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Rabenauer Anzeiger : 01.12.1908
- Erscheinungsdatum
- 1908-12-01
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Deutsches Stuhlbaumuseum Rabenau
- Digitalisat
- Deutsches Stuhlbaumuseum Rabenau
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id178001192X-190812010
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id178001192X-19081201
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-178001192X-19081201
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Bestände des Deutschen Stuhlbaumuseums Rabenau
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Rabenauer Anzeiger
-
Jahr
1908
-
Monat
1908-12
- Tag 1908-12-01
-
Monat
1908-12
-
Jahr
1908
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Politische Rundschau. Deutschland. Die erste Lesung der Reichsfinanzreform soll das Plenum des Reichstags bis in die neue Woche hinein beschäftigen, so daß der umfangreiche Gesetzentwurf mit seinen Steuer vorlagen etwa am 1. Dezember an die Kom mission gehen wird, an eine besondere Kommission selbstverständlich, und nicht etwa an die Budgetkommission, die ja ihre Haupt aufgabe, den Etat durchzuberaten, nicht er füllen könnte, wenn sie sich auf die Vorbe ratung der endlosen Finanzreform-Vorlage einlassen wollte- — Die Kommission für die Finanzreform hat überhaupt eine ganz be sonders schwierige Aufgabe zu lösen. Sie muß den mühevolleu Versuch unternehmen, eine Verständigung zwischen den Parteien und zwischen diesen und der Regierung her- beizuführen; die erste Lesung hat diesem Ziele so gut wie garnicht vorgearbeitet. Man hat immer nur nein und nein, und so nicht und so nicht gehört. Eine positive Zusage, hinter der eine Mehrheit stände, ist überhaupt nicht vorgenommen worden. — Der neue Etat wird dem Reichstage am I. oder 2. Dezember zugehen; am 7. Dezember soll seine erste Beratung im Reichtage beginnen. Das hohe Haus wird nach dieser Disposition erst später, als es sonst Gebrauch war, die Weih nachtsferien antreten. Das Ende des Blocks scheint nahe be vorzustehen. In der Frage über die gesetz liche Ministerverantwortl'chkeit scheiden sich Konservative und Freisinnige. Das Gleiche ist in Bezug auf die Verkuppelung der Reichsfinanzreform mit politischen Forderun gen der Fall. In der nächsten Reichstags- fitzung hat der konservative Abgeordnete von Schwerin über diese Lage und die sich aus ihr ergebenden Konsequenzen mit rückhaltlose ster Offenheit gesprochen. Gleichzeitig wies auch die konservative Kreuz-Ztg. auf das Blockende hin, indem sie schrieb: Solche über spannten Anforderungen der Freisinnigen an die Blockpolitik muffen zum Zerfall der kon servativ-liberalen Mehrheit führen, und die Regierung wird gut tun, einmal ernstlich die Grenzen der Blockpolitik festzulegen. Rußland. Das Befinden der Kaiserin Alexandra von Rußland hat sich infolge der seelischen Auf regungen bet der Bestattung des Großfürsten Alexis, der das Zarenpaar persönlich bei wohnte, dermaßen verschlechtert, daß die Za rin im Schlosse von Sarskoje Selo ihre Gemächer jetzt nicht mehr verlaffen kann. Der Nervenerschütterungen waren in den letzten Jahren eben zu viele und offenbar weit mehr, als in der Oeffentlichkeit bekannt ge worden ist. Pariser Blätter wollen heute schon wissen, der Zar werde im kommenden Sommer dem verbündeten Frankreich einen Besuch ab statten und im Anschluß daran den Revaler Besuch des Königs Eduard erwidern und auch mit dem deutschen Kaiser eine Begeg nung haben. England. Lord Roberts macht für seinen Plan, die englische Armee mit einem jährlichen Mehraufwand von 400 Millionen Mark auf einen dauernden Stand von einer Million Mann zu erhöhen, um gegen einen etwaigen Einfall Deutschlands geschützt zu sein, in ganz England Propaganda. Er hält nach seiner berühmten Rede im Oberhau'e in den verschiedensten Städten des Reiches Vorträge, in denen er die England von deutscher Sette drohende Kriegsgefahr in den erschrecklichsten Farben an die Wand malt. Die Autorität des Lords erhöht den Eindruck