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KONGRESS- SAAL DEUTSCHES HYGIENE - MUSEUM Dienstag, 25. Dezember 1962, 19.30 Uhr, 1. Weihnachtsfeiertag Mittwoch, 26. Dezember 1962, 19.30 Uhr, 2. Weihnachtsfeiertag 6. AUSSERORDENTLICHES KONZERT Dirigent Prof. Heinz Bongartz Solist Prof. Michail Waimann, Leningrad Johann Sebastian Bach 1685-1750 3. Brandenburgisches Konzert G-Dur, BWV 1048 Allegro moderato Allegro (Walter Hartwich, Gert Kleindienst, Eberhard Friedrich Violine; Herbert Schneider, Karl Schulze, Hans Vos Viola; Manfred Reichelt, Peter Doß, Erhard Hoppe Violoncello; Heinz Schmidt Kontrabaß; Heinz Bongartz Cembalo) Ludwig van Beethoven 1770-1827 Konzert für Violine und Orchester D-Dur, op. 61 Allegro non troppo Larghetto Rondo (Allegro) PAUSE Peter Tschaikowski 1840-1893 Konzert für Violine und Orchester D-Dur, op. 35 Allegro moderato Canzonetta Allegro vivacissimo Prof. Michail Waimann ist in Dresden kein unbekannter mehr. Als Schüler Prof. Edlins, Leningrad, erregte er Aufsehen und ist Preisträger der Internationalen Wettbewerbe in Prag, Brüssel und Leipzig (Bachwettbewerb 1950). Über sein erstes Auftreten in Dresden, im 2. Außerordentlichen Konzert am 30. Oktober 1956, schrieb das Sächsische Lageblatt: „. . . daß Waimann durch seine unerhörte Musikalität, seinen blühenden Ton und seine traumhaft sichere Technik diese hochgespannten Erwartungen nicht nur erfüllte, sondern weit übertraf." ZUR E IN FÜH RU N G Johann Sebastian Bach hat mit seinen sechs Brandenburgischen Konzerten, die er 1721 - während seiner Kapellmcistertätigkeit in Köthen - dem Markgrafen Christian Ludwig von Brandenburg widmete und die er „Konzerte mit mehreren Instrumenten“ nannte, den abso luten Gipfelpunkt spätbarocker deutscher Instrumentalmusik geschaffen. Wie Händel in seinen Concerti grossi ging auch Bach auf italienische Barockmeistcr, Corelli, Vivaldi usw., zurück, gab aber der Gattung des „Concertos“ durchaus mehr Eigenes als sein großer Zeitgenosse. Wohl musiziert auch er in den Brandenburgischen Konzerten im Sinne der Concerti grossi, d. h. wechselnd zwischen dem Tutti, dem gesamten Orchester, und dem Concertino, einer Gruppe von Soloinstrumentcn, erfüllt jedoch die traditionelle Form mit einem ganz neuen, persönlichen Geist. Hinsichtlich Vielseitigkeit der immer kammermusikalischcn Besetzung, Dichte der poly phon-motivischen Satzarbeit, Geistigkeit, Empfindungsgehalt und Klarheit der Form sind Bachs Brandenburgischen Konzerten in der späteren Musikgeschichte kaum gleichwertige Lei stungen in dieser Gattung gegenübcrzustellen. Im dritten, heute erklingenden Brandenburgischen Konzert in G-Dur knüpfte Bach an die alt venezianische Mehrchörigkcit an, d. h., er läßt ein mehrfach besetztes Streichorchester „per cho- ros“, mit wechselnden Chören, konzertieren. Concertinoartig sind aus dem Tutti des Streich orchesters drei Sologruppcn, je drei Violinen, Bratschen und Celli, hcrausgclöst, die mit der vollen Orchesterbcsetzung „wettstreiten“. Die zwei Sätze des Werkes wurden durch zwei lang gehaltene kadenzierende Akkorde verbunden. Aus dem hinreißend-schwungvollen Hauptthema des ersten Satzes, vom Tutti zu Beginn vor getragen, entwickelt sich der großartige, logisch zwingende Aufbau dieses Satzes: Zwischen zehn Tuttiepisoden werfen sich die solistischen Instrumentalgruppen das Hauptmotiv - und auch Seitengedanken - in einem geistreichen, immer bis ins letzte konzentrierten Spiel zu. Besonders kraftvoll wirkt die Schlußsteigerung. Die „durchbrochene“ Satztechnik des Stückes nimmt das voraus, was die Musikwissenschaft bei Joseph Haydn, 50 Jahre später, als thematische Arbeit bezeichnet. Weniger festlich ist die Stimmung des zweiten Satzes, der in stürmisch wirbligem 12 /s-Rhythmus unaufhörlich dahincilt. Eine unerhört dichte, geistvolle Kontrapunktik kennzeichnet auch diesen Satz. Ludwig van Beethovens einziges Violinkonzert, D-Dur, op.61, aus dem Jahre 1806 entstand in unmittelbarer Nachbarschaft mit der 4. Sinfonie, dem 4. Klavierkonzert und den Rasumowski-Quartettcn. Das Konzert, das wohl das bedeutendste dieser Gattung über haupt ist, demzufolge zu den Standardwerken der Violinliteratur gehört, hatte Beethoven für den Konzertmeister des Theaters an der Wien, Franz Clement, komponiert, der cs auch am 23. Dezember 1806 uraufführte, ohne allerdings damit eine restlos befriedigende Resonanz bei der Kritik finden zu können. In einzigartiger Weise sind im Bccthovenschen Violinkonzert die ganz eigenen Möglichkeiten des Instrumentes erfaßt. Das Werk ist lyrisch, gefühlsbetont und ist als erstes seiner Art zum Prüfstein geigerischer Kunst geworden, obwohl es eigentlich nur im Finale ausgesprochene Virtuosität fordert. Vollendung der Form, Tiefe und Schönheit der Gedanken, idealer Ausdruck klassischen Humanismus - das sind Vorzüge des Werkes, das bei aller Universalität des zur Darstellung gelangenden Weltbildes jedoch mehr zu gelassener Aus gewogenheit als zur Überwindung dialektischer Spannungen neigt. Vier leise Paukenschläge, die im ganzen Satzvcrlauf späterhin motivische Bedeutung haben, eröffnen die Orchestereinleitung des ersten Satzes (Allegro ma non troppo), die das thema tische Material mit sinfonischer Impulsivität an das Soloinstrumcnt weitergibt. Zwei Themen werden entwickelt. In den Oboen, Klarinetten und Fagotten erklingt zunächst das gesangvolle Hauptthema, dem nach einem energischen Zwischensatz ein zweites lyrisches D-Dur-Thema der Holzbläser von bezaubernder Schlichtheit folgt. Nach der Entwicklung dieses Themas, die zu einem kraftvollen Flöhepunkt mit einer neuen, daraus hervorwachsenden Melodie führt, setzt die Sologeige, zurückhaltend von Bläsern und Pauken begleitet, mit leichter Abwandlung des Hauptthemas in hoher Lage ein. Und nun beginnt ein herrlicher Zwiegesang mit dem Orchester. In kaum zu beschreibender Schönheit fließt der Klang der Sologcige über dem Orchester hin oder begleitet cs mit beseelten Passagen. Auch nach einem zweiten kräftigen Orchc itcrtutti