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Vivaldi aber wirkungsvoll ausgeprägt und propagiert worden war. In den Jahren um 1710 machte diese Form „als eine damals ganz neue Art von musikalischen Stücken" (J. J. Quantz) in Deutschland Furore. Fasziniert griffen die deutschen Komponisten diese drei- sätzige Vivaldische Konzertform auf, und si cherlich wurde auch Johann Peter Fick vom Vivaldi-Fieber gepackt, denn dank seiner handschriftlichen Kopien sind mehrere Vival dische Werke in Schwerin überliefert. Insbesondere war es die neuartige Binnen struktur des ersten Satzes, die das Interesse der deutschen Musiker erregte: Das mit ei nem zündenden Thema und anschließenden Sequenzfortspinnungen ausgestattete, häufig mehrgliedrige Orchesterritornell am Beginn des ersten Satzes kehrt, auf verschiedene Harmoniestufen versetzt, teilweise oder voll ständig im Satzverlauf wieder. Zwischen die se Ritornelle werden sehr virtuose, teils figu rative, teils thematische Soloteile eingefügt. Der erste Satz des Konzertes von Fick zeigt, wie ein kleiner deutscher Hof- oder Stadtmu sikus diese großartige Form der veneziani schen Frühaufklärung verstanden und ge handhabt hat. Bereits die Wahl des Soloinstruments ist kennzeichnend: Deutschland hatte — vielleicht von Johann Georg Pisendel in Dresden ab gesehen — um 1720 kaum hervorragende Vio linisten vom Schlage Vivaldis, dafür aber aus gezeichnete Bläser. Der Ton der Musik von Fick hat etwas Rührendes, fast schon Empfind sames. Es entfällt die großräumig-überschäu mende Virtuosität, die bei Vivaldi zu einem strukturbestimmenden Faktor der Komposi tion geworden war. In der bunten, turbulen ten Phantastik der weltoffenen Handelsstadt Venedig lag die Emanzipation des Virtuosen gleichsam „in der Luft", sie paßte aber we der in die engen Verhältnisse der deutschen Kleinstaaterei noch zur Gefühls- und Gedan kenwelt des deutschen Gewerbebürgers, die auf Nützlichkeit, asketische Sparsamkeit und biederes Vernunftdenken ausgerichtet war. So ist die Musik zwar instrumental-technisch durchaus nicht leicht zu spielen, die Virtuosi tät wird aber nicht herausgestellt, sondern gezügelt, und ihre freie Entfaltung wird ins besondere durch die Tendenz zur zweitakti gen Gliederung gehemmt, „zur Vernunft ge rufen". Hier und da treten kleindimensionier te thematisch-motivische Gedanken neben die barocken Fortspinnungssequenzen. Die Ritor- nellwiederkehr ist nicht so prägnant ausge bildet wie bei Vivaldi. In der Anlage entspre chen äußerlich der kantable zweite Satz und der tänzerisch-bewegte Schlußsatz (Ritornell- form) dem Vivaldischen Muster, aber der mu sikalische Ausdruck folgt auch hier dem deut schen Idiom. Diese in einem neuen sozialen Umfeld erfor derliche tausendfache Umarbeitung, ja „Zer störung" der Vivaldischen Konzertform durch die deutschen Komponisten, wie sie nicht nur bei Fick, sondern bei vielen Zeitgenossen (J. S. Bach, Telemann, Graupner, Fasch u. a.) zu beobachten ist, war musikgeschichtlich ein vorwärtsweisender .Prozeß. In seinem Verlauf wurden Kompositionsverfahren und Hörerfah rungen gewonnen, die letztlich zur Entwi^^ lung der Wiener Klassik beigetragen habr^JI Das Concerto für Horn und Orche ster D-Dur (auch als Hornkonzert Nr. 1 bekannt) von Joseph Haydn war mit hoher Wahrscheinlichkeit für den hervorra genden Hornisten Thaddäus Steinmüller ge dacht. Haydn selbst datierte das Werk auf das gleiche Jahr 1762, in dem Steinmüller der Esterhazyschen Hofkapelle beitrat. Haydn war zu dieser Zeit erst etwa ein Jahr in Eisen stadt tätig und befand sich, möglicherweise durch den musikalischen Geschmack des Ho fes bedingt, derzeit in einer Phase der Rück besinnung auf barocke musikalische Gestal tungsmittel. Auch in diesem Hornkonzert ist gelegentlich noch die alte, zu dieser Zeit längst anachronistische barocke Konzertform spürbar. So kann man die Orchestereinleitung am Be ginn des ersten Satzes durchaus noch als Ritornell, weniger als Sonatensatzexposition verstehen. Allerdings drängen die unbe schwerte klassische Melodik und Harmonik sowie vor allem die erregende thematis^fe motivische Arbeit insbesondere im ZentrU^ des ersten und auch des