seiner Grau- lichmachereten. Es mehrt sich rapide die Zahl derer, die die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht fordern, um gegen eine deutsche Invasion gesichert zu sein. — Ueber diese Tollheit schlägt man im ganzen Auslande die Hände über dem Kopf zusammen. Man begreift nirgends wie eine derartige Bewegung in England Fortschritte machen kann, nach dem soeben erst von den Rednern aller Par teien des deutschen Reichstages sowie von den deutschen Regierungsvertretern feierlich erklärt worden ist, daß Deutschland von den friedlichsten und freundschaftlichsten Gefühlen für England beseelt ist. — Mit Genugtuung, wenn auch nur ganz im Geheimen, begrüßt Frankreich die von Lord Roberts angeregte Bewegung. Frankreich betreibt auch seine Rüstungen zur See mit fieberhaftem Eifer. Wachsamkeit und Erhaltung seiner Stärke ist daher für Deutschland eine Hauptforderung. Die Umwälzung auf dem Balkan. Der erste Bandenkampf zwischen einer starken Abteilung serbischer Bewaffneter und einem bosnischen Streifkorps hat in der Nähe von Drina an der serbisch-bosnischen Grenze stattgefunden. Das Streifkorps ver lor sieben Mann, die serbische Bande wurde vollständig aufgerieben. Das wäre für Ser biens Kriegsträume schon ein wenig günsti ger Anfang. Man wird aber in Belgrad bald noch nachdrücklicher belehrt werden, daß man sich beim Spielen mit dem Feuer die Hände verbrennen kann. Auf Rußlands Hilfe ist nicht zu rechnen. Denn der russischen Duma wird schon in den nächsten Tagen eine Vorlage wegen Aufnahme einer aus wärtigen Anleihe von rund einer Milliarde Mark zugehen. Von Frankreich ist der Pe tersburger Regierung aber schon bedeutet worden, daß eine Realisierung dieser Anleihe nur möglich ist, wenn Rußland das Seinige zur Erhaltung des Friedens auf dem Balkan tut. — Die Balkankonferenz soll jetzt gesichert sein; wäre es auch nur erst ein befriedigen der Erfolg derselben! Die Gärung in Indien. Die indische Frage nimmt wieder ein ernstes, wenn auch vorläufig nicht bedrohliches Aussehen an. Die ausgesprochenen Befürch tungen eines allgemeinen Aufstandes sind übertrieben. Den Angriffen gegen mißliebige hochgestellte Regierungsbeamte sind erst in letzter Zett Bombenattentate gegen Eisen bahnzüge, glücklicherweise ohne Unheil anzu richten, gefolgt. Der Vizekönig wird ebenso wenig wie seine Beamten unter der Ueber- zeugung vorgehen, daß es sich um eine Ka tastrophe handelt. Diese spukt nur in den Köpfen der vereinzelt im Lande lebenden, ständig bedrohten Europäer, die begreiflich nach Abschreckungsmaßregeln rufen. Lord Minto wird nach gründlicher Information den Mittelweg einschlagen und vermutlich die Wünsche der radikalen im Parlament durch Gewährung von Reformen, die der Konser vativen durch gesetzliche Verschärfungen, wie die Einsetzung besonderer Gerichtshöfe für die Aburteilung politischer Verbrechen, befriedigen, die durch besonders schnelle Behandlung der vorliegenden Fälle und deren rücksichtslose Bestrafung eingreifen. Die Reformen werden sich in erster Linie auf eine vollständige Revision des Institutes der durch und durch korrumpierten Polizei zu beziehen haben. Hand in Hand dürften da mit schließlich doch einige militärische Demon strationen gehen, die den Ruhestörern die anscheinend unterschätzte oder vergessene mili tärische Macht Englands ins rechte Licht rücken sollen. Vor allem aber dürfte Lord Minto zu verhindern suchen, daß die soziale Kluft zwischen den Engländern und den Indern sich durch die Schroffheit der Be amten noch erweitere; er wird bemüht sein, alle ihm Unterstehenden zu einer Haltung den Indern gegenüber zu veranlassen, die zu deren Bildungsniveau im richtigen Ver hältnis steht. Die Revolution auf Haiti. Wenn man den über New-Kork kommen den Nachrichten Londoner Sensationsblätter glauben kann, so finden in Haiti neuerdings Massenhinrichtungen statt. Präsident Nord Alexis läßt alles niederknallen, was im Ver dacht steht, Sympathien mit den Insurgen ten zu haben, und sein Gegner, General Simon, verfährt im Süden in