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5. AUSSERORDENTLICHES KONZERT Festsaal des Kulturpalastes Dresden Mittwoch, den 13. Februar 1985, 20.00 Uhr Donnerstag, den 14. Februar 1985, 20.00 Uhr Gedenkkonzert zum 40. Jahrestag der Zerstörung Dresdens durch anglo-amerikanische Bomber olnilheirnoonii^ Dirigent: Herbert Kegel Solisten: Sanda Sandru, SR Rumänien, Sopran Urszula Metrega, VR Polen, Alt Florin Diaconescu, SR Rumänien, Tenor Ulrik Cold, Dänemark, Baß Chöre: Philharmonischer Chor Dresden Einstudierung Matthias Geissler Philharmonischer Kinderchor Dresden Einstudierung Wolfgang Berger Rundfunkchor Leipzig Einstudierung Jörg-Peter Weigle Friedrich Schenker geb. 1942 „Dona nobis pacem" für Orchester Dresden 1945 — Dresden 1985 Auftragswerk der Dresdner Philharmonie Uraufführung Ludwig van Beethoven 1770-1827 Sinfonie Nr. 9 d-Moll op. 125 mit Schlußch über Schillers Ode „An die Freude" für " Orchester, Solostimmen und Chor Allegro ma non troppo, un poco maestoso Molto vivace Adagio molto e cantabile Presto - Prestissimo Das Werk von Friedrich Schenker wird von Radio DDR II aufgezeichnet und am 19, Fe bruar 1985 im Rahmen des „ Dresdner Abends" gesendet. Bildeinblendung: Wilhelm Lachnit, Der Tod von Dresden, 1945 (Ausschnitt); Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Reproduktion Dr. Michael Hahnewald. ZUR EINFÜHRUNG Mit einem Konzert besonderer Art gedenkt die Dresdner Philharmonie des 40. Jahres tages der Zerstörung Dresdens durch anglo amerikanische Bomber. Eine in ihrem Auftrag entstandene Komposition von Friedrich Schen ker, diesem Anlaß gewidmet, Erinnerung und Mahnung zugleich, daß sich solches furcht bare Geschehen niemals und nirgendwo in der Welt wiederholen möge, wird Beethovens humanistischem Bekenntniswerk, der Neun ten Sinfonie, vorangestellt, das mit der star- ^^n ethischen Haltung seiner Musik wie der ■Wrse Friedrich Schillers alle Menschen zur Besinnung auf ihre höchsten Ideale aufruft, zu Glück und Frieden und zur energischen Überwindung jeglichen „verzweiflungsvollen Zustandes", der diesen höchsten Menschheits gütern im Wege steht, in der Sprache unse rer Tage also: Krieg und Kriegsgefahr. Die von Herbert Kegel in Dresden eingefühlte Tradition, gesellschaftlich engagierte zeitge nössische Tonwerke — denken wir hier an entsprechende Kompositionen von Arnold Schönberg, Krzysztof Penderecki, Bohuslav Martinü und Ernst Hermann Meyer — bezie hungsvoll mit der Menschheitsbotschaft der Neunten Sinfonie zu verbinden, gewinnt ge rade in diesen Tagen und Wochen vor dem 40. Jahrestag der Befreiung vom Hitlerfa- schismus besondere aktuelle Bedeutung. Die wiedererstandene und just in diesen Stunden in Besitz genommene neue, alte Semper oper mag uns ein weiteres Symbol dafür sein, daß Dresden lebt, daß das böse Erbe des Faschismus in unserem Land endgültig über wunden ist — wahrlich ein Anlaß für uns, in den Jubel des Finales der Neunten Sinfonie einzustimmen. r iedrich Schenker, 1942 in Zeulen roda geboren, studierte 1961/64 Posaune und Komposition bei Günter Kochan an der Hoch schule für Musik „Hanns Eisler" in Berlin und setzte 1966/68 sein Kompositionsstudium bei Fritz Geißler an der Leipziger Musikhoch schule fort. 1973/75 war er Meisterschüler Paul Dessaus an der Akademie der Künste der DDR. Von 1964/82 wirkte er als Solopo saunist am Rundfunk-Sinfonieorchester Leip zig, 1970 wurde er Gründunasmitglied der Gruppe „Neue Musik Hanns Eisler" Leipzig. Seit 1982 ist er als Berater für neue Musik in der Dramaturgie des Gewandhausorche sters Leipzig tätig. 1971 erhielt er für sein Fagottkonzert, das 1975 von den Dresdner Philharmonikern uraufgeführt wurde, den Carl-Maria-von-Weber-Preis der Stadt Dres den, 1975 den Hanns-Eisler-Preis für sein Orchesterwerk „Landschaften". Friedrich Schenker ist einer der fähigsten Vertreter der mittleren Komponistengenera tion unseres Landes und bereits mit zahlrei chen ebenso gesellschaftlich engagierten wie kompositionstechnisch progressiven, um nicht zu sagen avantgardistischen Werken ver schiedensten Genres (insbesondere auf den Gebieten Sinfonik, Konzerte und Ensemble musik für moderne Kammermusikbesetzun gen) hervorgetreten. Seine 1969/70 in memo- riam Martin Luther King komponierte Sinfo nie fand bekanntlich 1972 bei ihrer Urauffüh rung durch die Dresdner Philharmonie unter Kurt Masur eine leidenschaftlich umstrittene Aufnahme, die Reprise reichlich zehn Jahre später unter Herbert Kegel wurde dagegen mit großem Verständnis aufgenommen. Worauf Frank Schneider zu Recht hingewie sen hat, gehört es zu Schenkers Grundmoti ven seines Musikdenkens, „für ein interes siertes Publikum und für dessen aktivierende musikalische Bereicherung zu schreiben, aber sich dabei gleichzeitig gegen bequeme Hör konventionen und flach genießerischen Kunstkonsum durchsetzen zu wollen, Schen ker ist Musiker aus Passion; und seine im Innersten durchlebte, passionierte- an uner hörten Visionen des Klangs reiche Musik will den Hörern gleichsam physisch spürbar unter die Haut gehen. Andererseits verblüfft er durch eine besondere Radikalität seines Kunstwerkbegriffs und seiner Produktions weise. Aber unabhängig davon überzeugen fast immer des Komponisten vehemente Ehr lichkeit und seine Lust auf neuen Klang. Seine Musik braucht und befördeit nachden kende Härweisen. Dennoch fußt Schenker in seiner Sinfonik auf den Traditionen großen be- kenntnishaften Ausdruckswillens, auf dem Be kenntnis zu radikal subjektbewußter Wertung, derThematisierung menschlich-gesellschaftlicher Konflikte und sozialer Prozesse. Dieses kom positorische Engagement verneint jeglichen technischen Formalismus; es ergreift alle For men klassischer und moderner Provenienz, die ihm geeignet erscheinen, um in den Aus einandersetzungen unserer Zeit leidenschaft lich Stellung zu beziehen. Deshalb ist gerade für Schenkers sinfonische Musik ein demon strativ-programmatischer Zug so charakteri stisch, eine Arbeitsweise, die gern von histo-