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Rabenauer Anzeiger : 12.11.1908
- Erscheinungsdatum
- 1908-11-12
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Deutsches Stuhlbaumuseum Rabenau
- Digitalisat
- Deutsches Stuhlbaumuseum Rabenau
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id178001192X-190811122
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id178001192X-19081112
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-178001192X-19081112
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Bestände des Deutschen Stuhlbaumuseums Rabenau
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Rabenauer Anzeiger
-
Jahr
1908
-
Monat
1908-11
- Tag 1908-11-12
-
Monat
1908-11
-
Jahr
1908
- Titel
- Rabenauer Anzeiger : 12.11.1908
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politische Rundschau. Zur Krisis. jene Themata hinreichend bekannt sind, und ein unterdrücktes Kaiser-Interview ist- immer ein Gewinn. Die Krists. Von gut unterrichteter Seite wird gemeldet: Tie Neue Freie Presse hat eine Mitteilung gebracht, wonach die Kaiserin und der Kronprinz dem Kaiser gegenüber ihr Erstaunen über die Veröffentlichung des „Daily Telegraph" ausgedrückt hätten. Das Blatt berichtet ferner, der Reichskanzler habe angeordnet, daß die sämtlichen Preßstimmen über diese Angelegenheit dem Kaiser vorgclegt werden, lieber den ersten Punkt spricht man sich an amtlicher Stelle ans naheliegenden Gründen nicht aus- Richtig sei, daß der Reichskanzler die Anordnung wegen der Preß- stimmen getroffen habe, und dem Kaiser seien diese Preßstimmen nicht nur vorgelegt worden, er hat sie auch gelesen, wie aus persönlichen Randbemerkungen hervorgehe. Erkrankung des Fürsten Bülow? Die „Korr. Woth" teilt mit: Das Allgemeinbe finden des Reichskanzlers Fürsten Bülow ist, wie wir hören, nicht ganz zufriedenstellend. Der Kanzler hat in den letzten Tagen sehr angestrengt gearbeitet, teilweise bis in die Nacht hinein. Die leidige Interview-Ange legenheit und die deutsch-französischen Ver handlungen haben an die Arbeitskraft und den Gesundheitszustand des Fürsten große Anforderungen gestellt. Der Wirkliche Geheime Legationsrat Klehmet scheidet aus dem Dienste des Aus wärtigen Amtes ans. Es ist bekannt, daß Herr Klehmet derjenige Beamte war, der das Manuskript des Kaiser-Interviews gelesen und nicht bedenklich gefunden. Herr Klehmet gehörte seit 15 Jahren znm Auswärtigen Amt, arbeitete seil 10 Jahren in der politi schen Abteilung und nahm auch an der AI geciras Konferenz teil- Die verhinderte Veröffentlichung eines neuen Kaiser-Interviews. Eine New A 'rker Meldung des „Times" besagt: Nach Mittei lungen von autorativer Seite scheint es, daß die Redaktion der amerikanischen Zeitschrift „Century Magazine", welche die Veröffent lichung eines neuen Kaiser-Interviews ange kündigt hatte, auf einen sehr energischen Druck hin d'e bereits gedruckte Nummer der Zeitschrift mit dem Interview des Kaisers vernichtet und die Annoncen, die dieses Interview ankündigten, zurückgezogen habe. Das „Century Magazine" hatte diese Ver öffentlichung in einem sogenannten „Reklame- Waschzettel" angekündigt, der natürlich sehr sensationell stilisiert war. Es hieß darin, ein Mitarbeiter der „Revue", William Hale habe an der norwegischen Küste während der Nordlandreise des Kaisers auf das Schiff eine Unterredung mit ihm gehabt, welche