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Rabenauer Anzeiger : 06.10.1908
- Erscheinungsdatum
- 1908-10-06
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Deutsches Stuhlbaumuseum Rabenau
- Digitalisat
- Deutsches Stuhlbaumuseum Rabenau
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id178001192X-190810069
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id178001192X-19081006
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-178001192X-19081006
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Bestände des Deutschen Stuhlbaumuseums Rabenau
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Rabenauer Anzeiger
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Jahr
1908
-
Monat
1908-10
- Tag 1908-10-06
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Monat
1908-10
-
Jahr
1908
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Politische Rundschau. Deutschland. Unter den Steuervorlagen für die Neichs- finauzreform wird bekanntlich die Erhöhung der Mcrsteuer eine hervorragende Rolle spielen. Die Tatsache, daß diese Steuer gegenwärtig schon einen beträchtlichen Rückgang aufweist, enthält eine ernste Warnung an den Gesetz geber, den Bogen zu Überspannen. — Der amtliche Nachweis des Steuertrages aus dem Bier während der ersten fünf Monate des laufenden Rechnungsjahres läßt aufs deut lichste erkennen, wohin eine weitere Belastung des Bieres führen würde. Trotz der Zu nahme der Bevölkerung ist der Verbrauch so stark zurückgegangen, daß die Brausteuer in diesen fünf Monaten aus der Brausteuerge meinschaft 1 164 000 Mark weniger einge bracht hat, als in derselben Zeit des Jahres 1907. Das bedeutet einen Rückgang um nicht weniger als 6,4 Prozent. Fürst Bülow hat sämtlichen preußischen Ministern wie den Staatssekretären eine von dem Abgeordneten Freiherrn von Gamp nach Rücksprache mit den Führern der Blockpar teien ansgearbeitete Denkschrift über Erspa rungen zngehen lassen. In dem Begleit schreiben des Kanzlers, das eingehende Vor schläge erbittet und eine gemeinsame kom missarische Schlußberatttng der verschiedenen Behörden in Aussicht stellt, bezeichnet Fürst Bülow die Vorschläge des Freiherrn von Gamp als recht beachtenswert. Die Rückkehr zur altpreußischen Sparsamkeit, von der wir uns im Staat, in der Kommune wie in der Privathaushaltnng gleich weit entfernt haben, ist dringend geboten. Es ist nicht angezeigt, in diesem Punkte die Vorschläge der Parla mente abzuwarten, vielmehr ist es Sache der Negierungen und des Reichs, die Initiative zu ergreifen. Die Reform muß eine grund sätzliche sein, soll auf die Dauer Wandel ge schaffen werden. Eine wirkliche Besserung ist nur zu erzielen auf dem Weg einer Moder nisierung der gesamten Staatsverwaltung; cs bedarf einer Dezentralisation und Verein fachung des gesamten Behördenapparats. Für viele Arbeiten wird z. B. bis jetzt die Zeit höherer Beamter in Anspruch genommen, für die Beamte mit geringerer Vorbildung völlig ausreichen. Auch bei der Ausführung öffent licher Arbeiten sollen sich Ersparnisse erzielen lassen. Preußen soll mit gutem Beispiel vor angehen. Die Einschränkung der Koukurrenzklausel, also derjenigen Bestimmung, die Angestellte, welche Geschäftsgeheimnisse eines früheren Prinzipals einem späteren mitteilen, mit Strafe bedroht, wird nach Neujahr den Reichstag beschäftigen. Bis dahin werden die erforderlichen Vorarbeiten beendigt sein. Obwohl der Inhalt des neuen Gesetzes noch nicht vollständig feststeht, so kann es doch als sicher angenommen werden, daß die Klansel eine wesentliche Einschränkung erfahren und ihre Anwendung bei Lehrlingen ganz und gar verboten werden wird- Oesterreich- gar«. Der deutschfeindliche Rummel in Oester reich-Ungarn dauert ungeachtet aller Bemü hungen, eine Beschwichtigung herbeizuführen, fort. Die Czechen sind es namentlich, die keinen Vertrag wollen, die auf alle Einwir kungen der Negierung in Wien pfeifen. Das geschieht trotz aller