Volltext Seite (XML)
8. ZYKLUS-KONZERT BACH — HÄNDEL Sonnabend, den 30. März 1985, 20.00 Uhr Festsaal des Kulturpalastes Dresden Sonntag, den 31. März 1985, 20.00 Uhr dresdner oNllnamnooniie* Künstlerische Leitung: Dirigent: Gastspiel der Linha Singers und des Orchestra Puellarum Pragensis, CSSR Jiri Linha, CSSR Tomas Koutnik, CSSR Georg Philipp Telemann 1681-1767 Georg Friedrich Händel 1685-1759 Allegro aus dem Konzert für Trompete, Streicher und Basso continuo D-Dur Sol ist: Zdenek Seefwy Vladislav Koderka Allegro, Air, Allegro aus dem Concerto grosso d-Moll op. 6 Nr. 10 — original — Johann Sebastian Bach 1685-1750 der „Wassermustk 14 Andante aus Orgelkonzert Allegro aus der Sonate für Flöte und Basso continuo e-Moll BWV 1034 G. F. Händel Largo aus 2. Bourree, Menuett, Bodinerie aus der Suite Nr. 2 h-Moll BWV 1067 — original— OOHO Flöte: Mog<fof«.«B.fkow> BrejchOVÖ i i -G-ws der „Jagdkantate" BWV 20& Hallenser uönate für Elpte Allegro aus dem Konzert für Klavier G-Dur (nach Vivaldi) BWV 973 + B «C • PAUSE □ohann Friodrich Fase h Antonio Vivo+di ^■70-1 Johann Sebastian Bach Benedetto Marcello 1686-1739 Georg Friedrich Händel Benedetto Marcello Georg Philipp Telemann Konzert für Trompete, Streicher und Basso continuo'Ö^Owr- Allegro, Largo, Allegro — original — Solist: 2dl 1 i ii ,, lrfjr.divy Vladislav Koderka Choral „Jesus bleibet meine Freude" aus der Kantate „Herz und Mund und Tat und Leben“ BWV 147 Allegro aus der Sonate für Viola da gamba und Basso continuo D-Dur Andante und Allegro aus dem Konzert für Orgel und Orchester F-Dur op. 4 Nr. 4 Largo aus der Sonate für Altblockflöte und Basso continuo a-Moll Prestissimo aus der Kantate „Halt ein mit deinem Wetterstrahle" aus dem 1. Teil der Sammlung „Harmonischer Gottesdienst oder geistliche Cantaten zum allgemeinen Gebrauche" Die Grupps der LINHA SINGERS wurde von Jiri Linha 1963 als ein Vokal-Ensemble gegründet, das anfäng lich überwiegend auf dem Gebiet der Popmusik ar beitete. Später erweiterte es sich um eine eigene In strumentalgruppe. Ihren weiteren Weg fanden die Linha Singers seit 1965 im Prinzip des „instrumentalen Gesangs“. Sie übertragen bekannte und beliebte In strumentalkompositionen des 17. und 18. Jahrhunderts ins Vokale, suchen aber auch in Archiven nach Par tituren alter tschechischer und slowakischer Autoren, die sie durch ihre Interpretation beleben. Darüber hin aus entstehen im Kontakt mit zeitgenössischen Kom ponisten ihres Landes neue, eigengeprägte Werke für die Gruppe. Die Linha Singers sind institutionell den Prager Sinfonikern (FOK) zugeordnet, konzertieren auch gemeinsam mit diesem wie mit veschiedenen an deren Orchestern und Kammerorchestern der CSSR, so auch mit dem Orchestra Puellarum Pragensis (dem Mädchen-Orchester der Stadt Prag) und seinem Diri genten Tomas Koutnik, mit denen wir sie in unserem Konzert erleben. Neben ihren zahlreichen Konzerten im In- und Ausland gestalten die „Linhas“ häufig Sendungen des tschechischen sowie des internationa len Rundfunks und Fernsehens. Von ihren vielen Schall platteneinspielungen liegen einige Supraphon-Aufnah men auch in der DDR vor. In Dresden gastierten die Linha Singers schon des öfteren, zuletzt im Dezember 1984 im Studiotheater des Kulturpalastes. „Wenn das Ensemble der Linha Singers eines Tages, nachdem es die ständige Neigung und Gunst des Publikums gewonnen hat, zu einer .lebendigen Legende' wird, dann nicht wegen seiner langen Haare, der Dezibels oder ir gendwelchen .Vorfällen', sondern einzig und allein dank dem erneuten Dialog, den es mit den Klassikern fortsetzt." (Arnost Kostal, Komponist) Das Gastspiel der Linha Singers eröffnet uns einen völlig neuen Blickwinkel auf unsere ehrwürdigen Jubilare Johann Sebastian Bach und Georg Friedrich Händel. Bisher traten uns mit Kompositionen bzw. Bearbeitungen von Paul Dessau, Alban Berg, Heinz Bongartz, Herbert Collum, Paul Hindemith, Arthur Ho negger und Arnold Schönberg aufschlußrei