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zum Norgel«, das Volk müsse sich^vielmehr stark und friedlich vorwärts strebend zeigen. (Beifall und Zischen.) Schatz ekretär Dr. Sydow befaßte sich mit der Finanzreform und den Steuervor- lagen näher. Er versuchte die Annahme zu wider legen, als ob die Steuerlast in Deutschland vorwiegend eine indirekte sei, und betonte, daß die neuen Steuern auch den Besitz träfen. Der Staatssekretär beleuchtete die einzelnen Steuer vorschläge, die er in ähnlicher Weise begründete, wie dies schon durch halbamtliche Veröffentlichung geschehen ist. Das Haus vertagte um 6 Uhr die Beratung auf Freitag. Aus aller Wett. Fahrkartenschmuggel. Der in Metz erschei nende „Lothringer" bringt die aufsehenerregende Meldung, daß durch das ganze Reichsland hin durch ein schwunghafter Handel mit Fahrkarten betrieben werde. Eine Bande, die ihren Sitz in Straßburg, im ganzen Lande aber Zweigstellen habe, verkaufe Fahrkarten nach beliebigen Zielen bis ins innere Altdeutschland massenhaft zu einem Drittel oder einem Viertel des offiziellen Preises. Reisegesellschaften, Vergnügung?- und Geschäfts reisende bedienten sich in zahllosen Fällen dieser billigen Fahrgelegenheiten. Unser Bahnfiskus komme um große Summen. Wie dieser groß artige Schwindel betrieben werde, wird in dem Blatts nur angedeutet, das sich vorbehält, falls die Etsenbahnbehörde, die wohl sofort einzulei tende Untersuchung nicht aus eigenen wei terführen könne, weiteres Material herbei- zubringen. Eine Freundin deS Deutsch-Amerikaner-. Einen kurzen Liebestraum hat der 48 Jahre alte deutsch-amerikanische Farmer Schwartz in Berlin erlebt, der mit seinem sechs Jahre alten Töchter chen in der Wilmersdorferstraße zu Charlotten burg bei seinem Schwager, einem Hauseigen tümer, zum Besuch weilte. Schwartz wanderte vor mehr als 20 Jahren als Tischler nach Amerika aus und brachte es dort als Farmer zu einem bedeutenden Vermögen. In der Ehe hatte er wenig Glück; er lebte von seiner Frau getrennt. Während seines Besuches in Charlottenburg lernte er ein in der Schillerstraße wohnendes Mädchen kennen und lieben. Er beschloß, sie mit nach Amerika zu nehmen und kleidete sie für 900 Mark standesgemäß ein. Die Abreise sollte am Donnerstag staltfinden. Mittags 1 Uhr fuhr Schwartz mit seinem Töchterchen nach dem Char lottenburger Bahnhof, nachdem er seine Freundin aus der Schillerstraße abgeholt. Die Fahrt ging zunächst nur bis Spandau, wo sie in einem Hotel abstiegen. Noch in derselben Nacht be merkte der Amerikaner, daß seine „Braut" ver schwunden war. Mit ihr waren aber auch 40,000 Mark in amerikanischen Banknoten und 100 Mark in bar verschwunden. Die Angelegen heit beschäftigt jetzt die Spandauer Kriminalpolizei; bis jetzt ist aber noch nicht gelungen, der Diebin habhaft zu werden. Schwartz mußte wohl oder übel nach Charlottenburg zurückkehren. Selbstmord eines Abgeordneten. In Döbeln ist der sächsische Landtagsabgeordnete Dr. Rühl mann nach schwerem Todeskampfe gestorben; wie eine weitere Meldung besagt, hat er sich er schossen. Oberstudienrat Prof. Dr. Rühlmann (natlib.) hatte in eine Wänlerversammlung den Vizepräsidenten der Abgeordnetenkammer Dr. Opitz (kons.) einen der tüchtigsten, aber auch ge fürchteten Parlamentarier genannt. Das soll ein Professor des von Dr. Rühlmann geleiteten