Erfahrungen, die gemacht sind, und noch bei Lebzeiten des greisen Kaisers Franz Joseph. Wirklich, man könnte dem populären Monarchen ein ewiges Leben wünschen, denn was nachher unter den vielen Nationalitäten in der habsburgischen Monar chie werden soll, das ist gar nicht abzusehen. — König Alfonso und Königin Ena von Spanien, die vor einigen Wochen einen klei nen Ehestands-Zank gehabt hatten, verweilten nach wiederhergestelltem Frieden als Gäste des alten Kaisers in Budapest. München hatten sie schon besucht und nach Dresden und Leipzig werden sie noch kommen. Etwas Nettes, solche Herbst-Tour. Dänemark. Im Reichstag machte der Wortführer der Regierungspartei zur Beseitigung des durch die Betrügereien des Exministers Alberti an gerichteten ökonomischen, moralischen und politischen Schadens verschiedene Vorschläge. Diese bezwecken u. a. die Einsetzung autori sierter Revisoren der Geld-Institute, die Schaffung gesetzlicher Bestimmungen über die Uebernahme von bezahlten Aemtern durch Minister und Abgeordnete, sowie Revision des Preßgesetzes. Der Wortführer der So zialdemokraten -richtete die heftigsten Angriffe gegen die Negierung. Der Wortführer der Radikalen führte aus, es sei unmöglich, daß Mitglieder der jetzigen Negierung dem neuen Ministerium angehören könnten. Rußland. Der jüngste Freundschaftsbund in Europa, der zwischen Italien und Rußland, ist nun mehr durch eine Audienz des russischen Mi nisters des Auswärtigen v. Iswolski beim Könige Victor Emanuel von Italien geweiht worden. Welche politischen Früchte diese Freundschaft, die auch als ein neuer russisch österreichisch-italienischer Dreibund angesprochen wird, auf dem Balkan zeitigen wird, das bleibt abzuwarten. Der Balkanpolitik gilt die allerneueste unter den unübersehbaren En tenten der letzten drei Jahre allein. Natürlich kommt nun auch der Zar nach Italien, um den längst schuldigen Gegenbe such beim Könige Victor Emanuel abzu statten. Der Besuch Nikolaus u. wird jedoch nicht in Rom stattfinden, dort ist es zu un sicher, sondern wahrscheinlich in Venedig. Großbritannien. Mit den Staatsfinanzen geht es infolge der gegenwärtigen ungünstigen wirtschaftlichen Verhältnisse im Königreiche rapide bergab. Der Rückgang der Einnahmen für das mit ultimo September zu Ende gegangene Halb jahr beträgt 88eindrittel Millionen Mark. Das geht der Regierung arg gegen den Strich, da sie nicht weiß, woher sie die Mittel nehmen soll für die vom Parlamente geforderten Alterspensionen und für die Fort führung der Schiffsneubanten. Trotz des ungünstigen Standes der Staatseinnahmen suchen der König und sein Kriegsminister Haldans die Armee zu ver mehren. Der König, indem er neue Orden stiftete, der Minister, indem er Arbeitslose in das Heer aufnimmt. König Eduard, der sich für die Terri torialarmee seines Kriegsministers interessiert, hat ein Mittel gefunden, das dazu bettragen soll, den Zudrang zu der Territorialarmee Vie AovnungsMsorge üez preuzzirchen 5tasles. Zu den Entwürfen, die dem preußischen Landtage in der nächsten Tagung zugehen werden, gehört auch ein Kreditgesetz für die Verbesserung der Wohnungsverhältnisse der unteren Beamten und der Arbeiter im Staats betriebe. Ebenlo wie für das Reich in letzter Zeit regelmäßig in den Etats Summen zur Besserung der Arbeiterwohnungsverhältnisse ausgeworfen sind, sind für den größten deut schen Bundesstaat von Jahr zu Jahr be trächtliche Beträge für den gleichen Zweck durch besondere Kreditgesetze flüssig gemacht worden. Nur in der letzten Tagung hat man davon abgesehen, weil die letzten 15 Mill. Mark so spät in der vorvorigen Tagung bewilligt waren, daß man mit ihnen bis zum Beginn der nächsten Landtagstagung gut auskommen zu können glaubte. Es ist das auch der Fall gewesen. Indessen gehen nun die bis her bewilligten Summen ihrem Ende ent gegen. Da aber die preußische Regierung ebenso wie die anderen Bundesstaaten und wie die des Reichs Wert darauf legt, daß die Lösung des