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KONGRESS-SAAL DEUTSCHES H YG I E N E - MU S EU M Freitag, 4. 1.1963, 19.30 Uhr Sonnabend, 5. 1. 1963, 19.30 Uhr Sonntag, 6.1. 1963, 19.30 Uhr 5.PHILHARMONISCHES KONZERT Dirigent Solisten Prof. Heinz Bongartz Bärbc Hörig, Harfe Hans Pischner, Cembalo Karl-Heinz Naumann, Klavier Hector Berlioz 1803-1869 Ouvertüre „Benvenuto Cellini“ Petite Symphonie concertante für Harfe, Cembalo, Klavier und 2 Streichorchester Frank Martin geb. 1890 PAUSE Gustav Mahler 5. Sinfonie ls6() ihn Trauermarsch - Stürmisch bewegt Scherzo Adagietto Rondo-Finale ZUR EINFÜHRUNG Hector Berlioz (1803-1869) gehört wohl zu den originellsten, wenn auch umstritten sten Meistern der französischen Romantik. Stand sein Werk zu seinen Lebzeiten im Brenn punkt des Interesses und des Meinungsstreites, so hat die Gegenwart doch einen immer größeren Abstand von seinen Kompositionen gewonnen, und nur noch die wirklich bedeutendsten Schöp fungen erscheinen heute auf den Programmen unserer Orchester. Das soll nicht das Verdienst des großen Franzosen schmälern, das er sich als entscheidender Anreger der französischen Romantik erworben hat. Zu den wichtigen, revolutionären Neuerungen, die Berlioz als realisti scher Romantiker einführtc, muß man die konsequente Durchführung der Programmusik, die Schöpfung der Sinfonischen Dichtung (Poeme Symphoniquc) genauso zählen wie die von einem imponierenden Klangsinn getragenen Erweiterungen und Verbesserungen des Orchesterklanges, die er gleichermaßen praktisch in seinen Werken als auch theoretisch in seiner „Kunst der Instru mentierung“ darlegte. So erblicken wir diese interessante Persönlichkeit, deren romantisches Welt- und Lebensgefühl sich in musikalischen Selbstoffenbarungen ergoß, heute vor allem in historischer Sicht als den genialen Anreger, den vielseitigen Erneuerer der französischen Sin- fonik. Der am 11. Dezember 1803 Geborene sollte zuerst - gleich seinem Vater - Arzt werden. Seine Medizinstudien in Paris vertauschte er allerdings nach eindrucksvollen Opernerlebnissen - besonders Gluckschcr Werke - mit dem Musikstudium, dessen Früchte sich dann in dem 1830 errungenen Rompreis zeigten. Dieser Preis war ein Stipendium, das alljährlich begabten Nach wuchskomponisten einen dreijährigen Studienaufenthalt in Italien ermöglichte. Vorher schon hatte Berlioz bedeutende Kompositionen geschaffen: Schon immer hatte ihn Goethes „Faust“ inter essiert, und so hatte er 1829 „Acht Faust-Szenen“ komponiert, die er später zu seiner großen Programmsinfonie „Fausts Verdammnis“ erweiterte. Uraufgeführt war auch bereits sein viel leicht berühmtestes Opus, die „Symphonie Fantastiquc“. Nach seiner Rückkehr aus Italien gelingt cs ihm nicht, sich als Musiker einen festen Platz zu erringen. Seine Kompositionen werden stark angefeindet, und zum praktischen Musiker mangelt cs ihm an Ausbildung - er spielt nur die Gitarre. So arbeitet er lange Jahre seines Lebens als Musikkritiker einer angesehenen Pariser Tageszeitung und erweist sich als hervorragender Musikschriftsteller, der sich mit Elan für das Werk besonders der deutschen Komponisten, so Wagners, einsetzt. Daneben entstehen seine Werke „Romeo und Julia“ - ein Oratorium für große Besetzung (1839), ein „Tedeum“ (1854), etliche Ouvertüren, u. a. zu Shakespeares „König Lear“, die Opern „Benvenuto Cellini“ (1838), „Die Trojaner“ (1855-58) und „Beatrice und Benedikt“ nach Shakespeares „Viel Lärm um nichts“ und eine große „Trauer- und Triumphsinfonie“ (1840). Weitaus größere Anerken nung als in seinem Heimatland findet er mit seinen Kompositionen in verschiedenen Ländern des Auslandes, so in Belgien, Deutschland, Österreich, England und Rußland, wo er als Diri gent auftritt und seine eigenen Werke zu bedeutenden Erfolgen führen kann. Besonders in Deutschland, wo Robert Schumann und Franz Liszt sich stark für ihn einsetzen, erntet er ge radezu Triumphe. Seit 1852 besaß Berlioz eine - wenn auch recht untergeordnete - Stellung am Pariser Konservatorium, zu einer Lehrtätigkeit konnte er nicht gelangen. Die mangelnde An erkennung seiner Werke in Frankreich, schwere persönliche Schicksalsschläge ließen den Kom ponisten in den letzten Lebensjahren immer mehr vereinsamen, ehe er am 8. März 1869 in Paris starb. Die Oper ..Benvenuto Cellini“ von Hector Berlioz behandelt eine Episode aus dem Leben des berühmten Renaissance-Goldschmiedes. Berlioz gibt - wie auch in anderen Werken - dem Helden der Oper eigene Züge - deutlicher Ausdruck der romantischen Selbstoffenbarung. Die Oper spielt zu Zeiten des