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Politische Rundschau. Deutschland. Die Eröffnung des preußischen Landtages durch den Kaiser und König im Weißen Saale des Berliner Schlosses vollzog sich äußerlich in den bekannten Formen. Die Mitglieder beider Häuser des Landtags ver sammelten sich nach voraufgegangenem evan gelischen und katholischen Gottesdienste gegen 12 Uhr so zahlreich, wie kaum je vorher, in dem Weißen Saale. Die meisten erschienen im Frack, mit mehr oder weniger Orden ge schmückt, viele jedoch auch in Uniform oder der Galauniform hoher Beamten. Die So zialdemokraten fehlten. Auch die Logen des festlichen Saales waren gut besetzt. In der großen Loge hatte die Kaiserin mit der Prin zessin Viktoria Luise Platz genommen. We nige Minuten nach 12 Uhr, nachdem die Schloßgardekompagnie an den Längsseiten' Ausstellung genommen hatte, erschienen die preußischen Staatsminister mit Ausnahme des erkrankten Kultusministers Dr- Holle, paarweise, geführt vom Fürsten Bülow, der die Uniform seiner Bonner Husaren trug. Mit großem Vortritt der Hofchargen nahte der Kaiser und König in der Uniform dein Garde du Korps. Ihm folgten der Kron prinz und die andern in Berlin anwesenden! Prinzen des königlichen Hauses. Unter dem! vom Präsidenten des Herrenhauses ausge brachten Hoch stieg der Monarch die Stufen des Thrones hinan, r er Kronprinz stellte sich rechts, die anderen Prinzen links vom Thron auf. Fürst Bülow überreichte dem Kaiser die Thronrede. Von der mit kräftiger Stimme verlesenen Thronrede hob der Kaiser wiederholt Stellen mit größerem Nachdruck hervor, so diejenigen vom Wahlrecht und der Finanzlage Preußens. Lauter Beifall der Anwesenden begleitete die auf die Balkanlage bezügliche Stelle der Thronrede. Nach deren Schluß verließ der Kaiser unter dem vom Präsidenten des Abgeordnetenhauses ausge- brachteu Hoch den Saal. Damit war die Feier zu Ende. — Die erste Sitzung des Abgeordnetenhauses erfreute sich eines unge wöhnlich starken Besuches. Im Sitzungssaal war kaum ein leerer Platz. Ueberfüllung herrschte auf den Tribünen. Es waren vor nehmlich Beamte, die aus dem Munde des Finanzministers erfahren wollten, um wie viel günstiger sich ihre Lage fortan gestalten solle. Viele Beamten hatten ihre Frauen mitgebracht, die ja an der Gehaltsfrage kein geringeres Interesse besitzen als ihre Männer- — Die Blätter weisen ohne Ausnahme auf den von der Mehrzahl der früheren abwei chenden Ton der gegenwärtigen Thronrede hin, die keineswegs eine rein geschäftsmäßige Aneinanderreihung der Vorlagen des Ta gungsabschnittes darstellt. Die liberalen Blätter verzeichnen mit Genugtuung die an erster Stelle der Thronrede gegebene Ver sicherung über die organische Weiterentwicke lung des Landtagswahlrechts. Einige be- dauern allerdings, daß diese Reform für un gewisse Zeit in Aussicht gestellt ist und er- Mren, Fürst Bülow werde sehr bald auf eine Wahlrechts-Interpellation im Hause Ge naueres sagen müssen. Einige konservative Blätter bedauern die Berührung der Wahl frage. — Der Finanzminister v- Nheinbabeu in Wien und Berlin um Entschuldigung ge- Frankrrich. Der Sturz des Marineministers Thomp- lich will man die Zensiten mit 7000 bis 30000 M. etwas mehr belasten, die Ver- im argen. Von der obersten Stelle bis zu den niedrigsten Dienstzweigen herrscht über brachte die neuen Besoldungsvorlagen für die Beamten, Lehrer und Geistlichen ein, aber auch die neuen Steuervorlagen. Die Neu regelung des Wohnungsgeldzuschusses kann nach seiner Mitteilung erst bekannt gegeben werden, wenn das Reich sich entschieden hat. Das soll bald geschehen. Der Minister rech nete den einzelnen Beamtenklassen vor, um