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KONGRESS-SAAL DEUTSCHES IIYGI E N E - M U S E U M Freitag, 11. September 1964, 19.30 Uhr Sonnabend, 12. September 1964, 19.30 Uhr Sonntag, 13. September 1964, 19.30 Uhr 1. PHILHARMONISCHES KONZERT Dirigent: Horst Förster Solisten: Walter Hartwich, Dresden Günter Siering, Dresden Johann Sebastian Bach Doppelkonzert für 2 Violinen d-Moll Vivace Largo ma non troppo Allegro Anton Bruckner 1824- 1390 7. Sinfonie E-Dur Allegro moderato Adagio Scherzo (sehr schnell) Finale (bewegt, doch nicht schnell) ZUR EINFÜHRUNG Das Instrumentalkonzert, in der 1, Hälfte des 18. Jahrhunderts noch eine junge Gattung, spielt in Johann Sebastian Bachs Gesamtwerk eine wesentliche Rolle. Wie in den „Brandenburgischen Konzerten“ über nahm der deutsche Meister die von den Italienern geschaffene Form. Spe ziell Antonio Vivaldis Solokonzerte zogen ihn immer wieder an; allein 10 Konzerte dieses Komponisten bearbeitete er. Schon in der Art, wie sich Bach die Anregungen seiner Vorbilder zunutze machte, liegt seine Größe beschlossen: nicht nur, daß er diese an Reichtum und Tiefe der Gedanken, an Kühnheit der Phantasie übertraf, ihm genügte auch nicht das bloße Dialogisieren zwischen Tutti- und Solopartien. Er verschränkte Soloinstru ment und Orchester aufs innigste, indem er eine enge kontrapunktisch motivische Verflechtung der Solo- und Tuttiteile vornahm und so die spä tere Form des klassischen Instrumentalkonzerts vorwegnahm. Neben Bachs Violinkonzerten a-Moll und E-Dur ist das heute erklingende Konzert für zwei Violinen und Streichorchester d-Moll in seiner Origi nalgestalt erhalten. Es gehört zu den lautersten und bedeutendsten Zeug nissen Bachscher Kunst. Einen männlich-bestimmten Charakter hat der erste Satz. In strenger Kanonführung setzen die Tuttiviolinen ein, stimmen die beiden Soloviolinen ihr eigenes Thema an. Ein unerhört schöner, ab wechslungsreicher Zwiegesang entfaltet sich — gefühlsmäßig sofort erfaß bar, trotz aller kontrapunktischer Verflechtung des thematischen Materials. Der langsame Mittelsatz des Doppelkonzerts, ein Largo in F-Dur, darf zu den herrlichsten Eingebungen Bachs gezählt werden. Es ist ein wunderbar friedvolles Duett der sich im Quintkanon folgenden Soloinstrumente, die im Satzverlauf ihre Themen gegenseitig tauschen, sich mit teils bewegten, teils ruhigen Figuren umschlingen und einander ablösen. Aus der be glückend edlen Melodik dieses Largo spricht stärkste menschliche Gefühls kraft, Herzenswärme, die einfach verzaubernd wirkt. Einen dramatisch stürmischen Akzent in das musikalische Geschehen des Konzerts bringt der Schlußsatz, obgleich es auch hier nicht an ruhigeren Seitengedanken fehlt. Wieder sind die Tuttistellen des Orchesters mit den Solopartien aufs engste miteinander verzahnt. Die Musikgeschichte nennt Anton Bruckner mit Recht einen Sinfo niker, „nicht weil er im wesentlichen Sinfonien geschrieben hat oder weil er mit der Zahl Neun in Beethovens Nachbarschaft steht, sondern weil er in dieser Form sein Gültiges so ausgesagt hat, daß wir es aus der Ent wicklungsgeschichte der Sinfonie nicht mehr wegdenken können. Bruckner hatte unablässig gelernt, geübt und ausgeübt, das letztere nicht wie ein Instrumentalsolist oder Dirigent auf breiter Basis, sondern auf der Orgel bank. Er hatte musikalisches Kapital in kleiner Münze angehäuft, aber nicht, um es wie ein Geizhals zu horten, sondern um Zinsen daraus zu schlagen zu gegebener