Re algymnasiums Herrn Dr. Opitz geschrieben ha ben. Dieser Brief geriet später in Herrn Dr. Rühlmanns Hände; er soll ihn gefunden haben. Darüber entstanden zwischen beiden heftige Aus einandersetzungen, deren Folge eine Pistolenfor derung gewesen sein soll. Kammerpräsident Meh nert verhinderte cs. Nachdem die Angelegenheit -r langst ausgerampst und nun steigt alles wieder empor, meine Ehe, mein kurzes Glück — Und jene Stunde, die mich für immer elend gemacht haben würde, wärest nicht Tu, wäre nicht Rudolf gewesen." „Ja, Rudolf — und um seinetwillen mußt Du Tuch fassen, Heinrich — darfst Dich nicht von Leidenschaft Hinreißen lassen." „Fassen? Ja, leicht gesagt. Ich glaubte langst. untergegangen im Schmutze des ^bens und nun kehrt sie zurück in Glanz und Pracht, Baronin Manrod — haha", er lachte grell auf. „Ich begreife ja, wie alles auf Dich ein- uurmt, es ist ja furchtbar, aber laß uns nur ruhiger werden, ich fühle ja mit Dir — ich — uch, Heinrich. —" . „ In ihrer tiefen Erregung waren ihr die Dränen in die Augen getreten und rannen lang sam über die Wangen. Dieser Anblick wirkte besänftigender auf den Sturm in des Registra tors Innern, als die lieb reichsten und über- Mgungsvollsten Worte es hätten tun können. „Weine nicht, Minchen," sagte er sanft, „es wuß auch das ausgehalten werden. Wenn ich nur einen Weg vor mir sähe, um Unheil zu verhüten." Auch Frau Steinmüller wurde ruhiger, süs sie merkte, daß die leidenschaftliche Erregung bcs Bruders nachließ. „Laß uns die Sache nehmen, wie sie liegt. Niemand kennt sie hier voll früher." „Heder hat sie gleich erkannt." „Ja, der war damals täglich in Eurem Hause — — aber er dürfte auch der Einzige sim, niemand hier weiß etwas von jenen Vor- Kängen und es ist längst Gras darüber ge wachsen. Sollte sie von Deiner Existenz erfahren, hat sie wohl alle Ursache, zu verbergen, daß sie ^mst Deine Frau war." bekannt geworden war, wurde ein Disziplinar verfahren gegen Dr. Rühlmann eingeleitet. In folge der Aufregung erkrankte er, so daß er eine Heilanstalt aufsuchen mußte. Jetzt ist Dr. Rühl mann plötzlich gestorben. Explosion in einer Gasanstalt. Im Retor tenraum der Gasanstalt in Plauen im Vogt lands fand eine Explosion statt, durch die drei Gasarbeiter getötet, vier lebensgefährlich und mehrere leichter verletzt wurden. Die Leiche eines GasschlosserS wurde erst nach zwei Stun den unter den Trümmern hervorgezogen. Der durch die Explosion entstandene Brand hat keine große Ausdehnung angenommen. Weiteres Un glück wurde durch das schnelle Eingreifen des Gasdirektors Selling verhütet, der den Haupt hahn sofort abdrehte. Doch auch Selling wie der zweite Direktor erlitten schwere Verletzungen. Der Direktor leitete trotz erheblicher Verletzungen an Kopf und Arm die Bergungsarbeiten. Tragödie der Freundschaft. In Kassel wurde in seinem Zimmer der 23-jährige Sohn eines Klavierhändlers tot aufgefunden, neben ihm, ebenfalls tor, eine Kellnerin und sein Freund. Die Gashähne waren geöffnet. Der Beweggrund zu der Tat ist unbekannt. Man hatte sich erst mit Wein Mut getrunken. Die Gatti« eines höhere« Beamte« deS GenetalPostamtS in Dublin, Mrs. Lloyd, war mit ihrer Nichte abends bei Howth unweit Du blins auf den Klippen am Strande spazieren ge gangen. Als die beiden Damen nicht heimkehrten, machte man sich auf die Suche und fand