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- Sächsisch« EtaatSreitimg — Dienstag, 23. Mai 191« Nichtamtlicher Teil. Der Reichskanzler z« den jüngsten Auslastungen Sir Edward Greys. In einer Unterredung mit dem amerikanischen Jour nalisten K. v. Wiegand hat der Reichskanzler zu den jüngsten Auslassungen deS englischen Ministers Sir Edward Grey Stellung genommen. Hr. v. Wiegand telegraphierte der „New-Vork World" über diese Unter redung folgendes: „Nach 22 Monaten eines furchtbaren Krieges, nach Millionen Opfern an Toten, Verwundeten und Ver stümmelten, nachdem den Schultern des gegenwärtigen und der künftigen Geschlechter eine schwere Schuld an Gut und Blut aufgebürdet worden ist, beginnt England cinzusehen, daß das deutsche Volk nicht zermalmt, daß die deutsche Nation nicht vernichtet werden kann. Jetzt, wo es dies erkennt, erklärt Sir Edward Grey, daß die britischen Staatsmänner niemals Deutschland zermalmen oder vernichten wollten, trotz gegenteiliger Äußerungen seiner Ministerkollegeu, trotz der Forderungen der eng lischen Dresse und trotz des Köders, den Präsident Poincare dem französischen Volke vorgehalten hat, daß, wenn es bis zum Ende durchhalte, England und Frank reich Deutschland den Frieden diktieren würden." So äußerte sich der Reichskanzler v. Bethmann Hollweg, als ich auf meine Bitte von ihm empfangen wurde, um ihn zu fragen, ob er zu den Auslassungen Sir Edward Greys zu Hrn. Edward P. Bell von den „Chicago Daily News" Stellung nehmen wolle. Glauben Sie, daß eine Preßpolemik uns weiter führt? sagte der Kanzler. Sie zwingt uns auf Ver gangenes zurttckzublicken, anstatt daß wir uns der Zukunft znwenden sollten. Ja, warf ich ein, ist cs nicht gerade Sir Edward Grey, der seine Blicke auf die Zukunft richtet? Was cr anstrebt, ist doch eine friedliche Zukunft der Welt, wenn er auch meint, vorher müsse der preußische Militarismus niedergeworfen sein. Ich wundere mich, erwiderte der Kanzler, wie Sir Edward Grey immer noch von Preußen im Gegensatz zu Deutschland sprechen kann. Ich weiß sehr wohl, daß die Unkenntnis der deutschen Zu stände, die vor dem Kriege in England sowohl wie in Frankreich herrschte, daß die Spekulation auf innere Uneinigkeit Deutschlands Wasser auf die Mühle der eng lischen und französischen Kriegsparteien gewesen ist. Aber ich hatte geglaubt, die wunderbare und heldenmütige Einheit des gesamten deutschen Volkes in der Verteidigung der Heimat hätte jetzt den Herren die Augen geöffnet. Und dann der Militarismus! Wer war cs, der in den letzten 20 Jahren mit Militarismus Politik getrieben hat. Deutschland oder England? Denken Sie doch an Ägypten, an Faschoda. Fragen Sie die Franzosen, welche Macht damals Frank reich durch feine Drohungen die Demütigung auserlegte, die lange als die „Schmach von Faschoda" bitter emvfunden wurde. Denken Sie an den Burenkrieg, an Algeciras, wo England nach der eigenen Erklärung Sir Edward Greys Frankreich zu verstehen gab, daß es im Falle eines Krieges auf Englands Hilfe rechnen könne» und die Generalstäbe beider Länder sich entsprechend zu verständigen begannen. Dann kam die Bosnische Krisis. Deutschland war es, das damals den Krieg abwendete, indem es Rußland zur An- uahme eines Vermittelungsvorschlages bewog. England gab in Petersburg sein Mißvergnügen mit dieser Lösung zu erkennen. Sw Edward Grey aber erklärte bei dieser Gelegenheit, wie mir zuverlässig bekannt ist, er glaube, die englische öffentliche Meinung würde, falls es zum Kriege gekommen wäre, die Beteiligung Englands an Rußlands Seite gebilligt haben. Dann Agadir. Wir waren im besten Zuge, unsere Differenzen mit Frankreich im Verhandlungswege