wieviel sie mehr erhalten; die Unterbeamten z. B. 200 bis 500 Mark, und vielfach kam Abmachungen anerkennen. Die Anerkennung! der bulgarischen Regierung soll ebenso sicher in Aussicht stehen. Dann wäre also nur noch die Einigung zwischen der Türkei und Oesterreich-Ungarn wegen der Annektion Bosniens und der Herzegowina herbeizu führen, und die wird doch zu erreichen sein. Auch in Serbien ist der Kriegslärm ver stummt. Die serbische Negierung hat wegen der im Lande begangenen Ausschreitungen ein bis drei Stufen ermäßigt Die Ge- meinde-Einkommensteuer-Freihcit wird für die neu anzustellenden Beamten abgeschafft. Un ter dem Eindruck dieser gewichtigen Mittei lungen wurde das Haus bis Montag vertagt. Die Umwälzung auf dem Balkan. Engländern und Franzosen kommt es doch schwer an. daß ihre geheimsten Pläne, die Türkei auf einer internationalen Konfe renz gehörig zu rupfen, ins Wasser geplumpst sind, und daß die Türkei sich mit Oesterreich- Ungarn wie mit Bulgarien ohne gütige Ver mittelung Dritter schiedlich und friedlich aus- einanderzusctzen gedenkt. Ihren Unmut ent laden Londoner und Pariser Blätter in klei neren oder größeren Bosheiten gegen die Türkei und natürlich gegen Deutschland- Sie schimpfen auf den deutschen Notschalter in Konstantinopel und fabeln von der Wieder aufhebung der Verfassung. Die Bemerkung der preußischen Thron rede, daß die Vorgänge auf dem Balkan ernste Beachtung erforderten, wird von eini gen Seiten so ausgelegt, als bestände auch heue noch Kriegsgefahr. Diese Auffassung ist zu düster. Augenblicklich weht friedlicher Wind, und es liegt kein Grund zu der An nahme vor, daß sich die Türkei mit ihren Gegnern nicht ohne fremde Einmischung sollten einigen können. Von Erörterungen über das Konferenz- Programm ist es ziemlich still geworden. Der neuerliche Aufenthalt des russischen Mi nisters des Auswärtigen Iswolski in Paris vollzieht sich wesentlich geräuschloser als der in London. Wenn Iswolski auch in Berlin gewesen sein wird, tritt hoffentlich die er wünschte Klärung der Lage ein. Mit Bulgarien führt die Türkei keine offiziellen Verhandlungen. Dafür ist zwischen den Delegierten des jungtttrkischen Zentral komitees und des bulgarischen Bundeskomi tees in Sofia eine vollkommene Verständi gung über die schwebenden Streitfragen er zielt worden. Die Jungtürken erklärten, ihre Regierung werde die in Sofia getroffenen all Zerfahrenheit. Die ganze Verwaltung unserer Seemacht ist verwahrlost. Die dem geschiedenen Minister nahestehen den Blätter bezeichnen ihn als das Opfer seiner Vorgänger. Alle diese Aeußerungen werfen doch ein recht böles Licht auf die Verhältnisse der französischen Marinever waltung. Mögenssteuer mäßig erhöhen und die Ge ell- son wurde vornehmlich durch folgende Stelle schaftsgewinne mit 2 bis 7 2/5 Prozent be- > der Rede Delcassees in der Deputiertenkam- steuern. Andererseits werden Familienväter - mer herbeigeführt: Unsere ganze Marine liegt mit einem Einkommen von 3000 Mark um im araen. Von der obersten Stelle bis zu TeNchtzbsNe. Ein reich-gerichtliches Nachspiel zum Hau- Prozeß. Die Revision im Herzog-Molitor-Pro zeß wird am 12. November dieses Jahres den ersten Strafsenat des Reichsgericht in Leipzig zu beschäftigen haben. Wie noch erinnerlich sein dürfte, war Redakteur Herzog wegen Beleidigung des Fräulein Olga Molitor von der Strafkam mer in Karlsruhe zu einer längeren Gefängnis strafe verurteilt worden, nachdem er auf einen seitens der klägerischen Partei gestellten Vergleich nicht eingegangen war. Ein falscher Schularzt wurde von der Ham burger Strafkammer zu sechs Jahren Zuchthaus und 8 Jahren Ehrverlust verurteilt. Der Schul dige