die Nichte verwundet auf den Klippen liegen. Mrs. Lloyd wurde erst am folgenden Morgen tot sm Fuße der Klippen aufgefunden. Die Nichte gab, nachdem sie das Bewußtsein wiedererlangt hatte, an, zwei Männer hätten Mrs. Lloyd und sie an gefallen und Geld verlangt. Bei dem Ringm mit den Wegelagerern habe sie das Bewußtsein ver loren. Ei« Mord in einer Automobildroschke er regt in Londo« viel Aussehen. Ein englischer Landadliger, Mr. Davies, erschoß seine eigene Frau während einer Fahrt in einer Automobil droschke und tötete sich dann selbst durch zwei Schüsse. Streitigkeiten waren die Ursache zu diesem Gattenmorde. Unwetter i« Italien und Spanien. In Spanien und der katatonischen Küste hausten furchtbare Regenstürme. Viele Ortschaften wurden unter Wasser gefetzt, ebenso einige Stadtteile Barcelonas. Brücken und Häuser wurden fortge- rissen, andere drohen einzustürzen. Die Flüsse führen Leichen und Hausgerät mit sich. Der Bahnverkehr ist unterbrochen. Ein Seekadett er trank, als er vier Fischer retten wollte. Aehnliche Verwüstungen richtete ein 68-stündiger Platzregen in Kalabrien und Sizilien an. In Portosolvo stürzten zehn Häuser ein, in Catania stehen ganze Stadtviertel unter Wasser. In Giarre mußten 150 Familien ihre Häuser verlassen. 20 Fischerbarken werden vermißt. Die Zahl der Toren wird auf 12, die der Verletzten auf 200 geschätzt. tzermmbstte DaS Marmegericht m Kiel verurteilte den Oberfeuerwsrksmaat Dietrich von der 7. Kom pagnie wegen Verrats militärischer Geheimnisse zu 5-jährigem Zuchthaus, Entfernung aus der Marine und 5-jährigem Ehrverlust. Bom Gericht zu San Remo wurde Prinz Leo Radziwill, der mit seinem Automobil ein junger Mädchen überfahren und getötet hatte, zu einem Monat Gefängnis, 500 Lire Geldstrafe und zur Zahlung von 5000 Lirs Entschädigung an die Elter» des Mädchens verurteilt. Der betrunkene Geschworese. Ein Sitten bild, wie es vereinzelt dasteht, wird aus Frank reich mitgeteilt. Bei einer Gerichtsverhandlung 1n"Reims7war ein Geschworener'derart berauscht, daß die Verhandlung zunächst abgebrochen und dann vertagt werden mußte, da keine neue Ge schworenenbank sofort gebildet werden konnte. Der Ruhmeskranz der französischen Geschworenen ist sowieso nicht gut. Vermischtes. Bom Kaiserhofe. Der Kaiser hörte dieser Tage militärische Vorträge. Die Teilnahme au der Hofjagd in Springe und den Besuch Hannovers hat der Monarch ebenso ausgegeben, wie die Reise nach Kiel; die Vereidigung der Marine rekruten soll Prinz Heinrich dieser Tage voll ziehen. Der Gouverneur von Deutsch-Südwestafrika Herr von Schuckmann ist in Berlin eingetroffev. Er wird den Etat seiner Kolonie im Reichstage vertreten. Das Jubiläum der preußischen Städte- ordmmg wurde am Donnerstag gefeiert. An dem Denkmal des Schöpfers der Städteordnung, des genialen Freiherrn v. Stein, in Berlin legten die Vertreter Berlins einen Kranz nieder. Schiffbaugesellschaft. Der Vorstand hat be schlossen, dem Gioßherzog von Oldenburg die goldene Medaille der Gesellschaft zu verleihen. Der neue Chef des lästerlichen Militärkabi netts Generalleutnant Freiherr von Lyncker, bis her Führer der 19. Division in Hannover, ist Ostpreuße von Geburt und 54 Jahre alt. Er ist fast nur in Generalstäben tätig gewesen, erst im Jahre 1902 übernahm er als Oberst das Kom mando eines Regiments, dann die 