zu schlichten, als England mit der bekannten Rede Lloyd Georges dazwischen fuhr und die Kriegsgefahr herauf- bcschwor. Ich will nicht entscheiden, ob Ew. Exzellenz recht haben, sagte ich, aber Sir Edward Grey meinte doch, Ew. Exzellenz hätten genau gewußt, daß England nie mals Böses gegen Deutschland im Schilde geführt habe. Ich brauche als Antwort wohl bloß das Wort „Ein- kreisungspolitil" aussprcchen, erwiderte der Kanzler. Aus den veröffentlichten Dokumenten der belgischen Archive weiß alle Welt, daß auch neutrale Staatsmänner, wie die belgischen Diplomaten nicht nur in Berlin, son dern auch in Paris und London in dieser Einkreisungs politik nichts anderes sahen, als eine eminente Kriegs gefahr. Mas ich gegen diese Gefahr tun konnte, habe uh getan. Das Neutralitätsabkommen, das ich Lord Haldane anbot, hätte nicht nur Europa, sondern der ganzen Welt den Frieden gesichert. England hat cs abgelebnt. Ja, erlaubte ich mir zu bemerken, Sir Edward Grey meinte aber doch, Deutschland hätte absolute Neutralität verlangt, auch für den Fall, daß Deutschland auf dem Kontinent Angriffskriege führen wollte, und darauf hätte England doch wohl nicht eingchen können. Ick habe, erwiderte der Kanzler, am 19. August 1915 im Reichstag den Wortlaut der Formel mitgeteilt, die ich dem englischen Kabinett in den damaligen Verhand lungen vorgeschlagen habe. Die letzte Formel lautete: „England wird diese wohlwollende Neutralität bewahren, sollte Deutschland ein Krieg aufgezwungen werden." — Aufgczw unyen — bitte ich Sie zu bemerken. Es widerstrebt nur, auf alle diese Dinge, die ich ganz aus führlich vor aller Welt erörtert habe, zurückzukommen, aber, wenn Sie mich auf die Bemerkung anreden, die Sir Edward Grey hierüber gemacht hat, bin ich ge zwungen, festzustellen, daß ste den Tatsachen nicht ent spricht. Und, fuhr der Kanzler fort, lassen Sie mich noch eine, aber die letzte Bemerkung über die Vergangenheit machen. Immer erneut kommt Sir Edward Grey auf die Behauptung zurück, Deutschland hätte den Krieg vermeiden können, wenn es auf den englischen Konferenzvorschlag cingegangen wäre. Wie konnte ich diesen Vorschlag an- nehmen angesichts der umfangreichen, in vollem Gang befindlichen Mobilisierungsmaßnahmen der russischen Armee, fragte der Kanzler. Trotz amtlicher russischer Ableugnungen und wiewohl der formelle MobilmachungS- üie krönt im 08ten« kiiciitsstllck. MM MM KulmLÜHcde 8teIIvnx»linie. " ZA beseh! nicht vor dem Abend des 30. Juli ausgegeben wurde, war uns genau bekannt, und ist seitdem bestätigt worden, daß die russische Regierung einem schon am 25. Juli gefaßten Entschluß entsprechend, bereits mit der Mobilisierung begonnen hatte, als der Greysche Konfercnzvorschlag erfolgte. Angenommen, ich wäre auf den Vorschlag emgegangeu, und nach Ver handlungen von zwci bis drei Wochen, während denen Rußland stetig mit der Ansammlung seiner Truppen an unserer Grenze fortfuhr, wäre die Kon ferenz gescheitert, würde England uns dann vielleicht vor der russischen Invasion bewahrt oder uns mit seiner Flotte oder mit seinen: Heere unterstützt haben? Im Hinblick auf die späteren Kriegsereignisse muß ich sehr stark daran zweifeln. Mit zwei zu verteidigenden Grenzen konnte sich Deutschland auf keine Debatten ein lassen, deren Ausgang äußerst problematischer Natur war, während der Feind die Zeit znr Mobilisierung feiner Armeen ausnutzte, mit denen er uns überfallen wollte. Sir Edward Grey hat in den kritischen Tagen des Juli 1914 selbst anerkannt, daß mein Gegenvorschlag einer unmittelbaren Aussprache zwischen den Kabinetten von Wien und St. Petersburg besser geeignet sei, den österreichisch-serbischen