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2SS So klar eS einerseits sei, daß Keiner wegen einer That vor Gericht gezogen werden könne, die erst nach ihrer Begehung mit einer Strafe belegt worden ist, eben so klar sei es auf der andern Seite, daß Kei ner sein zuständiges Gericht als incompetent zurückweisen könne, wenn seine Organisation in der Zeit zwischen der Begehung der That und dem Erscheinen vor Gericht geändert worden sei. So würde es z. B. Niemandem cinfallen, daß Einer, der wegen eines vor der Ausführung des neuen Gesetzes über die Geschworenen begangenen Bergehens vor Gericht gestellt würde, für sich Geschworene, die nach dem alten Cen suS gewählt worden, federn könnte. Der höchste Staatsgerichtsho fei aber kein Ausnahmegericht, sondern ein der Grrichtsorganisation Frankreichs integrirender Theil, indem in Frankreich unter allen Rc- gierungsformen politische Verbrechen von einer gewissen Bedeutung vor einen höchsten Gerichtshof gestellt worden wären, der bald der pa triotische, wie 1781, bald das Consulargcricht, wie im Jahr VIll, oder wie 1818 und 1830 der Pairshof geheißen habe. Der Redner, der sich von den lärmenden Unterbrechungen des Bergs in der klaren Ent wickelung seiner Gedanken nicht im mindesten hatte stören lassen, schloß mit der Auffoderung, das Decret anzunehmen. Auf Antrag des Hrn. Jules Favre wurde hierauf die Diskussion auf morgen den 22: Jan. vertagt. — Der neuerwählte Viccpräsidcnt der Republik, Hr. Henri Bou lay (von der Meurthe) hat bis jetzt keinen andern Ruf als den einer Notabilität in der städtischen Verwaltung des 10. Arrondissements. Mei stens war er Mitglied des Bureau der Wahlcollcgien. Bis 1830 ginger mit der liberalen Opposition; nach der Julircvolution schloß er sich sehr bald den Conservativcn an, und stimmte mit ihnen zuerst als Mit glied des Gencralconfeils der Seine, und dann als Deputirter eines der östlichen Departements. An der Neformagitation von 1847 nahm er nur entfernt Antheil. Besondere Gaben der Rede und des Geistes hat er keine, auch seine administrativen Talente sind nicht hervorragend, er steht aber wegen seines rechtlichen Charakters in allgemeiner Achtung. General Baraguay d'Hilliers, der zweite Kandidat auf der Liste, ist der Sohn eines bekannten Generals des Kaiserreichs und Schwager des Generals Foy, des bcrühmtenOppositionsrcdners unter derRestauration. Der letzte Candidat, Hr. Vivien, 1830 ein Advocat von Talent, wurde nach dcrJu- lircvolution Polizcipräfect, später Mitglied des Staatsraths, und über nahm 1840 im Ministerium des 1. März das Justizportcfeuille. Un ter der neuen Republik trat er zugleich mit Hrn. Dufaure in das Mi nisterium Cavaignac, als sich die Partei des National und der ehema ligen Executivcommission nicht mehr ohne Unterstützung der Gemäßigten halten konnte. — Der höchste Staatögerichtshof, vor dessen Forum wie frü her vor das der Pairskammer die Verbrechen gegen die Sicherheit des Staats gehören und dessen Mitglieder von dem Cassationshof aus seiner Mitte auf ein Jahr gewählt werden, besteht für diesmal aus dm HH. Verenger, Hardoin, Rocher, Hcllo und de Boissteu. Die HH. Pataille und Delapalme sind Ersatzmänner. Zum Vorsitzenden wurde, wie schon gestern gemeldet, Hr. Berenger gewählt. — Als mitgetheilt enthalten die heutigen Zeitungen folgenden Arti kel: Die Amnestie dient seit