39. Jnfante- riebrigade und, nachdem er im vorigen Jahre Inspekteur der Verkehrstruppen war, die 39. Di vision. Freiherr v. Lyncker genießt fast allgemein den Ruf eines tüchtigen, kenntnisreichen Offiziers und liebenswürdigen Menschen. Bo« unserer Marine. Das letzte der über 18 000 Tonnen große Schlachtschiff der neuen „Nassau"-Klasfe unserer Marine wird am 12. Dezember vom Stapel laufen und den Namen „Polen" erhalten. Die Taufe wird die Gemahlin des deutschen Botschafters in Pacis, die Fürstin Radoli n vollziehen. — Die deutsche Marine zählt zurzeit 5 Admirale, 10 Vizeadmirale und 19 Konteradmirale. Aus dem Reiche deS rollenden RadeS. Der preußische Eisenbahnminister macht die genügende Erwärmung der Personenwagen von neuem zur Pflicht. — In dieser Zeit des wirtschaftlichen Rückganges ist die preußische Eisenbahnverwaltung ein guter Kunde der Industrie. Sie hat aber mals 2834 Personen- und 1026 Gepäckwagen in Bestellung gegeben. — Infolge eines falschen Einfahrtssignals fuhren in Niederkauffung in Schlesien zwei Eisenbahnzüge zusammen. Der Lo komotivführer des einen Zuges wurde schwer, ein Zugführer und vier Reisende wurden leicht verletzt. Aus Paris. Die französische Deputierten kammer setzte die Beratung des Militäretats fort. Kriegsmiuister Picguart beruhigte im Hin blick auf die von mehreren Rednern geäußerten Befürchtungen die Kammer über die Streitkräfte der Kavallerie. Diese fei imstande, drei Stunden nach der Mobilisierung an der (deutschen) Ost grenze zu Pferde zu steigen. Fleischverbrauch und Wirtschaftslage. Die Ergebnisse der Schlachtvieh- und Fleischbeschau für das deutsche Reich im 3. Vierteljahr 1908 lasten erkennen, daß die Schlachtungen von Rindvieh, Kälbern und Schweinen recht erheblich zugenommen, Nährend die Zahl der geschlachteten Schafe nicht in dem gleichen Maße gestiegen ist und die der Ziegen und Pferde sogar abgenom- meu hat. Dieses Ergebnis ist günstig zu nennen, besonders wenn man die Verschlechterung der wt ffchaMchen Lage in Betracht zielst, die die Arbeitslosigkeit gesteigert hat, so daß zum Bei spiel in Berlin und seinen Vororten 40124 Ar beitslose vorhanden sind. Der Oktober und der November pflegen allerdings für manche Berufe neue Einschränkungen zu bringen, ihnen steht aber auf der anderen Seite eine Neubelebung durch das Weihnachtsgeschäft bevor. Das Hammer Grubennnglöck wurde in einer von 7000 Personen besuchten Bergarbeiter-Ver sammlung in Bochum erörtert. ReichtagSabgeord- aeter Hue bezeichnete es als feststehend, daß der Wetterstrom ungenügend verteilt war, auch die Berieselung sei ungenügend gewesen. Obwohl 30 Grad herrschten, habe oft tagelang das Wasser gefehlt. Dafür seien zahlreiche Zeugen vorhanden. In dem Beschlußantrag wird gesagt, daß neben der Werksdirektion die Bergbehörde auf die Anklagebank müsse. — Die Bergwerks- Gesellschaft erklärt, daß es sich um eine Schlag wetter-Explosion handele, bei der Kohlenstaub nur unbedeutend mitwirkte. Vermutlich habe ein Sprengschuß die Explosion verursacht. Das Sektgelage auf dem Kirchturm. Aus Zittau wird berichtet: Vor einiger Zeit erregte ein peinlicher Exzeß hier berechtigtes Aufsehen. Er wurde von drei Offizieren des Zsttauer In fanterieregiments verübt. Sie hatten den Turm der Johanniskirche erstiegen, um dort ein Sekt gelage fortzusetzen, mit dem sie im Hilbrinoschen