gleicher Weise. Das Resultat ist eine vollständige Panik, und die Fremden auf Haiti rufen die Hilfe Ame rikas um Schutz und Intervention an. Aber weder in London noch in Washington neh men die Regierungen die Sache allzu ernst, und die abgeordneten Kriegsschiffe, von denen das amerikanische nur den Auftrag hat, In formationen zu sammeln, Haden es nicht sehr eilig. veutrchel wlchrlag. Im Reichstage wurde die Besprechung der Anfrage wegen des Radboder Grubenunglücks beendet. Die Erörterung, die kaum noch etwas neues brachte, verlief fast bis zum Schluß ruhig, dann kam es zu einem Zwischenfall. Staats- 'ekretär von Bethmann äußerte sich zu einem ihm vorgeworfenen angeblichen Widerspruch in seinen Aeußerungen über den Paragraphen 7 des Vercinsgesetzes. Tatsächlich fielen Gewerkschafts- Versammlungen nicht unter Paragraph 7, die polnischen Versammlungen »eien aber als natio- nalpolntsch ausgenommen. Ledebour (Soz.) warf dem Staatssekretär Irreführung des Reichstages vor und erhielt einen Ordnungsruf, ebenso Hue (Soz.), der meinte, sein Kollege habe recht. Vor der Vertagung wandte sich noch Minister Del brück gegen Hue. In der folgenden Sitzung waren die Steuer vorlagen wieder an der Reihe, deren Aufnahme mit jedem Tage ungünstiger zu werden scheint. Speck (Ztr.) brachte die in Bayern herrschende Entrüstung zum Ausdruck und verurteilte die neue Belastung gerade der breiten Massen. Der Hinweis auf das Ausland sei verfehlt; wir hät ten ja auch nicht dessen Rechte. Die deutsche Wirtschaftspolitik sand in dem Redner keinen Verteidiger. Dann streifte er die Sparsamkeits frage und zum Schluß las er den Freisinnigen eine Epistel. Graf Schwerin (kons.) war für eine Besteuerung auch der alkoholfreien Getränke, verurteilte die Anleihewirtschaft und hielt den Be darf mit 500 Mill. Mk. für eher zu niedrig als zu hoch geschätzt. Abgesehen von dem Erbrecht des StaateS und der Wehrsteuer, wollte er eine weitere Besteuerung von Besitz und Eigentum nur in der Form erhöhter Beiträge der Einzel staaten an das Reich. Das Wichtigste war die Erklärung, daß, wenn die Liberalen bei der Steuerreform etwa politische Sondervorteile er zielen wollten, für die Konservativen der Bode« für eine sachliche Verständigung über die Reform nicht mehr vorhanden wäre. (Hört! Hört!) We ber (natl.) erklärt sich ebenfalls gegen „Kuhhan del". Die Vorlagen ließen sehr zu wünschen übrig. vereitelte fisttsungen Die deutsche Industrie, soweit sie an der För" derung der Ausfuhr nach den Vereinigten Staa ten von Nord-Amerika ein großes Interesse hat, versteht heute den Jubel in den Kreisen der amerikanischen Groß-Spekulanten und Gewerbe treibenden über die Wahl des Herrn Taft zum Präsidenten der Vereinigten Staaten. Was Prä sident Roosevelt nicht durchzuführen vermochte, nämlich ein Heruntersetzen der nordamertkanischen Zölle zu Halbwegs normalen Stufen, das wird sein Freund und Nachfolger Taft überhaupt nicht versuchen. Der neue Präsident weiß, daß er mit einem solchen Vorgehen nichts Anderes erreichen würde, als seine Popularität aufs schwerste zu schädigen, und darum läßt er's. Der Herrscher im großen uud „freien" Lande jenseits des Oze ans bleibt nach wie vor der Dollar; erst kom men die Geschäftsinteressen drüben, dann kommen sie nochmals, und dann kommt die internationale Rücksichtnahme noch immer nicht. Das ist prak tisch und amerikanisch zugleich! Eine allbekannte Tatsache ist es, daß eine ganze Reihe von deutschen Ausfuhr-Industrien unter dem Drucke der hohen amerikanischen Zölle außerordentlich gelitten haben. Der Absatz ist schwer beeinträchtigt, viele Arbeiter für das nord amerikanische Geschäft haben entlassen werden müssen. Die Bemühungen der Reichsregierung, zu einem neuen und festen Handelsverträge zu kommen, waren vergeblich; es ist noch nicht ein mal erreicht, daß Amerika für bestimmte Waren nicht höhere Zölle wie Deutschland erhebt. Hin gegen sind mancherlei Fabrikate, die früher aus Europa bezog n wurden, jetzt drüben bergestellt, und diese Tatsache Hal weiterhin zur Verminde