einigen Lagen gewissen Blättern zum Vorwand, um gegen den Präsidenten der Republik Verleumdungen und Beleidigungen jeder Art zu schleudern. Auf diese wollen wir nicht antworten; wir überlassen es dem Takte der öffentlichen Meinung, dar über zu urtheilen. Eine Behauptung aber, welche jene Blätter beson ders hervorheben, darf nicht mit Schweigen übergangen werden. Der Präsident der Republik soll sich nämlich verpflichtet haben, eine Amnestie zu gewähren. Der Präsident der Republik hat keine Ver pflichtung dieser Art übernommen. Allerdings aber hat er wiederholt den Wunsch ausgesprochen, dem in seinem Manifest ausgedrücktm Ver langen nachgeben zu können, nämlich eine Amnestie zu gewähren, so bald es di« Umstände erlauben; aber sine Verpflichtung dieser Art hat er nicht übernommen. — Die einzelnen Minister haben in der letztem Zeit dem Präsiden ten der Republik nach der Reihe Diners gegeben. Gestern speiste er mit einer zahlreichen und glänzenden Gesellschaft bei dem Marinemini ster, Hrn. de Tracy. Der Conseilpräsidcnt war wegen Unpäßlichkeit «icht mit anwesend. — Die Frau eines Mitgliedes der provisorischen Negierung der Re publik, deS sogenannten Arbeiters Albert, der jetzt als Theilnehmer an dem Attentat vom 15. Mai in Vincennes gefangen sitzt, wohnt jetzt in einem Dachstübchen in der Straße Popincöurt und lebt von Almo- senuntcrstützung. Großbritannien. London, 20. Zan. Die Times bespricht die Abstimmung der frankfurter Reichsver- samnrlung über die österreichische Frage, und glaubt nicht, daß sich Oesterreich ruhig einem Beschluß unterwerfen werde, der ihm eine untergeordnete Stelle io dem neue» Bunde zuweise und die thatsäch- lichc Leitung Deutschlands einem andern Staate in die Hand lege. Sie findet die alte Bundesverfassung besser geeignet, die Einigkeit Deutschlands zu fördern und zu erhalten, als die, welche dicfrqnkfurq ter Versammlung dem Vaterlande zu geben gedenke, und tadelt, daß man in Frankfurt ganz vergessen habe, daß ein Bund mächtiger Staaten, mögen sie noch so nah« mit einander verwandt sein, sich nicht den Beschlüssen einer parlamentarischen Majorität fügen werde, welche die Minorität nur zum bewaffneten Widerstande treiben würde. Die Verfassung eines solchen Staatenbundes könne nur aus einem gegenseitigen Eontract hervorgehen, bei dessen Abschluß der größte wie der kleinste Staat eine gleich unabhängige Stimme habe. Auf die Kaiserfrage und die Kandidatur drö Hauses Hohenzollrrn über gehend, meint die Times, daß die Aussichten aus eine freundschaftliche Ausgleichung mit den österreichischen Ansprüchen keineswegs vorwie gend seien- und spricht ihre feste Ueberzeugung aus, daß das Endresul tat den Erwartungen der preußischen Minister und der frankfurter Versammlung nicht entsprechen werde. Sie fürchtet außerdem, daß der Zwiespalt zwischen den beiden mächtigsten deutschen Höfen den Jntri- guen der fremden Diplomatie Thor und Thür öffnen werde, zumal da die Erschütterungen des vergangenen Jahres die Stellungen der ver schiedenen Staaten zu einander gänzlich verändert und sie vollkommen von einander isolirt hätten. Der alte Bund der drei nordischen Mächte, der seit der ersten Theilung Polens fast ununterbrochen bestanden, sei gelöst, die Annäherung an Frankreich dagegen möglicher geworden. Vor der Hand, so lange die innern Verhältnisse der Staaten nicht geordnet