ist ein junger Landarbeiter, der in zahlreichen Wohnungen erschien, sich den Müttern als Schul arzt vorstellts und angab, die Mädchen unter suchen zu Müssen. Er verübte hierbei Sittlich keits-Attentate. Streikkrawalle vor Gericht. Wegen Teilnahme an den Streikkrawallen, die im März in Wolgast in Pommern stattfanden, haben sich seit Dienstag 23 Angeklagte, darunter zwei Frauen, vor der Strafkammer in Greifswald zu verantworten. Rußland. Nach Mitteilungen aus diplomatischen Kreisen kündigte das Handschreiben des Za ren, das Minister Iswolski in Racconigi überreichte, eine neuerliche Verschiebung der italienischen Reise des Zaren an. Gegen den Minister des Auswärtigen Iswolski ist in Rußland eine große Hetze ein geleitet worden, weil der Minister es nicht verstand, die russischen Wünsche nach Frei gabe der Dardanellen durchzusetzen. Und gut war es doch, daß es nicht geschah. aus den Reihen der Abgeordneten ein Bravo!, in Wien und Berlin um Entschuldigung ge- Es fehlte aber auch nicht au Widerspruch! beten, und namentlich wegen der ungerecht- und Bewegung, so bei der in Aussicht ge-Fertigten Verhaftung des deutschen Militär stellten Neuregelung der Lehrergehälter (Be- attachees, der für einen österreichischen Spion rücksichtigung lokaler Verhältnisse) und beff gehalten worden war, Genugtuung gegeben, der Mitteilung, daß die polnische Geistlichkeit j Der serbische Minister des Aeußeren weilt nur von Fall zu Fall berücksichtigt werden, in Berlin und hatte dort eine Unterredung soll. Mehrausgaben sind 200 Mill. M. er-! mit dem Staatssekretär von Schön. forderlich und der Voranschlag für 1908! Das bulgarische Parlament tritt am 28. bleibt um 126 Mill M- zurück. Trotzdem d- Mts. zu seiner ordentlichen Tagung zu sollen nur zur Deckung von 55 Mill, neue sammen. Auch das ist ein beruhigendes Steuerquellen erschlossen werden. Nament- Symptom. Die Krawalle, die Folge eines Ausstandes bei der Zementfabrik und Heranziehung von Arbeits willigen, arteten derart aus, daß Militär herbei gerufen und, da dieses mit Steinen beworfen wurde, der kleine Belagerungszustand verhängt werden mußte. Ei« aufregender Prozeß begann dieser Tage vor der Strafkammer in Saarbrücken. Wegen Durchstechereien zum Schaden der Staatskasse sind etwa 50 Bergleute und Steiger der staat lichen Grube „Reden" angeklagt. Weitere Prozesse stehen noch bevor. Wegen Brudermordes wurde ein 15-jähriger Besitzersohn von der Strafkammer in Allenstein in Ostpreußen zu 6 Monaten Gefängnis ver urteilt. Er hatte seinen 2 Jahre älteren Bruder im Streit getötet. Sparsamkeit und Einfachheit. Von Georg Paulsen. (Nachdruck verboten.) Es ist eine ganz verfluchte Geschichte: Sparsamkeit und Einfachheit werden gepre digt fürs Reich, für die einzelnen Bundes staaten, für die Städte, fürs einzelne Jndi- vidium; aber mache erst einer einmal vor, wie das in allen Details verwirklicht werden soll? Wir wollen heraus aus der großen Finanz-Misere, aber es scheint leider, als steckten wir noch tiefer in den kostspieligen Gewohnheiten, als in der Geldnot. Sprinae mal einer aus seiner eigenen Haut heraus; es wird ihm wohl verzweifelt schlecht ge lingen ! Nehmen wir kurzer Hand schlagende Be weise sür die kollossalen Veränderungen im Laufe der letzten Jahre und wir werden se hen, daß die Rückkehr zu der alten Einfach heit leichter empfohlen, wie beschritten werden kann. Das Reichstagsgebäude in Berlin kostet seine runden 20 Millionen, und es gab seinerzeit ein Rufen: Herrgott, so viel Geld! Es gibt aber Warenhäuser in Berlin, die mehr, und Hotels, die fast so viel kosten- Nun sage man mal: Einfachheit! Aber das Reich kann doch nicht armseliger bauen, wie