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Wolfgang Amadeus Mozarts große C-Dur-Sinfonie KV 551, die später durch den Londoner Geiger und Konzertunter nehmer J. P. Salomon ihren heute allgemein gebräuchlichen Namen „Jupiter-Sinfonie" er hielt, ist die letzte Sinfonie des Meisters, Sie wurde zusammen mit den Sinfonien Es-Dur KV 543 und g-Moll KV 550 im Sommer des Jahres 1788, einer für Mozart mit großen wirtschaft lichen Schwierigkeiten verbundenen Zeit, in nerhalb weniger Monate komponiert. Ein di rekter Anlaß für die Entstehung der drei gro ßen, ihrer Art nach so verschiedenen Sinfonien ist uns nicht bekannt. Die Jupiter-Sinfonie läßt nach der strahlend heiteren Es-Dur- und der melancholisch-hinter gründigen g-Moll-Sinfonie, Mozarts sinfoni sches Schaffen krönend, in ihrer wunderbaren Klarheit geradezu einen Inbegriff klassischer Kunst vor uns erstehen. „Ein Werk höchster Har monie" nannte sie der Mozart-Forscher Alfred Einstein, und auf diesen „olympischen" Charak ter ist wohl auch ihr Beiname zurückzuführen. Der erste Satz (Allegro vivace) wird in seinem Wesen bereits durch sein breites, zweiteiliges Hauptthema klar bestimmt: Festliche, heitere Kraft und innige Empfindung runden sich hier in vollendeter Verbindung. Auch das zweite Thema gliedert sich in zwei gegensätzliche Mo tive. In der Durchführung des Satzes, die von kunstreicher thematischer Arbeit mit den Hauptmotiven zeugt, entfaltet sich eine Fülle lebensvoller, doch stets in klassischem Eben maß gebändigter Bilder. Auch für den zweiten Satz, ein Andante can tabile, gilt trotz einiger dramatischer, dunkler Mollpartien diese Ausgewogenheit. Die aus drucksvolle Durchführung dieses Satzes führt am Schluß zu einer großen sinfonischen Steige rung. — Das Menuett, das im Gegensatz zu dem lebhaften Trio eher beschauliche Züge aufweist, greift auf die Stimmung des ersten Satzes zu rück. Als berühmtester Satz dieser Sinfonie gilt der Schlußsatz (Molto allegro), der eine äußerst interessante und glückliche Verbindung von Sonatenform und Fugato darstellt. Nach die sem Satz wurde das Werk zuweilen sogar als „C-Dur-Sinfonie mit der Schlußfuge" bezeich net, obwohl es sich nicht um eine direkte Fu genform handelt. Trotz aller kontrapunktischen Künste (kanonische Nachahmungen, Engfüh- rungen usw.), die Mozart hier mit einer gera dezu spielerischen Leichtigkeit handhabt, ver eint er voll überlegener, selbstverständlicher Meisterschaft polyphone und homophone Par tien. Mit einem fanfarenähnlichen Schluß wird der von hinreißendem Schwung erfüllte Satz festlich beendet. Carl Orff, eine der bedeutendsten, anre gendsten Persönlichkeiten des zeitgenössischen Musiktheaters, errang mit „Carmina bu - rana", die am 8. Juni 1937 im Opernhaus Frankfurt/M. ungemein erfolgreich uraufge führt wurden, einen wahren Welterfolg. Schlag artig wurde der damals 42jährige Komponist durch dieses Werk bekannt, das er weder als Oper, Kantate noch als Oratorium bezeichnete, obwohl es mit seiner 25 geschlossene Numr^B umfassenden Anlage mehr zur letzteren Gat tung tendiert. Die Texte stellte Orff aus der anonymen Liederhandschrift „Carmina bura- na" (= Beurenische Lieder) zusammen, die um 1280 im oberbayrischen Kloster Benediktbeuren niedergeschrieben wurde und heute in der Bayrischen Staatsbibliothek München verwahrt wird. Hierbei handelt es sich um mittelalter liche Studentenlieder, moralisch-satirische Na tur-, Trink- und Liebeslieder in lateinischer, mittelhochdeutscher und altfranzösischer Spra che, um mittelalterliche christlich-heidnische Ly rik der sogenannten fahrenden Gesellen, um derbe Sauf- und Vagantenpoesie also, die aber auch von der sublimen Sprache des höfi schen Minnegesangs beeinflußt wurde. Die Auswahl, die Orff aus diesen Dichtungen traf, ordnete er in die drei Teile „Versis leta facies" (Frühling), „In taberna" (Schenke), „Amorvolat undique" (Liebe), d. h. die Begegnung des Menschen mit der Natur, ihren sich im Wein offenbarenden Gaben und mit der Liebe. Am Anfang und Schluß des Stückes steht ein Chor, der die Göttin Fortuna anruft. Das Schicksals rad der Fortuna ist „das Gleichnis für das^tef und Ab des menschlichen Lebens“. Neben ^B. trotzigen Aufbegehren gegen Schicksalsmäcnte ist der vorherrschende Grundzug des Werkes die Bejahung des Diesseitigen, der Schönheit, der Freuden und Genüsse dieser Welt. Einfache strophische Formen des Volksliedes und Volkstanzes, eine lapidare, einprägsame Melodik, eine vitale, suggestiv-erregende Rhythmik sowie diatonische Harmonik sind zu einem höchst wirkungsvollen Ganzen verbun den. Im Solo- und Chorsatz herrscht das de klamatorische Prinzip, typisch auch ist der weit gehend auf Bläser- und Schlagzeugwirkungen (einschließlich des stählernen Martellatoklan- ges zweier Klaviere) gestellte Klangapparat. CARL ORFF: CARMINA BURANA Deutsche Übertragung von Wolfgang Schadewaldt 1 O Fortuna! Chor O Fortuna, velet luna statu variabilis, semper crescis aut decrescis; vita detestabilis nunc obdurat et tune curat ludo mentis aciem, egestatem, potestatem dissolvit ut glaciem. O Fortuna! Wie der Mond So veränderlich, Wächst du immer Oder schwindest! — Schmählich Leben! Erst mißhandelt, Dann verwöhnt es Spielerisch den schwachen Sinn. Dürftigkeit, Großmächtigkeit, Sie zergehn vor ihm wie Eis. Sors immanis et inanis, rota tu volubilis, Status malus, vana salus, semper dissolubilis, obumbrata et velata michi quoque niteris; nunc per ludum dorsum nudum fero tui sceleris. Schicksal, Ungeschlacht und eitel! Rad, du rollendes! Schlimm dein Wesen, Dein Glück nichtig, Immer im Zergehn! überschattet Und verschleiert Kommst du nun auch über mich. Um des Spieles Deiner Bosheit Trag ich jetzt den Buckel bloß. Sors salutis et virtuis michi nunc contrario, est affectus et defectus semper in angaria. Hac in hora sine mora corde pulsum tangite; quod per sortem stern it fortem, mecum omnes plangite! Los des Heiles Und der Tugend Sind jetzt gegen mich. Willenskraft Und Schwachheit liegen Immer in der Fron. Drum zur Stunde Ohne Säumen Rührt die Saiten! — Wie den Wackeren Das Schicksal Hinstreckt: alle klagt mit mir! 2 Fortune p I a n g o v u I n e r a . . . Chor Fortune plango vulnera stillantibus ocellis, quod sua michi munera subtrahit rebellis. verum est, quod legitur, Die Wunden, die Fortuna schlug, Beklage ich mit nassen Augen, Weil sie ihre Gaben mir Entzieht, die Widerspenstige. Zwar, wie zu lesen steht, es prangt