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1. AUSSERORDENTLICHES KONZERT Festsaal des Kulturpalastes Dresden Donnerstag, den 12. September 1985, 20.00 Uhr dresdner oNIhairoooniie^ Dirigent und Solist: Martino Tirimo, Großbritannien, Klavier Ludwig van Beethoven 1770-1827 PAUSE Konzert für Klavier und Orchester Nr. 2 B-Dur op. 19 Allegro con brio Adagio Rondo (Molto allegro) Konzert für Klavier und Orchester Nr. 1 C-Dur op. 15 Allegro con brio Largo Rondo (Allegro) Konzert für Klavier und Orchester Nr. 4 G-Dur op. 58 Allegro moderato Andante con moto Rondo (Vivace) MARTINO TIRIMO entstammt einer griechi schen Musikerfamilie, die die Begabung des Kindes schon zeitig förderte. Seine pianisti- sche Ausbildung erhielt er in Wien und Lon don, der Stadt, die er später auch als Wohn sitz erwählte. Seine internationale Karriere begann mit den 1. Preisen bei den Interna tionalen Klavierwettbewerben in München (1971) und in Genf (1972). Konzerte in vielen europäischen Musikzentren, in Kanada und den USA (hier debütierte er mit dem Cleve land-Orchester) brachten ihm eindrucksvolle Erfolge. Anerkennung errang er auch mit sei nen Schallplatteneinspielungen aller Schu bert-Klaviersonaten, der Klavierkonzerte von ZUR EINFÜHRUNG Brahms und verschiedener Werke von Rachma ninow. Mit der Dresdner Philharmonie musi zierte der prominente Pianist, der auch schon als Dirigent hervorgetreten ist, erstmals 1983. Im 1. und 2. Außerordentlichen Konzert der Spielzeit 1985/86 realisiert er eine ebenso an spruchsvolle wie ungewöhnliche interpretatori sche Aufgabe, der er sich auch im Mai 1986 gelegentlich eines Großbritanniengastspiels der Dresdner Philharmoniker in der Londoner Royal Festival Hall stellen wird: eine zykli sche Darbietung sämtlicher Klavierkonzerte Beethovens an zwei Abenden, die er zugleich als Dirigent und Solist bestreitet. Ludwig van Beethoven hat mit seinen fünf Klavierkonzerten, die er zunächst für sein eigenes öffentliches Wirken als Pianist schrieb, Gipfelwerke der virtuosen Konzertliteratur ge schaffen. Bereits vor den beiden ersten Klavier konzerten op. 15 und op. 19 hatte er sich mit der Komposition von Klavierwerken beschäftigt (Trios op. 1, zahlreiche Sonaten) und auf die sem Schaffensgebiet weit eher musikalisches Neuland, neue Klangbezirke erschlossen als in der Sinfonik. Die Klavierkonzerte entstanden etwa parallel zu den ersten sechs Sinfonien. Als sein Gehörleiden den Meister zwang, seine von den Zeitgenossen hochgeschätzte pianistische Tätigkeit aufzugeben, hatte er sein bedeutend stes Klavierkonzert, das fünfte in Es-Dur, bereits geschaffen und die mit dem dritten Konzert einsetzende Entwicklung seines konzertanten Schaffens von aristokratisch-gesellschaftlicher Unterhaltungskunst zum ideell-schöpferischen Bekenntnis auf den Höhepunkt geführt. Nach Beethovens eigener Mitteilung hat er das als 2. Klavierkonzert geltende Opus 19, B-Dur, bereits vor dem 1. Konzert C-Dur op. 15 komponiert, aber den offensichtlich zunächst mehr improvisierten Solopart des B-Dur-Kon- zertes erst für die Drucklegung 1801 endgültig fixiert. Beide Konzerte spielte der Komponist erstmalig 1795 in seinen Wiener Akademien und — in überarbeiteter Form — Ende Oktober 1798 in Prag. Das zarter und sparsamer als das erste instrumentierte Klavierkon zert Nr. 2 B-Dur o p. 19 ist in seinem Charakter lyrischer und gedämpfter als jenes. Doch tritt im Gesamtverlauf neben die Sensi bilität auch die Vitalität des Ausdrucks. Chro matische Wendungen in den ersten beiden Sätzen erinnern an Mozart. Das B-Dur-Hauptthema, mit dem die ausge dehnte Orchestereinleitung des ersten Satzes (Allegro con brio) beginnt, wird aus einer energisch-markanten und einer — gegensätz lichen - gesangvoll-melodischen Motivgruppe gebildet. Der lyrischen Entwicklung des Sat zes, die dabei auf kraftvolle, virtuos-figurative Partien nicht verzichtet, dient auch das kan- table zweite Thema in Des-Dur. Im zweiten, reich figurierten Satz, träumerisch poetische Adagio-Variationen, stellen zu nächst die Streicher das etwas zerklüftete Hauptthema vor, das dann vom Solisten über ¬ nommen und abgewandelt wird. Das Orche ster greift gegen Schluß die Grundgestalt des Themds nochmals auf. Keck-kapriziös, den zweiten Taktteil betonend, ist das Hauptthema des Rondo-Finales (Molto allegro). Es ahmt den Kuckucksruf nach und ist mit seiner Synkopierung das treibende Ele ment des abwechselnd melodisch und brillant konzertierenden Schlußsatzes, der an folgende Worte Beethovens über den Schaffensprozeß denken läßt: „Woher ich meine Ideen nehme? Das vermag ich mit Zuverlässigkeit nicht zu sagen; sie kommen ungerufen, mittelbar, un mittelbar, ich könnte sie mit Händen greifen, in der freien Natur, im Walde, auf Spa^^k gängen, in der Stille der Nacht, am friMri Morgen, angeregt durch Stimmungen, die sich bei dem Dichter in Worte, bei mir in Töne um setzen, klingen, brausen, stürmen, bis sie end lich in Noten vor mir stehen." Das Klavierkonzert Nr. 1 C-Dur o p. 1 5 bewegt sich inhaltlich, stilistisch und formal noch ganz im Rahmen jener „Gesell schaftsmusik", wie sie die Haydn- und Mo- zartzeit kannte. Dennoch sind durchaus schon typische Merkmale des späteren Personalstiles des damals erst 25jährigen Komponisten zu erkennen: seine Eigenwilligkeit, Kraft und Phantasie. Das spielfreudige Werk, das dem Solisten mit seinen Verzierungen und brillanten Läufen reichlich Gelegenheit gibt, seine technischen Fertigkeiten zu beweisen, besitzt durch die ju gendliche Frische und klassische Klarheit seiner musikalischen Gedanken einen hellen, kraft vollen Charakter, der an die Nähe der 1. Sin fonieerinnert. Klarinetten, Trompeten und Pau ken verstärken noch diesen festlich-optirmj^- schen Eindruck. Wie üblich steht der erste, umfangreichste Satz (Allegro con brio) des Konzerts in Sona tensatzform. Die Orchestereinleitung bringt die Themenaufstellung. Ein akkordisches Marschthema kündigt den strahlenden Cha rakter des Werkes an. Zunächst leise be ginnend, wird es bis zum Tutti gesteigert. In Es- Dur steht das gesangvolle zweite Thema, das nach einer kurzen Durchführung wieder vom Hauptgedanken und einem marschartigen Nachsatz abgelöst wird. Nun setzt das Solo instrument ein und leitet zum Hauptthema über, das variiert und mit glanzvollen Passagen um-