Konflikt zn begleichen als eine Konferenz, und diese von Deutschland betriebene Aus sprache war nach Überwindung mancher Hindernisse auf dem besten Wege, als Rußland durch die entgegen seinen uns ausdrücklich gegebenen Zusicherungen erfolgte plötz liche Mobilmachung seiner gesamten Armee den Krieg unvermeidlich machte. Hätte England damals ein ernstes Wort in St. Petersburg gesprochen, so wäre der Krieg vermieden worden. England tat das Gegenteil. Aus dem Berichte des belgischen Gesandten in Peterssburg weiß die Welt, daß die russische Kriegspartei die Ober hand erhielt, als sie wußte, daß sie auf die englische Unterstützung rechnen kounte. Und weshalb handelte England so? Lassen Sie mich ganz kurz rekapitulieren, was die englischen Staatsmänner darüber gesagt haben. Am 3. August 1914 sagte Sir Edward Grey, Eng land werde kaum weniger leiden, wenn cS am Kriege teilnehme, als wenn es sich nicht daran beteilige. Zu gleich wies er auf das große vitale Interesse hin, das England an Belgien habe. Nicht um Belgiens, sondern um Englands willen hielt also Grey Englands Eintritt in den Krieg für angczeigt. Drei Tage später erklärte Hr. Asquith, der Kriegsgrund Englands sei ein doppelter gewesen: erstens um eine feierliche internationale Ver pflichtung zu erfüllen, zweitens um dem Prinzip Geltung zu verschaffen, daß kleine Nationen nicht erdrückt werden dürften. Derselbe Hr. Asquith hat in seiner letzten Rede er klärt, England und Frankreich hätten am Kriege teil nehmen müssen, um Deutschland zu verhindern, eine be herrschende Stellung zu gewinnen. Ist es nicht der Gipfel des Militarismus, sich an einem Kriege gegen ein anderes Land zu beteiligen, mit dem man tatsächlich keinen anderen Streitpunkt hat, als es zu verhindern, stark zu werden? Ja, aber Belgien, erlaubte ich mir einzuwcrfeu. Belgien, sagte der Kanzler; England hat es meister haft verstanden, der Welt einzureden, es habe zum Schutze Belgiens zum Schwert greifen müssen, und müsse um Belgiens willen den Krieg bis ins Unendliche fort setzen. Damit stimmen die soeben zitierten Reden der englischen Staatsmänner doch recht wenig überein, und, wissen Sie, wie man in früheren Zeiten in England über belgische Neutralität dachte? Am 4. Februar 1887 sagte das offizielle Organ der damaligen konservativen Regierung, der „Standard", daß, wenn Deutschland im Falle eines Krieges ein Wegerecht durch Belgien in Anspruch nähme, das in keiner Weise Englands Ehre verletzen oder seine Interessen schädigen würde, solange nur die Integrität und Unabhängigkeit Belgiens nicht in Frage gestellt werde. Kein englisches Blatt erhob gegen diesen Standpunkt Widerspruch, ja die liberale „Pall Mall Gazette" schloß sich ihm ausdrücklich an. Wie aber war es jetzt vor Ausbruch des Krieges? Aus drücklich bot ich England volle Garantie für die Integrität und Unabhängigkeit Belgiens. England aber wies dieses Angebot als einen „niederträchtigen Vorschlag" ab. 1887 galt eben Frankreich als Englands Rivale, 1914 war cs Deutschland, und deshalb gab Englands Interesse den Ausschlag für den Krieg. Ew. Exzellenz wollen, erlaubte ich mir zu be merken, lieber von der Zukunft als von der Gegenwart sprechen. Ja, versicherte der Kanzler, das zieh ich vor, denn mit retrospektiven Bemerkungen kommen wir nicht vorwärts. Sir Edward Grey will einen dauerhaften Frieden, den will auch ich. Seit Anfang des Krieges habe ich das immer wieder ausgesprochen. Aber ich sürchte, daß wir dem Frieden, der, wie ich glaube, von allen Völkern herbeigesehnt wird, nicht näher kommen werden, solange verantwortliche Staatsmänner der Entente sich in Bemer kungen über preußische