römischen Karnevals, und so ist die Atmosphäre eines solchen rau schenden Festes der Renaissance natürlich mit in der Oper und der Ouvertüre eingeschlossen. Die Oper erlebte bei ihrer Uraufführung ein ziemlich vernichtendes Fiasko, die Ouvertüre jedoch hat sich gehalten. Sechs Jahre später komponierte Berlioz noch eine weitere Ouvertüre für dieses Werk, die ursprünglich den zweiten Akt einleiten sollte und die unter dem Titel „Römischer Karneval“ sich auch einen Platz in den Konzertprogrammen errungen hat. Die „Cellini“-Ouvertürc ist in der Form der Italienischen Ouvertüre gehalten. Ein schneller Teil bildet den Auftakt, thematisch bestimmt durch ein Thema, das den hitzköpfigen Helden in interessanten rhythmischen Verschiebungen charakterisiert. Für das Larghetto sind die beiden Hauptthemen ebenfalls der Oper entnommen: einmal ein bedächtig-feierliches aus der An sprache des Kardinals, zum anderen ein leicht beschwingtes Thema aus dem Liede des Harle kins. In interessanter Instrumentation werden diese beiden Themen dann beleuchtet. Schließlich setzt über drängenden Synkopen wieder das Cellini-Thema ein und gibt somit den Einsatz für ein rauschendes Finale, das in leuchtenden Orchesterfarben und in romantischem Überschwang ein farbenprächtiges Bild des römischen’ Karnevals bietet. Der wohl bedeutendste Vertreter der Musik der romanischen Schweiz, Frank Martin (geb. 1890), hat sich mit seinem verhältnismäßig wenige Werke umfassenden Gesamtschaffen erst recht spät durchsetzen können. Nach kompositorischen Studien in seiner Heimatstadt Genf übte er eine Tätigkeit als Pianist, Cembalist und Professor für Kammermusik am Konservatorium aus, unterrichtete am Institut Jacques Dalcroce und hat seit 1950 eine Professur für Komposition an der Kölner Musikhochschule inne. Zu seinen Hauptwerken gehören die Oper „Der Sturm“ nach Shakespeare, das weltliche Oratorium „Le vin herbe“ nach dem Roman „Tristan et Iseut“, „Der Cornet“ nach Rainer Maria Rilke für Alt und Orchester, ein Passionsoratorium „Golgatha“, ein Oratorium „In terra pax“, das er im Auftrage von Radio Genf für den Tag des Kriegsendes 1945 schrieb, sowie die heute erklingende „Petite Symphonie concertante“ für Harfe, Cembalo, Klavier und zwei Streichorchester, die auf Anregung des Leiters des Baseler Kammerorchesters, Paul Sacher, entstand. Zu seinem Werk lassen wir den Komponisten kurz selbst zu Wort kom men: „Ich habe mir die Aufgabe gestellt, alle noch heutzutage gebräuchlichen Saiteninstrumente - also Streicher, Klavier, Cembalo und Harfe - zu verwenden. Es war demnach eine instrumen tale Kombination, welche die erste Anregung für meine Arbeit gab. Ich entschloß mich, die beiden Tasteninstrumente und die Harfe solistisch zu behandeln . . . Diese instrumentale Dis position führte mich zur klassischen Form des Symphonie-Allegros, nicht um den musikalischen Gedanken in eine festgesetzte Form zu legen, sondern um zu sehen, ob die musikalische Materie in dieser Form mit zwei Themen gedeihen und sich entwickeln könne. Auf diese Art entstand der erste Teil dieser Symphonie mit seiner Introduktion und seinem Allegro, wobei das zweite Thema und die weitere Entwicklung die wesentlichen Elemente der Introduktion übernehmen. Dieses Allegro gleicht einem Concerto mit seinen solistischen Teilen - bei denen die drei kon zertierenden Instrumente einander wechselseitig begleiten - und dem immer wiederkehrenden Orchesterpart. Im zweiten Teil habe ich mich dem spontanen musikalischen Bewegungsausdruck hingegeben. Das melodische Hauptthema, in langsamem Zeitmaß durch die Harfe eingeführt, dann vom Klavier übernommen, entwickelt sich plötzlich in seinem munteren Marschthema. Im Gegensatz zum ersten Teil und trotz zahlreicher episodischer Elemente ist hier nur e i n Thema führend. Nach einer großen Steigerung schließt der Satz mit einer kurzen Kadenz.“ Dieser Ein führung Frank Martins in sein Werk sei hier nur noch kurz hinzugefügt, daß zwar das erste Thema des Adagios eine vollständige Zwölftonreihe darstellt, daß aber der Komponist die dodckaphonischc Technik in sehr selbständiger und vor allem musizierfreudiger Weise hand habt. Martin bekannte einmal über sein Verhältnis zu Arnold Schönberg, daß er stark von ihm beeinflußt wurde, aber gleichzeitig mit seinem ganzen musikalischen Empfinden sich ihm ent gegengestellt habe. Die musikantische Rhythmik des Werkes und die vielfältigen klanglichen Reize, die er der seltenen instrumentalen Zusammenstellung abgewann, haben der Komposition in ihrem konzentrierten Wesen einen großen Erfolg gesichert.