die „Revue" publizieren werde, habe sich vor allen Dingen um dem Präsidenten Roosevelt gedreht, aber auch die verschiedensten Fragen der Religion, des Friedens und des Krieges sowie der Kunst gestreift. Wilhelm U. habe sich zu Herrn Hale mit großer Offenheit ausgesprochen. Da die Veröffentlichung des Interviews nunmehr unterbleibt, wird die Welt die Aenßerungen des Kaisers diesmal nicht erfahren. Das schadet schon darum nicht, weil ja die Ansichten des Kaisers über Jeder Deutsche besitzt 5000 Mark Natio nalvermögen, da dieses im Ganzen 320 bis 350 Milliarden Mark beträgt. So hat es eine vom Zentralverbande deutscher Indu strieller veranlaßte Statistik festgestellt, die von der „Nordd. Allgem. Ztg." veröffentlicht wird- Der Hohn des Auslandes, daß Deutsch land vor dem Bankerott stehe, sowie die Be hauptung, daß durch die Reichsfinanzreform das deutsche Volk über sein Können belastet werde, sind dem Negierungsorgan zufolge durch jene Feststellung als grundlos erwiesen. Von den 350 Milliarden deutschen National vermögens entfallen 160 Milliarden auf das Vermögen in Immobilien und Mobilien, 40 Milliarden auf den städtischen Wohnungs boden, 50 Milliarden auf den ländlichen Grund besitz, 40 Milliarden auf das im Auslande angelegte einheimische Kapital und den deut schen Besitz an fremden Wertpapieren, 19 Milliarden auf die Vollspurtgen Staatseisen- bahuen, und 5 Milliarden auf Domänen-, Forst- und Lergwerksbesitz. Das macht zu sammen 314 Milliarden. Dazu ist noch hin- zuzufügen der nicht feststellbare oder doch nicht festgcstellte Wert des privaten Bergwerksbe sitzes, des Anlagekapitals der Post usw., der Wert der in Bewegung befindlichen Güter, der See- und Binnenschiffahrt, der Kanäle, Schiffahrtsstraßen usw. Der Schluß auf die Reichsfinanzreform aus diesen Verlegun gen lautet bei dem Zentralverbande deutscher Industrieller: Die Höhe unserer Reichsschuld entspricht der Vermögenslage des deutschen Volkes nicht. Was bedeutet eine Staats schuld von 20 Milliarden einem Volks vermögen von wett über 320 Milli arden gegenüber, was eine Steuererhö hung um 500 Millionen einem Volksein kommen von jährlich 35 Milliarden gegen über! Man muß sich dieser Lage voll be wußt werden, damit die bisherige öffentliche Schuldenwtrtschaft beseitigt wird und nicht mehr imstande ist, den Landeskredit und da mit auch die hauptsächlichsten Stützen des Volksvermögens, Industrie und Landwirt schaft, zu schädigen. Vom Standpunkt der bürgerlichen Praxis aus erscheint das Bild nur leider in ganz andern Farben. Der 5. preußische Lehrertag war am Sonn tag in dem neuen Lehrervereiushaus zu Ber lin versammelt, um zu dem Lehrerbesoldungs- gcsetz Stellung zu nehmen. Der Lehrertag hält die Gehaltsgrenzen auch nach dem neuen Gesetz für zu niedrig und erhebt Widerspruch gegen eine gesetzliche Festlegung des bekannten Brcmserlaffes. Gute Schiffskohlen in Kiautschau. Die Hungschaukohle, die wir in Kiautschau ge winnen, hat sich als eine durchaus brauch bare und gute Schiffskohle erwiesen. Sie hat im Vergleich mit der Cardiff- und west fälischen Kohle keinen größeren Mehrverbrauch und steht diesen in den Verbrennungsrück ständen gleich. Das Feuerrcinigen ist leichter als bei den beiden europäischen" Kohlensorten, da die Schlacke sich an Rosten und Mauer werk nicht fcstsetzt. Die Umwälzung auf dem Balkan. Ein positiver Fortschritt in den