Privatleute. Uud so ist's im Verhältnis überall: Kann eine Stadt sich von einem Geschäftshaus seinen Rathausbau verdunkeln lassen, wird sie z. B. ein Bahnhofs- oder Postgebäude von dem simpelsten Aussehen willkommen heißen, zumal sie weiß, daß die lieben Nächsten sofort mit Nasenrümpfen und Kritisieren beginnen werden? Wir sagen heute oft, in Gasthöfen, Re staurants usw- könnte manches einfacher sein. Ja, wir dürfen nur nicht vergessen, daß die Anstrengungen solcher Geschäfte, einen ge wissen Luxus und Prunk zu entfalten, doch immer aus dem Drängen des Publikums hervorgehen. Geschieht zu wenig, kommt das Korps der Zeitgenossen und findet eine „ko lossale Rückständigkeit". Es müßte wenigstens ein „bißchen" pomphafter sein. Aber in die sem „bißchen" liegt eben die Verteuerung; immer ist's nur etwas mehr als bisher, aber das Ganze macht das Ilene, Moderne, den Luxus, und das gerade Gegenteil der alten Einfachheit. Vor fünfzig Jahren wußte man im Bür gerstande nichts von Salon und Speisezimmer, war selbst Sonntags mit einem einzigen kräf tigen Gericht zufrieden und dünkte sich ein wohlhabender Mann, wenn man fünfhundert, ein reicher, wenn man tausend Taler festes Um des Kindes Gluck. Novelle von Fritz Gantzer. (Nachdruck verboten.) Mutlos, mit dem niederschlagenden Ge fühl der Aussichtslosigkeit, trat er an den vom Vater ererbten, alten Schreibtisch. Mechanisch, ohne zn wissen, was er tat, öffnete er eine der vielen Schubladen. Alte vergilbte Papiere, — Mannskripte, Briefe — quollen ihm, bunt durcheinander gewürfelt, entgegen. Er nahm eins nach dein andern in die Hand und schaute gedankenlos, flüchtig über die krausen, schnörkligen Schrift züge des Vaters. — Schorr wollte er aller wieder in das Schubfach zürücklegen und das selbe wieder schließen, als sein Auge plötzlich auf einem augenscheinlich von Frauenhand beschriebenem Briefblatt haften blieb. Kleine, einfache Buchstaben reihten sich Zeile an Zeile. Vielleicht ein Brief der Mutter! Er griff nach dem vergilbten Briefblatt und sah interessant nach der Unterschrift. — — Wie? Spiegelte ihm seine Phantasie ein Trugbild vor die Seele? War es denn möglich?? Ja, da stand klar und deutlich der Name des Wesens, das sein ganzes Sein erfüllte Dora Karstens. — Minutenlang verharrte er regungslos, das Auge starr aus dcu geliebten Namen gerichtet. Dann entschloß er sich, den Brief zu lesen. Er empfand instinktiv, daß diese Zeilen ihm alles enthüllen mußten, daß sie ihm dcu Schlüssel boten zu dem, was er zu wissen begehrte. Und er las den Brief nicht, nein er ver schlang den Inhalt mit hungriger, nach Auf schluß uud Klärung dürstender Seele. Und diese wurde ihm! Als er die letzte Zeile des Briefes uver- flogen, ließ er die Hand, die den Brief hielt, müde und resigiriert sinken. Nun wußte er alles! Nun bedurfte es keines Forschens, keines Suchens mehr! Jetzt war es ihm klar, weshalb ihm Karstens mit haßerfüllter Stimme die Schwelle seines Hauses nicht zu überschreiten gestattet hatte, weshalb ihm die Tochter ihre Liebe nicht zu schenken vermochte. Oder nicht durfte? — ? Der Brief, den er soeben gelesen, war der, den Erich Karstens Schwester seinem Vater geschrieben und in welchem sie ihm sein Wort zurückgab. Tiefstes Seelenweh spiegelte sich in jeder Zeile, tiefer Schmerz klang aus jedem Worte! Hin und wieder hatten die Spuren heißer Tränen die Schrift verlöscht. Man merkte es jeder Zeile an, daß eure tief Elende dem toten Papier ihren Gram anvertrant hatte. — Schweratmend bedeckte Dornberg seine Augen mit der Hand. — Ob ihm dieses alte Schubfach nicht noch genauere Einsicht bot? i Hastig suchte er weiter, uud da faud er ! dann endlich ganz