, dann zusammen ge spielt und schließlich mit einem zarten Abge sang beschlossen. Der dritte Satz (.Musicc mundana') versucht, die postulierte Harmonir der Welt in einer musikalischen Form zu sym bolisieren, in der erst ein breites Fugato ent wickelt wird, dann 21 Teile einer Passacaglir über dasselbe thematische Material folget und schließlich eine breite Coda das Stücl zu einem feierlichen Ende bringt." (Paul Hin demith)