Verhand lungen der Mächte über die Einberufung einer Konferenz ist, !wie auch die „Nordd. Allgem. Ztg." feststellt, noch nicht zu verzeichnen; aber andererseits haben sich auch die Aus sichten einer Verständigung nicht verschlechtert. Das ist namentlich der Fall, seitdem sich Ruß land und Oesterreich mit ihren Auffassungen näher kommen. Der serbische Kronprinz Georg ist bei feiner Rückkehr aus Rußland in Belgrad mit unbeschreiblichem Jubel empfangen wor den, hat auch seinen Freunden erzählt, Ser bien könne sich bei der Verfechtung seiner guten Sache auf seinen starken russischen Freund verlassen; gleichwohl ist der Erfolg der Mission des Kronprinzen Georg in Pe tersburg kein überwältigender gewesen. Der Appell an die Demokratie hat auf die russi sche Regierung abschreckend gewirkt. Die türkisch-bulgarischen Verhandlungen scheinen mit der Berührung der Entschädi gungsfrage auf einem toten Punkte angelangt zu sein. Bei der Adreßdebatte in der bulgarischen Sobranje griff der Führer der landwirtschaft lichen Partei die Negierung wegen der Unab hängigkeitserklärung Bulgariens scharf an. Nach dem ersten solle die Negierung nun auch zu einem zweiten Staatsstreich den Mut haben und dem Könige die Leitung der aus- wärtigen Politik entreißen. KeriHtsdslle. Bor der 3. Strafkammer des Landgerichts 1 in Berlin wurde ein düsteres Kapitel aus einem Jrrcnhause verhandelt. Angeklagt ist der Chefredakteur der „Zeit am Montag", Karl Schmidt. Unter der Usberschrift „Moderne Jrrenhausfolter" brachte die „Zeit am Montag" in ihrer Nummer vom 25. November 1907 einen Artikel, in welchem die Leidensgeschichte des Beu- thener Fabrikbesitzers und Stadtverordneten Ema nuel Lübeck! geschildert und kritisch beleuchtet wurde. Durch den Artikel fühlten sich der Geh. Sanitätsrat Dr. Alter von der Pcovinzial-Jrren- und Pflegeanstalt Leubus, der Oberarzt Dr. Kunowski, der Direktor Dr. Alter und die Be amten, die mit der Bearbeitung der Angelegen heiten der Anstalt betraut sind, beleidigt. Lübeck!, so wird in dem Artikel erzählt, lebte mit seiner Familie seit einiger Zeit in Unfrieden; die Fa- milicnzwistigkeiten hatten sich zum Konflikt zuge spitzt, als Lübeck! immer mehr zu der später an geblich bestätigten Meinung neigte, daß seine um 13 Jahre jüngere Ehefrau die Hand im Spiele habe, ihm die Treue breche und ihn auf gute Manier los sein wolle. Nun habe sich ein Kom plott gegen ihn gebildet und Lubecki sei angeb lich in eine „Erholungsanstalt", in Wahrheit aber in die Leubuser Provinzial-Jrrenanstalt ge bracht worden. Er sei schändlich vergewaltigt worden und habe fünf Monate lang entsetzliche Torturen ausgehalten, er sei völlig gesund ge wesen, man habe ihm mit großer Hartnäckigkeit einen schweren Krankheilszustand förmlich sugge riert ; um ihn kirre zu machen, habe man ihn oft drei bis fünf Stunden im Wasserband zu bringen lassen, einmal sogar volle 13 Stunden hintereinander. Schließlich sei cs gelungen, ihn durch eine List aus der Anstalt zu befreien. An die tatsächliche Darstellung des Falles, der darin als ein Akt brutalster Vergewaltigung behandelt wurde, knüpfen sich Betrachtungen über die Jrrenpflege im allgemeinen, die darin gipfeln, daß die Jrrengesctzgebung des Deutschen Reiches ein einziger großer Mißstand sei und die irren- rechtliche Praxis sich schon längst zu einer Gefahr für die körperliche und geistige Wohlfahrt