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Das b-Moll-Klavierkonzert, op. 23, vom Jahre 1875 hatte PeterTschaikowski für Niko lai Rubinstein geschrieben, der ihn, den er als Theorielehrcr an das neugegründete Moskauer Konservatorium berufen hatte, in sein Haus aufnahm und von dem er bedingungslose Gefolg schaft erwartete. Tschaikowski, der als Pianisten Nikolai über dessen Bruder Anton Rubinstein stellte, gedachte das Werk auch dem Erstgenannten zu widmen. Dieser aber erklärte das Werk für nicht spielbar und verlangte Änderungen. Daraufhin durchstrich der Komponist die Widmung an N. Rubinstein und dedizierte es Hans von Bülow. Dieser setzte sich in Amerika und Europa für das Werk ein, in Moskau spielte es erstmals Tschaikowskis Schüler Sergej Tancjcw. Rubin stein, den Bülows Erfolge mit dem Konzert nicht ruhen ließen, nahm es schließlich auch in sein Repertoire und erspielte ihm in Rußland und im Auslande bedeutende Erfolge. Schreibt auch Tschaikowski im Hinblick auf die Konzeption des Konzerts: „Prinzipiell tu ich mir Gewalt an und zwinge den Kopf, Klavierpassagen auszudenken“, so widerspricht solche von versteckt sich äußernden Krankheitssymptomen diktierte Aussage dem Zuschnitt des Werkes, das, die reichen Mittel der Klaviertechnik nutzend, doch das virtuose Element dem sinfonischen Geschehen ein ordnet und so überzeugend das Erbe Liszts und Schumanns den Charakteristika der Persönlich keit Tschaikowskis unterstellt. Nicht immer wurde in der Vergangenheit Tschaikowskis Anteil an der Betonung des nationalen Elementes der russischen Musik voll gewürdigt. Hans Mlynarczyk LUDWIG VAN BEETHOVEN Man spricht von der „Fünften“. Jeder weiß, daß damit die 5. Sinfonie Ludwig van Beethovens gemeint ist, sein Opus 67 aus den Jahren 1807/08. Damit wird ausgesagt, daß dieses Werk in den geistigen Besitz aller Musikgebildeten, ja, darüber hinaus wohl in das Bildungsgut des Abendlandes übergegangen ist. Diese c-Moll-Sinfonie, die, nach einem eigenen Ausspruch Beet hovens, der auf die vier Einleitungstakte anspielt („So pocht das Schicksal an die Pforte“), auch die Schicksalssinfonie genannt wird, enthält allerdings auch einen Satz, den ersten nämlich, der wohl zum Geschlossensten gehört, was die Tonkunst bisher hervorgebracht hat. Diese Größe und Einheitlichkeit dieses erstaunlichen Satzes ist auf die enge Angleichung des thematischen Mate rials zurückzuführen, bei der sich von vornherein das 2. Thema den immerfort klopfenden Ach teln des Schicksalsthemas unterwirft. Goethe hat ausgerufen, als ihm der junge Mendelssohn diesen Satz vorspielte: „Das ist sehr groß, ganz toll, man möchte fürchten, das Haus fiele ein; und wenn das nun alle die Menschen zusammen spielen!“ Im Andante con moto variiert Beethoven mehrere Themen. Das erste ist das entscheidende Thema, die Bratschen und Celli tragen es vor. Manchmal hat dieser Satz eine Trauermarsch stimmung, und bisweilen klopft in ihm drohend das Schicksalsmotiv des Beginns. Beethoven, der sich nicht gern in ausgefahrenen Geleisen bewegte, sondern der seit je eigene Wege ging, brachte in dieser Sinfonie eine Neuerung: die Verbindung von Scherzo und Finale durch eine Überleitung, also die Zusammenfassung des 3. und 4. Satzes. Auch das Scherzo bringt, rhythmisch dem Dreivierteltakt angepaßt, das pochende Schicksalsmotiv. Sein Hauptthema je doch, der gebrochene c-Moll-Akkord, klingt stark an das Finalethema der g-Moll-Sinfonie von Mozart an. Die Überleitung zum Finale halten manche für eine der genialsten Eingebungen Beethovens. Busoni meinte, diese Stelle sei eine der wenigen, die wahre Musik zeigte, eine Musik, die nicht in Formen, Formeln und Schematas eingezwängt und erstarrt sei. Das Finale erfreut immer wieder durch seinen jubelnden Optimismus. Die vier Themen, die das gedankliche Gerüst dieses Satzes bilden, der in klarem C-Dur geschrieben ist, sind diesem freudigen Charak ter angepaßt. Ihr Bau ist so einfach, so schlicht, daß jeder Mensch sie begreift, sie versteht, von ihnen sofort angesprochen wird. Von hier aus erklärt sich die weltumspannende Wirkung dieser Sinfonie, die die tiefsten Gedanken ausspricht und dennoch die breiteste, ja fast populärste Wirkung hervorruft. Johannes Paul Thilman 6199 Ra ITI-9-5 0,8 1062 It 4353/62