unten, zusammengeknüllt, verstaubt, die Schrift fast unleserlich, einen ! querdurchsetzten Bogen und auf ihm, von der Hand seines Vaters geschrieben, folgende Worte: „Ich bin ein alter Mann geworden. Wenige Jahre, ja vielleicht nur uoch wenige Tage trennen mich von dein Grabe. Da' schweifen meine Blicke zurück in die Ver- ! gangcnhcit und ich werde wieder an meine i Verfehlung aus der Jugendzeit erinnert. Ich komme zu Ihnen, Herr Doktor, als ein Büßender, schwer und bitter Bereuender. j Es ist heute nicht mehr möglich, das Schwere, ; das ich gesündigt, wieder gut zu macheu. ! Ihre Schwester, der ich.durch falsche.Schwüre -! das Herz gebrochen und die nnn schon lange unter der Erde ruht, kann ich nicht wieder erwecken. Aber eins kann ich noch! Und so nahe ich mich Ihnen, dem Bruder der Toten und flehe Sie an: Verzeihen Sie mir jene Schändlichkeit, lassen Sie mich wenigstens mit der Gewißheit einst die Neigen schließen, daß " Hier brach der Brief plötzlich ab. — Aber es bedurfte auch nicht der Vollendung; dem Lesenden hatte schon dieses Bruchstück alles gesagt. Ein grelles Licht der Erkenntnis war ihm entzündet. — Ob Karstens je erfahren, daß der Vater seine Verzeihung erflehen wollte oder ob dieser die Nutzlosigkeit seiner Bemühuugen geahnt, ehe er ihn darum gebeten?? — In dieser Stunde begrub auch Fritz Torn berg feine Liebe. — Und durch seinen zerschlagenen Sinn nnd durch seine zermarterte Seele zog das Wort der Schrift: „Der die Sünde der Väter heim sucht au den Kindern." — Und dann redete er im Selbstgespräch: „Nein, alter Mann, dir verdenke ich's nicht mehr, daß dn mir nicht gestattet, deine Schwelle zu überschreiten. Und dir, Tora, fühle ich es nach, daß du mir dein Herz uicht zu schenken vermochtest. Und ich, der Sohn, will nun büßen für die Sünde und Verfehlung des Vaters. Ent sagen soll mein Los sein bis an das Ende meiner Tage. Dich aber, du Liebe, Gute, möge der Himmel segnen und dir ein sonnenklares, selig Glück bescheiden. Und dir, um die Schwester trauernder Bruder, schenke Gott Ruhe und Frieden und lenke dein Herz, daß es den: bereuenden Vater verzeihe. " ' Draußen schied der Tag! Der Abendwind warf wie im Verstehen und Mitgefühl ein dürres, gelbes Blatt durchs offene Fenster gerade vor die Füße des einsamen Mannes. Und es deuchte diesem, als wäre es ein Abbild seiuer toten, hoffnungslosen Liebe. 5. Kapitel. Auf den sonnigen September folgte ein trüber, regnerischer Oktober. Graue Wolken zogen über die Heide und drückten der Land schaft den Stempel der Melancholie auf. Die letzten Wandervögel hatten ihren Flug längst dem sonnigen Süden zugewendet. In dein dürren, verblühten Heidekraut summte keine Biene mehr. — Sommersonnenglück war schlafen gegangen, Herbststimmung und Winterahnen klang aus jedem Windstoß der die grauen Regenwolken vor sich herlricb, atmete aus jedem fallende», dürren Blatt. — Bald würde wieder König Winter mit seinem weißen Mantel über die einsame Heide ziehen. Doch gemach, grimmer Held! Einst muß dem Schnee- und Eisgewand dem jungen Lenze weichen. Auf Winterstürme werden wieder Frühlingstage folgen, Tage voll Veilchenduft uud Lerchcn- snng.- Würde auch dem Herzen Doras ein Auf- ersichnngstag, ein Lcnzesmorgen beschiedcn sein? Würde das unwandelbare Gesetz des Vergehens nnd Werdens, das sich in unab änderlicher Folge jahrein, jahraus in der Natur abspielt, auch auf ihre hoffnungslose Liebe seine Anwendung finden? Dora selbst glaubte nicht daran. Und weil ihr der Glaube fehlte, sank auch das letzte Fünkchen Lebensmut, das ihr das grausame Schicksal gelassen und schmolz dahin, wie die letzten Schneereste am Bergeshang irr der Frühlingssonne.