der Staatsbürger ausgewachsen habe. Der Ange klagte erklärte, daß er den Wahrheitsbeweis für die tatsächlichen Angaben des Artikels antrete und keineswegs die Absicht der Beleidigung ge habt habe. Zunächst wird der Fabrikbesitzer Emanuel Lubecki vernommen, der ausführlich seine Erlebnisse in der Anstalt schildert. Er sagt aus, daß er in die Anstalt gekommen sei, ohne zu wissen, daß es ein Irrenhaus wäre. Als er dem Arzt sein Verlangen nach Entlassung kund- gab, erhielt er die Antwort: „Ach, Sie können mir viel Vorreden, Sie bleiben b üb sch hier." Als er später wieder verlangte, Herausgelaffen zu werden, hieß es: „Ins Wasser!" Bis zum 18. bin ich eigentlich immer nur vom Bett ins Wasser und vom Wasser ins Bett gekommen. Eines Tages trat Dr. Aller jun. zu mir heran und sagte zu mir: „Ich werde Ihnen einen vä terlichen Rat geben: Lassen Sie sich entmündi gen!" Als ich mich entschieden weigerte, sagte er: „Sie werden schon zahm werden! Hier wird alles folgsam und zahm!" Einmal habe er nicht weniger als 13 Stunden in der Badewanne stehen müssen. Ein Wärter habe ihm erzählt, daß ein anderer Kranker sogar drei Tage und drei Nächte im Wasser gelegen habe. Die Ehe frau, als Zeugin vernommen, bleibt dabei, daß ihr Mann geistesgestört sei. Sie habe ihm nie die Treue gebrochen und er habe ihr ohne Grund oft furchtbare Szenen gemacht. Sie habe gar- nicht gewußt, daß ihr Mann in eine Pension, sondern in eine Irrenanstalt gekommen ist. — Wir werden über den weiteren Gang des Pro zesses berichten. Das Schwurgericht in Dessau verurteilte den Schlosser Gräfe von dort, der im Juni d. Js. aus Verzweiflung über Krankheit und Not seine beiden jüngsten Kinder erschoß und dann einen Selbstmordversuch wachte, wegen Totschlags unter Versagung mildernder Umstände zu 7 Jahren Zuchthaus und 10 Jahren Ehrverlust. Die An klage hatte auf Mord gelautet. — Auch wurde gegen den Landwirt Schmidt aus Trüben (Kreis Zerbst) wegen eines in einer Zivilklagesache ge schworenen Meineides verhandelt. Er wurde zu 3 Jahren Zuchthaus, 5 Jahren Ehrverlust und dauerndem Verlust der Eidesfähigkeit verurteilt. Die Beleidigungsklage des Abgeordneten Sanitätsrats Dr. Mugdan gegen Dr. Franz Mehring, die am 27. Oktober vor der 149. Ab teilung des Schöffengerichts Berlin-Mitte zur Verhandlung kommen sollte, ist auf den 14. No vember d. Js. vertagt worden. Aus aller Welt. Jnstizrat Prschardt in Kopenhagen, ein Ver trauter des ehemaligen Ministers Alberti, ein hervorragendes Mitglied des Odd-Fcllow-Ordens, wurde wegen fortgesetzter Unterschlagung ihm an vertrauter Mittel zu vier Jahren Gefängnis verurteilt. Schreckenstat eines Eifersüchtigen. Der Korkenfabrikont Orefice in Cagliari, der schon 25 Jahre verheiratet ist, litt an krankhafter Eifer sucht. Als sich am 4. November seine drei Söhne auf die Jagd begeben hatten und er sich allein mit seiner Gattin, seiner Tochter und ihrem drei jährigen Kinds befand, erschoß er beim Mittag essen die beiden Frauen. Seinem zufällig wenige Augenblicke später heimkehrendsn jüngsten Sohne rief er zu: „Geh ins Eßzimmer und steh, was geschehen!" Während dieser entsetzt die Leichen seiner Mutter und seiner Schwester erblicke, fiel ein Schuß: Orefice hatte seinem Leben nun eben falls ein Ende bereitet. Mordanschlag auf den Gouverneur von Ben galen. Auf selname Wei e entging dieser Tage nach einer Mitteilung aus Kalkutta