rung des Exports beigetragen. Bei dem nord amerikanischen Geschäft ist also der Verdienst ost dünn gesät und gerade keine Seide dabei zu spinnen. Unter dem neuen Präsidenten werden diele Verhältnisse mithin nicht besser werden; wir müssen schon hoffen, daß sie sich nicht noch mehr verschlimmern. Wäre unsere Industrie nicht so zähe, in der Spezialisierung nicht so hervorragend tüchlig, es würde noch weit ernster aussehen ; daß bei uns der Wunsch besteht, die deutsche Industrie möchte in Amerika mit demselben Zollmaße ge messen werden, wie die amerikanische in Deutsch land, ist doch nur berechtigt. Wir empfehlen keinen Zollkrieg, um zu diesem Ziele zu gelan gen ; auf ein Wachstum der internationalen han delspolitischen Rücksichtnahme müssen wir in Washington aber doch hinstreben. Wie gern im Auslande jede Gelegenheit be nützt wird, die deutsche Politik zu verdächtigen, das wissen wir genau. Die Vereinigten Staaten und Deutschland haben nicht geringe Interessen in der Weltpolitik, keine solchen aber, die einan der unumstößlich widersprechen müssen. Daran ist zu denken, und mit Besonnenheit ist der Weg zu verfolgen, der zu einem immer deutlicheren Erkennen dieser gemeinsamen Interessen führt. Abgesehen von einzelnen Heißspornen dürften auch die amerikanischen Politiker kaum der Ueberzeu- gung huldigen, daß Deutschland immer und ewig mit derjenigen Zollpolitik einverstanden sein muß, die billige fremde Wünsche überhaupt nicht beachtet. Wie schon oben erwähnt, wird Herr Roman von Franz Treller. Nachdruck verboten. Und davon eilte der Regierungsrat über die Straße, um gleich darauf eine ältere kor pulente Dame zu begrüßen und an ihrer Seite fortzuschreiten. Die Neuheiten aus dem Präsidentenhause berührten Rudolf wenig. Warum sollte Madame nicht die Witwe eines französischen Offiziers sein? Eine Französin war sie sicher nicht, das hörte man an ihrem Deutsch. Und das Fräulein? „Allerliebste Kleine." Welch ein Ausdruck dieser so kindlich reinen, madonnen haften Schönheit gegenüber! Lahrbusch, der ihm sonst sehr sympathisch war, hatte doch noch viel Burschikoses an sich. Langsam schritt er weiter seiner Behausung zu,dieerstch bei einerälterenWitwegemietethatte. * * * Marie von Manrod führte im Hause ihres Vaters eine wenig beneidenswerte Existenz. Trotzdem er ihr mit aufrichtiger Liebe zugetan war, stand er doch, selbst was sein inneres Leben anlangte, ganz unter dem Einfluß der Frau, mit der er einen zweiten Ehebund ein gegangen war. Mariens Mutter starb bald nach der Tochter Geburt. Ihr Vater sah die verwitwete Marquise de Fleury in Trouville und faßte für die verführerische Frau eine so leidenschaftliche Neigung, daß er ganz deren Sklave wurde. Es zeigte sich, daß Madome de Fleury, dereu Gatte der Armee angehört hatte, aus dem edlen tschechischen Geschlechte Pacek stammte. Alle Bedenken, die gegen diese Heirat des bereits bejahrten Herrn mit einer Dame, die niemand eigentlich kannte, über deren Gatten und über dessen Tätigkeit am Spieltische wunder liche Gerüchte umliefen, geltend gemacht wurden, zerstäubten in nichts vor der gewinnenden Anmut der Marquise. Fleury gehörte tatsächlich einer alten vor nehmen Familie an, nach der Schilderung seiner Frau ein vollendeter Kavalier, der seine bescheidene Existenz als pensionierter Militär mit unvergleichlicher Würde trug. Herr von Manrod hatte jahrelang in Paris den Posten eines Botschafters bekleidet, eine Stellung, die einer Sinecnre glich, in der man ihn aber um so lieber ließ, als sein alter Name und vor allem sein großes Vermögen der Gesandtschaft nicht übel anstanden. Irgend welchen Einfluß besaß Manrod nicht und suchte ihn auch nicht. Er fühlte sich als Mitglied der deutschen Botschaft, was ihm ein gewisses Relief verlieh, fühlte sich in Paris, wo er ein glänzendes Haus machte, überaus wohl. Die Bedenken, die auch auf der Botschaft gegen seine Heirat mit Frau von Fleury geltend gemacht wurden, wußte sie durch Beschleunigung der Heirat unwirksam zu machen. Ihre Zu gehörigkeit zu der verbreiteten und