Weinrestaurant begonnen hatten. Auf der Straße sammelte sich infolge dieses ungewöhnlichen Vor ganges eine große Menge an, die mit Entrüstung das Gelage beobachtete. Ihren Höhepunkt erreichte die Erregung der Volksmassen, als einer der Offiziere, ein Hauptmann, eine leere Sektflasche und ein GlaS auf die Straße hinunter warf. Eine Frau entging mit knapper Not der Gefahr, von der Flasche getroffen zu werden. Als nach beendetem Gelage die Offiziere wieder herabstie gen, hatte die Polizei Mühe, sie gegen Angriffe zu schützen. Wie jetzt bekannt wird, haben die drei Offiziere ihren Abschied erhalten. I« der Akademie der Wissenschaften zu Paris legte der Professor der Mineralogie Lacroix eine Anzahl künstlicher Saphiere vor, die von dem Chemiker Louis Paris im Pariser Pasteurinstitut mittels einer Verbindung von Aluminium, Ko baltoxyd, Kalk und Magnesia erzeugt worden sind. Großherzogin Eleonore von Hesse« wurde von einem Prinzen entbunden. Der neugeborene Prinz ist der zweite Sohn des Großherzogs und der Großherzogin. Der älteste ist jetzt 2 Jahre alt geworden. Der Liebesroma« der Prinzessin Fürstenberg, der im Sommer dieses Jahres io großes Auf sehen erregte, scheint das gute Verhältnis zwischen der Prinzessin-Tochter und dem Hause Fürsten berg nicht getrübt zu haben; denn aus Mann heim wird gemeldet: Die Fürstin Leontine von Fürstenberg ist mit ihrem Sohne, dem Prinzen Emil von Fürstenberg zu längerem Besuche in Mannheim eingetroffen. Der Besuch gilt ihrer Tochter, die mit dem Repräsentanten der rheini schen Automobilgesellschaft, dem früheren öster reichischen Oberleutnant Koczian in Mannheim verheiratet ist. Für Geist und Gemüt. Dämmerung. M^UMie blauverhängte Lampe wob ge- MsOMs heimntsvollen Schein Ums Antlitz dir, wie bleicher Mon- denschimmer, Die Wanduhr tickt, sonst ist es still im Zimmer, — Verloht die letzten Scheite im Kamin. — Und roten Wein trink ich aus schlanken Kelchen Und fasse zögernd deine schlanke Hand, Daß sie mich führe in das sel'ge Land, Von dem mir deine dunkle» Augen sprechen. Ungalant. Hauptmann (m seiner Frau): „Du machst Schulden über Schulde», Olga, du bist die Schachtel zu meinem Zylinder!" „Das hat sie," sagre er. „Es liegt also keine Gefahr der Entdeckung vor." „Es ist mir nicht um mich, Minchen, das traurige Kapitel meines Lebens ist längst ge schloffen. Aber Rudolf, Rudolf, Minchen? Er gehört in den Kreis dieser Leute, er kommt mit ihr zusammen, ahnungslos wen er vor sich hat. Ich müßte ihn davor bewahren aber wie, sage mir wie? Sie könnte ja meinetwegen neben mir her leben, für mich ist sie tot, aber soll ich dem Jungen sagen: „Das ist Deine Mutter, die einst Deinem Vater davonlief," ihm der sie für- tot hält und ihr ein pietätvolles Andenken be wahrt. Soll ich ihm das sagen, ihn seine Mutter verachten lehren und so das ganze Leben vergiften? Das ist es, was mich so unglücklich macht. Denkst Du denn nicht mit Schaudern daran, welche Verhältnisse sich hier herausbilden werden? Rudolf, sie, ich, ihr Gatte; hier rate, hier hilf. Ich lade ja auch Rudolf gegenüber Schuld auf mich, wenn ich schweigen und doch und doch?" Sie senkte den Kopf, ja Rudolf unter diesen Umständen in der Nähe der Frau zu wissen, die ihm einst das Leben gegeben hatte, es war schandervoll. Man hatte ihm als Kind gesagt die Mutter sei tot, und war