che, einfühlsame, nachgestaltende, analysie rende — jedenfalls den großen Bach ernst haft betrachtende und durchleuchtende Wer ke aus der Sicht des 20. Jahrhunderts entge gen. Zwei weitere von Ruth Zechlin und Leo pold Stokowski folgen im 9. Konzert unserer Reihe. Heute abend erhalten Bach, Händel und einige ihrer Zeitgenossen einen anderen Akzent: den heiter-unterhaltsamen. Die Legi timation für diese Art der musikalischen Be trachtung nehmen die Linha Singers — und sie sind nicht die einzigen — aus der Musik geschichte selbst. Die Musik Bachs und Hän dels bedeutet auch nach 300 Jahren einen Höhepunkt abendländischer Kunst. Ihr Erleb nisreichtum und ihre Meisterschaft gehören zum Großartigsten und Vollkommensten, was in Tönen gefaßt werden kann. Aber das an Noten schier unübersehbare Werk der Mei ster hat sich in der Niederschrift keineswegs erschöpft. Hätte es zu ihren Lebzeiten das Tonband gegeben, um alles das aufzuzeich nen, was sie zu den verschiedensten Anlässen - sei es bei Geselligkeiten, Wettstreiten oder im Gottesdienst - an Fantasien, Präludien, Fugen, Suitensätzen frei auf den Tasten des Cembalos oder der Orgel gespielt haben, wir würden uns einer Fülle eindrucksvoller Musik gegenübersehen, die die aufgeschriebenen Kompositionen an Umfang weit überstiege. Wie nie zuvor und später nie mehr pflegten die Komponisten jener Zeit die Kunst des frei en Spiels, das „Extemporieren", die Improvi sation. So vermochte Bach über ein ihm ge gebenes Thema aus dem Stegreif eine mehr stimmige Fuge, die schwierigste polyphone Form, nahezu vollendet auszuführen. Er fand auch Vergnügen daran, die Musik anderer Meister, z. B. Vivaldis, nach eigenem Ge schmack zu bearbeiten, und keiner war ihm deshalb gram. Wenn Musik gebraucht wurde, hat sie jemand komponiert und ge spielt. Wertigkeiten über den Gebrauchs zweck kannte man noch nicht. Musik konnte auch erheben (in Bachs gottesdienstlichen Kantaten), belehren (in Händels Oratorien) — immer aber war sie unterhaltend. Den Schwebezustand zwischen „E"- und „U"- Musik, zwischen ernster und Unterhaltungs musik, versuchen nun die Linha Singers in ihrer Interpretationsweise wiederherzustelU^ Im Jazz dokumentiert sich heute noch der^H sprüngliche Ausdruckswillen des Musikers durch die — mehr oder weniger — freie Im provisation. Der französische Pianist Jacques Loussier hat Bach und Jazz verquickt, indem er Bachsche Werke zunächst (fast) original mit Zusatz von dezentem Schlagwerk und einem Kontrabaß vorstellte und dann über sie in Jazz-Manier improvisierte. Das 1962 ge gründete Vokal-Doppelquartett der Swingle Singers interpretierte ebenfalls ausschließlich Kompositionen von Bach, und zwar in ihrer originalen Gestalt, nur eben auf die mensch liche Stimme übertragen, aber das Tempo zu gunsten des Virtuosen einerseits zum Lyrisch- Ausdrucksvollen andererseits verändernd. Die Linha Singers entwickelten ihre eigene Note. Auch beschränken sie sich nicht auf Bach, sondern suchen ebenso in Partituren seiner Zeitgenossen. Sie setzen sie um auf drei Soprane, zwei Altstimmen, einen Tenor, einen Bariton und einen Baß - auch in vari ierter Besetzung. Bei uns konzertieren die Sänger mit einem Streichorchester und Solo- Instrumenten. Es ist im besten Sinne ein „Wettstreiten". Die Stimmen der Origiu^h werke werden auf Sänger und Instrume^H verteilt, werden aufgefächert, in die tiefen oder hohen Register verlegt, solistisch hervor gehoben. Schnelle Sätze werden chorisch und äußerst virtuos gesungen (auf Vokalisen), ge tragene sehr gefühlsintensiv, meist mit einem Sopran oder Alt als Solostimme. Es han delt sich dann um Transkriptionen von langsamen Sätzen aus Instrumentalkonzerten, in denen der instrumentale Solo-Part der So lo-Gesangsstimme übertragen ist. Hier kommt die reichere Ausdrucksskala der menschlichen Stimme besonders zur Geltung. Bei Chorälen übernehmen die Linha Singers die originale Stimmführung, tauschen aber den Text gegen