dritten Satzes über die Ritornellform hinaus. Dieses Werk kann noch zu den Konzerten im Clarinhornstil ge rechnet werden. Haydn verwendet hier noch nicht die um 1750 entstandene Stopftechnik für das Horn, sondern beschränkt sich auf die Naturtonskala. Die autographe Bemerkung „in Schlaff geschrieben" auf dem Quellen manuskript, die besonders zu der edlen, tief empfundenen Melodik des Mittelsatzes pas sen mag, kann zu manchen phantastischen Spekulationen Anlaß geben, doch stellt die Nähe zum Alltäglichen, Natürlichen und Menschlichen einen Wesenszug Haydnscher Musik schlechthin dar. Vielleicht bezieht sich die humorvolle Bemerkung auch lediglich auf die Tatsache, daß die Partitur in Eile und flüchtig niedergeschrieben wurde. Wolfgang Amadeus Mozarts Sinfonie C-Dur KV 425 mit dem Bei namen „Linzer Sinfonie" trägt als bedeutsame Vorläuferin der vier letzten großen Wiener Sinfonien schon den Stempel früher Meister schaft. Das Werk entstand im Jahre 1783. Mozart, der im Jahre zuvor geheiratet hatte, flhr im Sommer 1783 mit seiner jungen Frau ^Bhstanze von Wien nach Salzburg gereist, um seinen Vater mit der von diesem nicht ge billigten Heirat auszusöhnen, was indessen nur zum Teil gelang. Auf der Rückreise kompo nierte er während eines Aufenthaltes bei dem Grafen Thun in Linz in kürzester Zeit die für eine Akademie des dortigen Musikvereins be stimmte C-Dur-Sinfonie. Darüber heißt es in einem Briefe Mozarts an seinen Vater vom 31. Oktober 1783: „. . . Dienstag als den 4ten Novembr werde ich hier im theater academie geben. — und weil ich keine einzige Simpho- nie bey mir habe, so schreibe ich über hals und köpf an einer Neuen, welche bis dahin fertig seyn muß ..." — Es ist dieser Sinfonie, die der Mozartforscher Abert als „das äußer lich glänzendste Instrumentalwerk dieser Zeit" bezeichnete, aber kaum anzumerken, daß sie „Hals über Kopf“ geschrieben wurde. Obwohl sie in manchen Zügen deutlich den in dieser Schaffensperiode recht starken Einfluß Joseph Haydns auf Mozarts Instrumentalmusik erken nen läßt (Besonderheiten der Instrumentation, Anlage der Durchführungen, überraschende Modulationen, unerwartete dynamische Ak- ja&te und Kontrastwirkungen zeugen davon), |Vsie doch in ihrer Gesamthaltung ebenso wie in einigen Haydn ganz fremden Eigen heiten (so der typisch Mozartschen Chroma tik) unverkennbar ein Werk ihres genialen Schöpfers, der sie bei brillantester und sicher ster Beherrschung der musikalischen Mittel durch die Kraft und Tiefe des persönlichen Ausdrucks bereits hoch über ihre Bestimmung als festlich-liebenswürdige Gesellschaftsmu sik erhoben hat. Mit einer langsamen, feierlichen Introduktion nach dem Vorbild Haydns, von heroischem Pathos zu ungewiß-träumerischem Sinnen übergehend, beginnt der erste Satz. Piano setzt das beschwingte erste Thema des fol genden Allegro spirituoso ein, das sich nach rauschender Forte-Wiederholung in ein marschartiges Thema über bewegten Baßfigu ren steigert. Nach einer eigenartigen Wen dung ins „Türkische" in einem e-Moll-Neben- gedanken leitet ein Lauf der Violinen zur Durchführung über, die durch gegensätzliche Stimmungen — lebensvolle Fröhlichkeit wech selt mit wehmütiger Nachdenklichkeit — cha rakterisiert wird. Scharfe dynamische Akzente und bedeutungs volle Bläserwirkungen lassen auch im lang samen zweiten Satz (Poco Adagio) Gegen sätzlichkeiten spüren. Herbe Mollwendungen im Mittelteil geben diesem Satz, der liedhaft und weich mit einer ausdrucksvollen F-Dur- Melodie in 6 /s-Bewegung beginnt, ein ele gisch-ernstes Gepräge. Auf das ebenso wie sein Trioteil von unbe schwerter Heiterkeit und gesunder Volkstüm lichkeit erfüllte Menuett folgen im letzten Satz (Presto) wieder außerordentlich stark kontrastierende Stimmungen und Empfin dungen. Nach einem heiteren, viermal zwi schen Streichern (piano) und Tutti (forte) wechselnden Anfang läßt ein eigenwillig syn kopiertes Thema aufhorchen. Auch im Ver laufe dieses Satzes finden sich inmitten an mutig-heiteren Musizierens Episoden stillen, schmerzlichen Träumens wie auch spannungs voller, trotziger Kraft, bis das Werk mit der Wiederkehr des Hauptthemas endlich doch wieder festlich-froh ausklingt.