der Gouver neur von Bengalen Sir A. H. Leith Fraser dein Mi^ «Uda (Aoöm. Novelle von Lothar Brenckendorff. (Nachdruck Verbote».) Sie reichte der Matrone, die auch nicht entfernt daran dachte, ihr zu zürnen, die Hand und wandte sich dann an die schweigsame Helene, nm sie mit schwesterlicher Zärtlichkeit zu umarmen. „Gute Nacht, mein stilles, scheues Vögel- chen! Vielleicht finden Sie die verlorene Sprache wieder, wenn der geschwätzige Stören fried nicht mehr da ist." Für Bruno hatte sie nur ein leichtes Neigen des Köpfchens gehabt; aber cs fiel ihm offenbar schwer, die Augen von der Tür loszu- reißeu, durch die sie entschlüpft war. Merkwürdig still und einsilbig ging es nun in dem noch soeben von heiterem Ge plauder und Gesang erfüllt gewesenen Wohn stübchen zu. Saldern machte wohl eiu paarmal den Versuch, eine Unterhaltung in Fluß zu bringen, und Helene antwortete ihm in ihrer sanften, freundlichen Weise; aber seine Gedanken waren offenbar bei ganz anderen Dingen als bei dem, wovon er sprach. Er verlor oft mitten im Satz den Faden oder hielt zerstreut in einer eben begonnenen Bemerkung inne, mit leerem Blick den Stuhl anstarrend, auf dem Ada Robin vorhin gesessen hatte. Aller drei Personen mußte sich zuletzt die peinliche Empfindung bemächtigen, daß sie sich Zwang antalen, um den Pflichten der Höflichkeit zu genügen, und es war für jede von ihnen eine Erleichterung, als Saldern sich verabschiedete. Wohl küßte er seine Braut auch heute zärtlich, aber es war dabei in seinen eigent ümlich glänzenden Augen^.etwas,^Seltsames, Fremdes, als Me er tn Wirtlichkeit nicht sie, sondern eine andere, die von all seinem Sinnen und Denken mit unumschränkter Gewalt Besitz ergriffen hatte. „Sie ist ein himmlisches Wesen — diese Amerikanerin," sagte Frau Boretius, als sie sich mit ihrer Tochter in das Schlafzimmer zu rückzog. „Ich glaube, kein Mensch könnte ihr widerstehen." „Ja, Mutter, das glaube auch ich," er widerte Helene, ohne daß der Klang ihrer weichen Stimme trauriger gewesen wäre als sonst. Aber sie sprach nichts weiter und lag noch immer nnt offenen, tränenfeuchten Augen da, als die Mutter längst in das Reich der Träume hinübergeschlummert war. 3. Kapitel. Das Verhältnis zwischen der jungen Amerikanerin und ihren Wirten schien sich während der beiden nächsten Tage immer herz licher zu gestalten. Wenigstens betrachtete sich Fräulein Robin unverkennbar ganz als zur Familie gehörig, und Frau Boretius versicherte immer wieder, daß sie sich uni zehn Jahre verjüngt fühle, seitdem der verkörperte Froh sinn in der Gestalt dieses beweglichen, leben sprühenden Geschöpfchens seinen Einzug in ihr stilles Hans gehalten. Ja, sie fing bereits an, ihrer Tochter Vorwürfe darüber zu machen, daß sie das liebenswürdige Entgegenkommen Adas nicht mit der rechten Wärme zu erwidern wisse. „Sie hat ganz recht, wenn sie dich mit deiner Schweigsamkeit und mit deinem ge drückten Wesen neckt. Das ist wahrhaftig nicht die richtige Art für ein Mädchen, sich begehrenswert zu machen." Helene ließ diese und ähnliche Vorwürfe über sich ergehen, ohne auch nur ein Wort zu erwidern. Aber sie tat auch nichts, um die Unzufriedenheit ihrer Mutter durch eine Ver änderung in ihrem Benehmen zu beseitigen. Ruhig und freundlich wie immer ging sie ihren häuslichen Arbeiten nach, und wenn ihr Ver lobter erschien, begrüßte ihn immer dasselbe