Tyrannei, preußischen Mili tarismus und in pathetischen Deklamationen über ihre eigene Überlegenheit und Vollkommenheit er gehen, oder gar wie es jetzt Sir Edward Grey tut, Deutschland mit einer Veränderung seiner politischen Zustände beglücken wollen. Darauf kann ich dem englischen Minister, dem die irischen Zu stände doch Zurückhaltung auferlegen sollten, nur er widern, daß Deutschland Homerule hat, über die eS selbständig verfügt. Und, lassen Sie mich das einschaltcn, hat denn die demokratische Verfassung Englands die eng lischen Staatsmänner an dem Abschluß geheimer Ab machungen mit Rußland nnd Frankreich gehindert, die eine wesentliche Ursache des jetzigen Weltkrieges sind? Aber was ich sagen wollte, durch allgemeine Preßpole miken und öffentliche Reden wird der Haß unter den Völkern nur immer mehr geschürt. Und das ist nicht der Weg, der zu dem Jdealzustande Sir Edward Greys führt, in dem freie und glcichbercchtige Völker ihre Rüstungen einschränken und ihre Zwistigkeiten anstatt durch den Krieg durch Schiedsspruch lösen. Ich habe zweimal öffentlich festgestellt, daß Deutschland bereit war und ist, die Beendigung des Krieges auf einer Grund lage zu erörtern, die eine Gewähr gegen künftige An griffe durch eine Koalition seiner Feinde bietet und Europa den Frieden sichert. Hrn. Poincaräs Antwort darauf haben Sie gehört. Aber, warf ich ein, Sir Edward Greys Interview klingt doch anders. Das weiß ich nicht, erwiderte der Kanzler, das kann nur Grey selbst beurteilen. Aber eines weiß ich: Nur wenn sich die Staatsmänner der kriegführenden Länder auf den Boden der wirklichen Tatsachen stellen, wenn sie die Kriegslage so nehmen, wie sie jede Kriegskarte zeigt, wenn sie mit dem ehrlichen Willen, das entsetzliche Blutvergießen zu beenden, bereit sind, unter einander die Kriegs- und Friedensprobleme praktisch zu erörtern, nur dann werden wir uns dem Frieden nähern. Wer dazn nicht bereit ist, der trägt die Schuld, wenn sich Europa noch fernerhin zerfleischt und verblutet. Ich weise diese Schuld weit von mir. Der Krieg. Zur Lage. Nicht genehmigte öffentliche Sammlung in Sachsen. (Ick. «I.) Dem Verein Centralbibliothek für Blinde e. V. in Hamburg ist eine öffentliche Sammlung in Sachsen nicht genehmigt worden. Keine staatliche Hundesteuer in Sachsen. (LI. ck.) Die Einführung einer staatlichen Hunde steuer, die als Kriegsmaßnahme, namentlich zur Abminde rung des Futterbedarfs, wiederholt empfohlen wurde, ist dem Vernehmen nach in Sachsen nicht geplant. Dagegen hat das Ministerium des Innern mit Verordnung vom 20. April d. I. an die Kreis- und Amtshauptmannschaften zu gleichem Zwecke eine Erhöhung des Mindestsatzes (3 M.) für die nach dem Gesetze vom 18. August 1868 zugunsten der Armen- oder Gemeindekassen zu erhebenden Hunde steuer empfohlen und dabei die für eine solche Erhöhung ms Gewicht fallenden vaterländischen Interessen besonders hervorgehoben. Ter Krieg mit Frankreich und Belgien. o. Als Ergänzung der großen Erfolge an: „Toten Mann" sind unsere neuen Erfolge auf den Ofthängen der Höhe 304 aufzufassen, denn die jetzt erstürmten Stellungen auf den östlichen Ausläufern der Höhe schlie ßen sich eng an die Stellungen auf dem südlichen und Südwestabhang der Höhe „Toter Mann" an. Die großen Erfolge, die unsere Truppen westlich der Maas in den letzten Tagen errungen haben, bedeuten eine ständige Verminderung des Fortgeländes der Festung auch auf diesem Teile der Front. In den ersten Tagen des An griffes gegen Verdun hatten unsere Truppen auf der Ostfront der Festung den Franzosen das ganze Fort gelände entrissen und dadurch ihnen die Möglichkeit ge- (Fsrlschin- ftrh« »ächft« Seit«.)