Volltext Seite (XML)
Zyklus in sich vereinigt. Indem Bartök im Schlußrondo thematische Gedanken des ersten Satzes erneut verarbeitet, spannt sich über das ganze Werk ein für den Komponisten be zeichnender einzigartiger Spannungsbogen. Die bestimmenden Kräfte in dieser Komposition sind eine wahrhaft elementare Rhythmik und musikantische Vitalität, die dem sehr bedeuten den, substanzreichen Konzert das ganz eigene Gepräge verleihen. Große Sorgfalt hat der Komponist offenbar der geschliffenen formalen Seite gewidmet. Gegenüber dem ersten Klavierkonzert fällt ein größerer Reichtum an orchestralen und klavieristischen Farbwerten auf, eine stärkere Einbeziehung diatonischer Elemente im Melodischen und Harmonischen, Bereiche, die vorher vor allem chromatisch orientiert waren. Kontrapunktischer Gestal tungen bedient sich Bartök besonders im geistvollen, lediglich von Bläsern begleiteten ersten Satz (Allegro). Im Mittelsatz kontrastiert eine erregende Prestoepisode zu den ge tragenen Streicherklängen, dem Klavierrezitativ mit Pauke des Adagios. Im Finale (Allegro molto) walten wieder entfesselte musikalische Urkräfte, fasziniert der Gedankenreichtum des großen ungarischen Meisters. Dieter Härtwig Paul Hindemiths Sinfonie ,,Mathis der Maler“ verdankt ihr Entstehen den Beziehungen zwischen Musik und bildenden Künsten, nämlich den Gemälden des berühmten elsässischen Isenheimer Altars jenes vermutlich mit einem Meister Mathis Nithart identischen Matthias Grünewald, der um 1470 in der Maingegend geboren wurde und 1528 als Maler und Wasser kunstmeister des Rats der Stadt Halle an der Saale gestorben ist. In den drei Sätzen seines Orchesterwerkes, die drei Bildtafeln des jetzt im Museum zu Colmar befindlichen Altar werkes entsprechen, verbindet Hindemith eine außerordentlich starke optische Bildkraft, die indessen nichts mit naturalistischer Nachahmung zu schaffen hat, mit einer gleich starken musikalischen Erlebnis- und Ausdrucksfähigkeit. Die Sinfoniesätze sind Ausschnitte — zum Teil in instrumentaler Umformung — aus Hinde miths Oper ,,Mathis der Maler“. In diesem 1932 bis 1934 entstandenen Werk entlud sich die Feindschaft des Komponisten gegen das Naziregime, das ihn kurz danach in die Emigration trieb. Seine Parallelen waren sehr deutlich. So entsprach eine Szene mit der Verbrennung lutherischer Schriften durch die Päpstlichen haargenau jenem schändlichen Vorgang der Vernichtung fortschrittlicher Bücher vor der Berliner Staatsoper am 10. Mai 1933. Die braunen Machthaber verstanden den in künstlerische Form gebrachten Protest des Kom ponisten gegen ihre Kulturbarbarei sehr wohl und untersagten die Aufführung der Oper.l Sie kam erst 1938 in Zürich heraus. In Matthias Grünewald versinnbildlichte Hindemith," der sein eigener Textdichter war, das Verhältnis zwischen dem schaffenden Künstler, dem Volk und der Kunstanordnungen erteilenden Obrigkeit. Jahrelang hatte Hindemith — sehr im Gegensatz zu dem sich bewußt von der Menge absondernden Arnold Schönberg — nach neuen Bindungen zwischen Künstler und Hörer gesucht und sie in zahlreichen Jugendmusiken und Lehrstücken zu erreichen geglaubt. Deshalb ließen die Vorgänge Anfang der dreißiger Jahre in ihm eine große Enttäuschung über die den braunen Ratten fängern widerspruchslos ins Netz gehenden Menschen aufkeimen. Sein Mathis findet trotz seiner Sympathien mit dem deutschen Bauernkrieg nicht zum wahren Volk zurück, sondern er resigniert in der Einsamkeit. Diese Haltung eines Künstlers entspricht Hindemiths eigener Entwicklung. Er hatte in den zwanziger Jahren bedauerlicherweise nicht den Anschluß an die wirklich fortschrittlichen Kräfte gefunden und verkündigte deshalb nach den Wirrsalen des 2. Weltkrieges in einer weiteren Künstleroper, die den Astronom Johannes Kepler in den Mittelpunkt stellt und ,,Harmonie der Welt“ heißt, noch deutlicher als in ,,Mathis der Maler“ die Ausweglosigkeit des heutigen bürgerlichen Künstlers. Der 1. Satz der Sinfonie ,,Mathis der Maler“ heißt,,Engelkonzert“ und vertritt in der Oper die Ouvertüre. Ihn durchzieht als Cantus firmus das mittelalterliche Lied „Es sungen drei Engel ein süßen Gesang“. Der zu Beginn seiner kompositorischen Selbständigkeit äußerst ungebärdige und klanglich oft hemmungslos experimentierende Hindemith hatte um 1930 die belebenden Kräfte des deutschen Volksliedes neu erkannt, und gerade in der Oper „Mathis der Maler“ spielen die alten kämpferischen Weisen der Reformationszeit eine große Rolle. Drei scharf geschnittene Themen werden in diesem Satz geistvoll kontrapunk tiert und am Schluß mit dem Engellied verbunden, so daß ein greifbar deutliches Abbild musizierender Gruppen entsteht, eine klingende Parallele zu der in ungeheurer Leuchtkraft strahlenden Darstellung der inbrünstig auf Arm- und Beinviolen spielenden Engel des Matthias Grünewald. Der 2. Satz („Grablegung“) ist eine der erschütterndsten Trauermusiken, die wir kennen. Wer in den zwanziger Jahren geneigt war, Hindemith nur als Verneiner des Bestehenden und als musikalischen Ironiker anzusehen, mußte erstaunt und beglückt sein über die menschliche Wandlung, die sich im reifenden Künstler vollzogen hatte. Stoßweise verhaltene Rhythmen und mächtige melodische Ergüsse zeigen gerade in diesem Satz, daß Hindemith, der ur sprüngliche Verächter jeglichen romantischen Gefühls, die echten Werte innerlicher emotiona ler Spannungen wiedererkannt und ihnen klingende Gestalt gegeben hat. Dem 3. Satz der Sinfonie („Versuchung des heiligen Antonius“) liegt das vielleicht eindrucks stärkste Bild des Isenheimer Altars zugrunde. Mit expressionistischer Grausigkeit stellt Meister Mathis schaurige, aus Tier- und Menschenleibern gemengte Höllengestalten dar, die den in der Oper mit dem Heiligen identifizierten Mathis im Schlaf bedrängen. („Dein ärgster Feind sitzt in dir selbst . . . Wir plagen dich mit deines eigenen Abgrunds Bildern“, heißt es in der Dichtung.) Vom ungemein plastisch wirkenden Streichermelisma des An fangs reichen die gespenstischen Visionen dieses Satzes bis zum Teufelsgelächter und zu ekstatischen Klanghöhepunkten. Der Höllenspuk wird schließlich besiegt durch eine kraft voll optimistische, aus dem Gregorianischen Gesang abgeleitete Melodik. So klingt auch dieses sinfonische Werk unseres Jahrhunderts, wie so viele Werke der Weltliteratur, aus mit dem Grundgedanken „Durch Nacht zum Licht“. Prof. Dr. Richard Petzoldt