seien, würde dieser unentschiedene Zustand der auswärtigen Verhältnisse der verschiedenen Staaten noch fortdauern, aber später konnten daraus ganz neue politische Kombinationen von der größten Wichtigkeit sür ganz Europa hervorgehen. — Seit einigen Tagen befindet sich Don Philipe Molina, be vollmächtigter Minister des neuen Staats Costa Rica, in London. Er hat bereits bei Lord Palmerston Audienz gehabt und demselben sein Be glaubigungsschreiben überreicht. Die Unabhängigkeit der neuen Re publik ist bereits von England, Frankreich und den Hansestädten an erkannt, Costa Rica liegt nördlich vom Isthmus von Panama, und bildete bis jetzt einen Theil der Republik Guatemala. Es besitzt einen Freihafen, Punta Arenas am Stillen Ocean. — Die Cholera herrscht in England immer noch, in London und vereinzelt in den Provinzen, tritt aber sehr mild auf. Gestern kamen in London und dessen Umgebung nur sieben neue Fälle vor, von denen einer einen tödtlichcn Ausgang hatte, und in den Provinzen 21 Ex krankungen mit einem Todesfall«. In Schottland dagegen ist sie noch sehr heftig, namentlich in Glasgow, wo am 18. Jan. 50 erkrankten und 18 starben. In ganz England und Schottland sind bis jetzt an der Ehqlera erkrankt 8118, gestorben 3070, genesen 1884, Auf Schott land allein kommen 6817 Erkrankte, 2868 Verstorbene, 1724 Genesene. Belgier,. Krüssel, 21. Jan. Die Nepräsentantenkammer hat gestern fast einstimmig den Gesetzentwurf in Betreff der Abänderungen des allgemeinen PensionsgcsetzeS angenommen. Aus Anlaß des Art. 6, wel cher das Gesetz von 1844 über die Ministcrpensionen aufhebt, hob der Minister des Innern hervor, daß es angemessen fein würde, den Mi nistern besondere Pensionen zu sichern, und daß die Regierung sich die Vorlegung eines Gesetzentwurfs zu diesem Zwecke Vorbehalte. Am 22. Jan. beginnt die Bcrathung des Finanzbudgets, Der Senat hörte gestern den Bericht über das Justizbudgrt, dessen Genehmigung die Commission vorschlägt, genehmigte sodann den Gesetzentwurf wegen Einsetzung eines Militairgerichtshofs und vertagte sich zuletzt bis zum 5. Febr., wo die Erörterung über das Justizbudget beginnen soll. Dänemark. Kopenhagen, 18. Jan. In der Reichstagsfitzung am 17. Jan. wurde der Ausschußantrag in Betreff der abzufchließenden Anleihe von 7 Mill. Rbthlr. mit 142 gegen 1 Stimme, sowie der zweite An trag des Ausschusses in Betreff der im December-Termine d. I. aus- zugebenden neuen Creditscheine zum Belaufe von 4 Mill. Rbthlr. mit 136 Stimmen angenommen; letzterer Antrag vorbehaltlich näherer Be stimmung von Seiten des nächsten Reichstags. — Das Fädrekandet sieht sich in Stand gesetzt, ein interessantes Bruchstück aus einem Briefe des deutschen NcichstagSmitgliedes Gülich an den apenrader Bürger meister Scho uw mitzutheilen. Gülich, der sich von den von London und Kopenhagen zurückgckehrten Neichstagsgesandton (Banks und An- drian) wie von dem Ministerium von Allem, was die schleswig-hol steinische Sache betrifft- in diesem Brieffragmente gehörig unterrichtet neynt, erzählt, daß es sowol mit der deutschen Sache im Allgemeinen als mit der deutschen Sache im Besonder» traurig aussche. Näheres dürfe er nicht mittheilen, doch sei es gut, wenn die Obrigkeiten, Bür- gerdeputirttncollegien und Beamten der Layddistricte von Schleswig nicht säumten, Anträge an die Centralzewalt (nicht an die National-