Zeit. Er war, als er die Reihe seiner Sinfonien be gann, weder ein Mann der kühlen Berechnung, der sich etwa gesagt hätte, dies oder jenes verlangt die Gegenwart, noch war er einer, der in blinder Vermessenheit nach den Sternen griff, sondern das Große, hier die Sinfo nie, war ihm gerade groß genug, um es auf seine Art zu füllen, zu erfüllen“ (M. Dehnert). Berechtigt weist Friedrich Blume darauf hin, daß Bruckners Weltanschauung von einer Reihe elementarer Gegensatzpaare bestimmt ist: „Gott und Teufel, Leben und Tod, Gut und Böse, Seligkeit und Ver dammnis, Licht und Finsternis, Niederlage und Sieg sind die Welt, in der er lebt.“ „Das ist auch die Welt, die in Bruckners Musik dargestellt ist. Um seine Vorstellungswelt sinnfällig, bildhaft darzustellen, hat Bruckner eine Tonsprache von großer Eindringlichkeit entwickelt. Man hat in der Beschreibung der Brucknerschen Tonsprache ihre Abhängigkeit von Richard Wagner oft über Gebühr betont. Nur in seiner Harmonik zeigt Bruckner Wagnersche Einflüsse. Seine Melodik kommt weit eher aus der Tradition Beethovens und Schuberts. Aber auch der Einfluß Bachs ist in den kurzen, prägnanten und im Hinblick auf kontrapunktische Arbeit er fundenen Themen nicht zu überhören. Bei alledem ist Bruckners Ton sprache äußerst originell, und diese Originalität verdankt er gerade jener Fähigkeit, die von seinen Biographen übersehen, von ihm selbst jedoch in sehr aufschlußreicher Weise dargestellt wurde: seiner Fähigkeit, aus der Beobachtung der Wirklichkeit neue Intonationen zu gewinnen“ (G. Knepler). Bruckners 7. Sinfonie E-Dur entstand zwischen September 1881 und September 1883. Am 30. Dezember 1884 brachte der junge Arthur Nikisch in Leipzig das Werk zur erfolgreichen Uraufführung — ein Erfolg, der den Weltruhm Bruckners begründete. Schon im Traume war dem Komponisten gesagt worden, daß die Sinfonie Erfolg haben würde. Vom grandiosen ersten Thema des ersten Satzes erzählte er nämlich: „Dieses Thema ist gar nicht von mir. Eines Nachts erschien mir Dorn (es war dies ein Freund aus Linz) und diktierte mir das Thema, das ich sogleich auf schrieb: ,Paß auf, mit dem wirst du dein Glück machen!*“ In der Tat ist Bruckners Siebente wohl das beliebteste seiner Werke — dank der reichen, ja begnadeten melodischen Erfindung und des herrlichen Adagio. Nicht so sehi’ entscheidend ist der sinfonische Aufbau, der in allen Brucknerschen Sinfonien nahezu der gleiche ist. Ihre Sonderstellung verdankt die Siebente auch der blühenden Instrumentation, der farbigen, kühnen Harmonik. Bruckners teils breit dahinströmende, teils rhapsodische lyrisch-epische Grundhaltung, die so viele seiner langsamen Sätze kennzeichnet, wird auch zu Beginn der Siebenten spürbar. Das Hauptthema des ersten Satzes (Allegro moderato), das man schlechthin „das“ Brucknerthema nennen kann, steigt ruhig auf aus Streicher-Tremolo, über zwei Oktaven hin. Cello und Horn stimmen es an, Bratschen und Celli führen es fort. Max Dehnert nennt dieses Thema treffend „die Geburt der Melodie aus dem Geiste der Harmonie“. Das zweite Thema, das an Gesanglichkeit dem ersten kaum etwas nachsteht und „wagnerisch“ gleitende Harmonien aufweist, wandert von den Holzbläsern, von Oboe und Klarinette, zu den Violinen. Das „Er lebnis des Ergriffenseins' von überwältigender Schönheit und Erhabenheit“ (Knepler) scheint sich in diesen Tönen auszudrücken. Die Feierlichkeit der Stimmung wird durch die aufsässig-tänzerischen Rhythmen des dritten