sanfte, blasse Gesicht, in dem die von jahre langem Herzeleid eingezeichneten Linien ver schwiegenen Harms nur vielleicht um ein weniges schärfer hervortraten als sonst. Die Anforderungen, welche der Dienst an Bruno stellte, schienen gerade in diesen Tagen erheblich geringer zu sein; denn während er sonst höchstens dreimal in der Woche ge kommen ivar, hatte er sich seit seinem ersten Zusammentreffen mit Ada Robin allabendlich eingefunden. Und er hatte bereits Gelegenheit gehabt, ihr allerlei kleine Gefälligkeiten und Ritterdienste zu erweisen. Auf ihren Wunsch hatte er selbst die vorgeschriebene Anmeldung bei der Polizeibehörde besorgt, und aus den Legitimationspapieren, die sie ihm zu diesem Zwecke übergeben, hatte er ersehen, daß sie wirk lich erst zwanzig Jahre alt und die Tochter eines Arztes in St. Louis war. Am dritten Abend hatte er ihr sodann einige Noten mit gebracht, um deren Beschaffung sie ihn ersucht hatte, und er war dafür durch einige neue Gesangsvorträge belohnt worden, die allem Anschein nach einen noch tieferen Eindruck auf ihu gemacht hatten als die ersten. So vertraulich halte sich der Verkehr zwischen ihnen bereits gestaltet, daß Saldern es wagen konnte, sie zn der Teilnahme an einer Festlichkeit einzuladen, die er demnächst mit seiner Brant zn besuchen gedachte. Es handelte sich um das Stiftungsfest eines Vereins, das durch einen großen Ball begangen werden sollte. Frau Boretius, die in übergroßer Pietät seit dem Tode ihres Gatten an keinerlei öffent lichen Vergnügungen mehr teilnahm, wollte den betreffenden Abend bei einer Bekannten zubringen/ da sie nach ihrer Ueberzeugung Helene unbedenklich dem Schutze ihres Ver lobten anvertrauen konnte. Ten Mut, auch Ada einzuladen, hatte Saldern aus einer ge legentlich hingeworsenen Aeußerung der Ameri kanerin geschöpft, und der freudige Eifer, mit dem sie sogleich auf die Sache einging, hatte ihn unverkennbar beglückt. Fräulein Robin schien seitdem überhaupt an nichts anderes mehr zn denken als an den bevorstehenden Ball. Aber sie dachte dabei nicht allein an sich selbst, sondern noch mehr an Helene, für deren vorteilhafte Erscheinung auf dem Feste sie die lebhafteste Teilnahme bekundete. Auf ihr ungestümes Drängen hatte das junge Mädchen das einfache Kleid ablegen müssen, das sie an jenem Abend zn tragen gedachte, und mit größter Bestimmtheit hatte Ada sogleich erklärt, daß sie in diesem ab scheulichen Kostüm unter keinen Umständen gehen dürfe. „Aber es wird unmöglich sein, in der kurzen Zeit ein anderes sansertigcn zu lassen," waudte Bruno zögernd ein, obwohl er Adas Meinung vollkommen teilte und das Kleid, das ihm seltsamerweise bei einigen früheren Gelegenheiten recht gut gefallen hatte, ebenfalls ganz unmöglich fand. Doch Ada machte in ihrer schlagfertigen Weise allen Bedenklichkeiten rasch ein Ende. „Nein, dazu wäre es freilich zu spät," er klärte sie, „uud es würde auch vielleicht nichts dabei herauskommen, denn ich sehe ja an den Damen, die mir ans der Straße begegnen, daß man hier nicht zu arbeiten sversteht. Aber ich habe mir ein paar neue Ballkleider aus Amerika mitgebracht, und das eine oder das andere wird wohl für Helene passen. Eine kleine Aenderung, die sich vielleicht als notwendig erweisen könnte, ist rasch bewirkt, und wenn wir keine Schneiderin finden, die gcs i -l
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