angesehenen Familie Pacek war unzweifelhaft, und Manrod, der ausgezeichnete Verbindungen am Hofe hatte, wußte dort seine Gemahlin in einem Lichte erscheinen zu lassen, das alle nachteiligen Ge rüchte Lügen strafte. Der glückselige Manrod nahm auch den Sprößling des weiland Kapitäns de Fleury mit seiner anmutigen Gattin mit in den Kauf und übergab ihn dem Institut von St. Cyr, um ihn dort für die Armee erziehen zu lassen. Von feiten des Hofes wurden keine Einwendungen gegen Manrods Heirat erhoben, und er verblieb in der Stellung als Botschafts rat. Seine Gattin mußte in den ihm zugäng- lichenKreijen empfangen werden und^verftand, unterstützt von einem gewinnenden Aeußeren, guten geselligen Manieren und der ganzen Geschmeidigkeit der Slavin, sich dort Boden zu verschaffen, dank ihrer Klugheit und der an gesehenen Familie ihres Gemahls. Von dem Augenblicke an, wo die neue Mutter einzog, vereinsamte Marie Manrod. Ihr Vater, ganz in der Anbetung seiner reizenden Gattin versunken und sehr den ge sellschaftlichen Vergnügungen zugetan, vernach lässigte sie mehr und mehr. Er sand in dem gesellschaftlichen Treiben von Parrs keine Zeit, sich um das Kind zu bekümmern, und war zufrieden, wenn er es dann und wann sah und wohl aussehend fand. Die Stiefmutter bekümmerte sich um ihr Stieftöchterchen noch weniger. Zum Glück besaß Marie von Manrod in Fräulein Becker, ihrer Gouvernante, nicht nur eine treffliche Erzieherin, sondern auch eine warmherzige, mütterliche Freundin, der man getrost das Kind überlassen konnte. So wuchs Fräulein von Manrod heran, einsam im elterlichen Hause. Von Zeit zu Zeit erschien ihr Stiefbruder in diesem, und der Sprößling des Marquis verstand es trefflich, sich dem jungen Mädchen durch leichtfertige Lcbensanschauungen und freies Benehmen wider wärtig zu machen. Auch die Einführung der jungen Dame in die Gesellschaft brachte sie den Eltern nicht näher. Als ihr Vater endlich, den gesellschaftlichen Anforderungen wohl nicht mehr gewachsen, seine Stelle bei der Botschaft anfgab, um nach Deutschland über zusiedeln, deuchte sie das als eiue Erlösung. Herr von Manrod, der nicht ohne weiteres in das Privatleben zurücktreten wollte, verstand es, sich durch seine einflußreichen Ver bindungen nach oben hin die Stelle des Re gierungspräsidenten zu verschaffen. Ein Freund der Arbeit war er nicht, aber er war klug genug, die bewährten Beamten seines Ressorts ungestört ihres Amtes walten zu lassen, und kehrte überall den wohlwollenden Chef hervor, der dankbar die Verdienste der ihm Untergebenen anerkannte. So kam er ganz gut aus. Fräulein von Manrod lebte auch in der deutschen Provinzialstadt einstweilen noch einsam. Seit früher Jugend daran gewöhnt, ühlte sie ihre Einsamkeit nicht und war froh, wutsche Luft atmen zu können und ihre Mutter- prache überall zu hören. Vom Leben wußte ie wenig und ein Mann, der ihr Herz höher chlagen gemacht hätte, war ihr noch nicht erschienen. Daß die Frau Präsidentin mit dem Ge danken umging, diese reiche Erbin, die auch bedeutendes mütterliches Vermögen besaß, mit ihrem Sohne erster Ehe zu vermählen, ahnte Marie von Manrod nicht. Seine ihr wenig angenehme Anwesenheit schrieb sie einzig der leidenschaftlichen Liebe ihrer Stiefmutter für diesen Sohn zu, und die, übrigens sich in bescheidenen Grenzen haltende» Annäherungen des jungen Franzosen beachtete sie nicht. So unberührt ihr Herz auch noch war, hatte sich doch seit einigen Tagen in ihre Träume das Bild eines jungen Mannes ge mischt, dessen Aeußeres ihr germanische Männer schönheit verkörperte, dessen Anstand das männ lich Ritterliche hatte, das dem Franzosen ge meinhin abgeht und doch der Anmut nicht entbehrte, die den Gallier auszeichnet. Sie hatte ihn nur flüchtig die zwei Mal gesehen, als sie ihm in der Tür begegnete; alS sie in seinen Augen einen Ausdruck las, der wohl auf Freude, sie wiederzusehen, zu deuten war, errötete sie, mehr in dem Bewußtsein, w'e sehr sich ihre Gedanken mit ihm beschäftigt
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