dabei geblieben. Der Wechsel des Aufenthaltes verhinderte, daß fremde Zungen ihm die Wahrheit enthüllten. Der stolze, ehren hafte Soldat fühlte die ihm angetane Schmach so tief, daß er alles von sich fern hielt, was ihn daran erinnerte. Sie blieb für Rudolf die Mutter, die früh verstorben, deren er mit liebender Ehrfurcht gedachte. „Rudolf ist ein Ma m und muß das, was er, auch ich bin der Meinung, erfahren muß, auch tragen wie ein Mann. Ihm ist das Leben nicht mehr fremd und Ehescheidungen sind ja nichts seltenes — — ich bin der Meinung, ihm vorsichtig " „Du schwatzest wie ein altes Weib bin ich denn von ihr geschieden?" In Frau Steinmüllers Gesicht nialte sich namenloses Entsetzen. „Tu — — bist — — nicht von ihr geschieden?" brachte sie stammelnd hervor. „Das ist es ja sie ist immer noch Frau Wachtmeister Weber. Nun sag das dem Jungen einmal!" „Du bist nicht geschieden? Dann istja " „Ihre jetzige Ehe ungültig zweifel los." „Ich zittere am ganzen Leibe, das hatte ich nicht geahnt." „Es gab eine Zeit, wo ich für dieses Weib mein Herzblut willig hingcgcben hätte, zum Tank dafür überhäufte sie mich mit Schmach. Sollte ich die auch noch vor die Gerichte bringen und öffentlich breit treten lassen? Nein, nein. Mein Elend mußte begrabe» bleiben. Hätte der Junge einen Zug von ihr gehabt, bei Gott, ich hätte ihn nicht lieben können, das Vaterherz wurde erst wach, als ich erkannte, daß er äußerlich und innerlich ein Falkenhain war." „Nicht geschieden? Das ist ja noch viel furchtbarer. Und sie hat Kinder aus ihrer jetzigen Ehe?" „Wenn ich recht gehört, nannte das junge Mädchen sie Mama." „Und sie wagt es, unter diesen Um ständen nach Deutschland zurückzukommen?" „Vermutlich nimmt sie an, daß ich die Ehe längst habe scheiden lassen daß ich tot oder wieder verheiratet sei und fürchtet besonders in ihrer jetzigen Stellung keine Ge fahr." „Meine Torheit, ein Theatermädchen mit unbekannter Vergangenheit zum Weibe genom men zu haben, habe ich schwer büßen müssen, und wie es scheint, ist die Buße noch nicht vollendet." Frau Steinmüller blickte trübe vor sich hin, sie sah jetzt keinen Weg mehr, aus dieser Wirrnis herauszukommen, ohne daß Schatten auf den Weg ihres Lieblings fielen, die man bisher so ängstlich von ihm fern gehalten hatte. Endlich sagte sie: „Mein lieber Heinrich, laß nur erst Frieden in unsere Seelen ein kehren, dann wird uns auch Gott den Weg zeigen, wie wir Nndolf schützen. Noch ist ja nichts geschehen, noch wissen nur wir allein von der drohenden Gefahr, laß uns nur erst zu uns selbst kommen und eine Lösung wird sich schon finden." Sie trat ans Fenster und schien leise zu beten, während er im Lehnstuhl sitzend mit düsterem Ernste vor sich hin starrte. Da sprang er heftig aus. „Ich muß hinaus, ich muß es draußen austoben lassen, hier komme ich uni." Er nahm Hut uud Stock und ging, um in starker körperlicher Bewegung Linderung der Seelenpein zu suchen. „Armer Alter! Doch auch diese Stunde wird vorübergehen." Wie seltsam spielt das Leben mit uns. Sie setzle sich nieder und griff zu ihrer Arbeit — ließ sie aber bald wieder sinken nnd schaute in traurigem Sinnen vor sich hin. Die alte Wauouhr aber, die noch aus dem Vaterhause stammte, ließ ihr eintöniges gemessenes Ticktack vernehmen, sie war in laugen Jahren manches Leides, mancher Freude Zeuge gewesen.