Wohnungsproblems für die unteren Beamten und die Staatsarbetter weiter betrieben wird, werden weitere Kredite gefordert werden. Es ist sogar, da die bis her bewilligten Summen nahezu aufgebraucht sind, ziemlich wahrscheinlich, daß die Kredit vorlage zu den in der ersten Zeit seiner nächsten Tagung dem Landtage Angehenden Entwürfen gehören wird- und das Verlangen der Mitglieder dieser Armee zu erhöhen, sie zu guten Soldaten und damit zu Offizieren ausbilden zu lassen. Der König hat eine Dekoration geschaffen, die dem 25-jährigen Dienstkreuz der preußi schen Armee ähnlich ist. Sie wird jedoch in der Territorialarmee nach 20-jährigem Dienst verliehen. Sie besteht in einem silbernen Eichenkranz, der mit goldenem Bande um wunden ist und in seiner Mitte den könig lichen Namenszug mit der Königskrone trägt. Orient. Hände weg von meiner Eisenbahn! So rufen die Bulgaren vorerst den Türken zu, die energisch die Rückgabe der von den Bul garen okkupierten Orient-Bahn-Linie ver langen; auch die Proteste der Großmächte sind in Sofia bisher ungehört verhallt. Was die Regierung Fürst Ferdinands bisher an Zugeständnissen an die Bahuverwaltung selbst versprochen hat, trifft den eigentlichen Kern der Sache nicht- Niemand darf einem Anderen doch etwas nur deshalb fortnehmen, weil er es gern haben möchte. Passierte die Ge schichte zwischen zwei Großmächten, so wäre sofort der Kriegsfall da. Im vorliegenden Fall wir des bei einigem Säbelrasfein schlimm stenfalls sein Bewenden haben, doch erscheint ein Anfwecken der Großmächte ratsam, da mit nicht unversehens ein Funken ins offene bulgarische und türkische Pulverfaß fliegt. Aus aller Welt. Beim Wasserkochen schwer verbrannt wurde in Nixdorf das 17 jährige Kindermädchen Erne stine Hauck. Sie benutzte zum Wasserkochen eine SpiritusmRchine; der Kocher stürzte dabei um und der brennende Spiritus ergoß sich auf die Kleider des Mädchens. Die Arme stürzte I» ihrer Verzweiflung aus der Wohnung und rann» in ein in demselben Hause befindliches Blumen geschäft. Von dort brachte man sie schleunig» auf die Straße und erstickte die Flammen. MS schwerverbrannte Mädchen wurde nach dem städ tischen Krankenhause gebracht. Der Zustand der Schwerverletzten ist äußerst bedenklich. I« Genua tötete die 25 jährige Tochi" Assunta des verstorbenen Majors Cicchetti ihre" Bräutigam Domenico Genghi, einen Beamten der Navigazione Generale, durch zwei Revolverschüsse- Das Motiv der Tat ist noch nicht festgcstellt. Tod durch Blitzschlag. In Renzfeld da Tondern in Schleswig schlug der Blitz in das Anwesen des Landmannes Paulsen, tötete de» 11jährigen Sohn und verletzte die 91 Jahre a»e Mutter Paulsens, die längere Zeit betäubt uw» Der seit 14 Wochen kranke Besitzer konnte W» knapper Not seine übrigen Kinder retten, mA' rend die bejahrte Mutter von Nachbarn aus des brennenden Hause getragen werden mußte. M ganze Inventar wurde ein Raub der Flamme»- Der Besitz brannte bis auf die Grundmauer» nieder. — Vom Blitz erschlagen wurde auf d» Feldmark Schmarse bei Bomst die 19 jährige Dienstmagd Weimann, die während eines Eff LeriÄttvalle. Wegen unmenschlicher Behandlung ihres 5-jährigen Sohnes und Mißhandlung zum Tode wurde die Arbeiterfrau Krause in Stettin vom Schwurgericht zu vier Jahren Zuchthaus ver urteilt. Die unmenschliche Mutter hat das arme Kind hungern lassen und fortwährend so ge schlagen, daß es häufig blutete und schließlich nach einer Mißhandlung starb. Dann steckte sie die Leiche in einen Salzsack und warf sie in die Oder, wo die Leiche später gefunden wurde. Vierzehn Tage bei Wasser und Brot. Ge gen gewisse renitente Angeklagte, die den Gc- richtssaal zum Schauplatz der wüstesten Szenen zu machen versuchen, wird in letzter Zeit seitens der Gerichte streng vorgegangen. Ein derartiger Fall ereignete sich wieder vor der dritten Straf kammer des Landgerichts I, die unter dem Vor sitz des Landgerichtsdirektors Lieber gegen den Kutscher Hermann Prillwitz wegen Zuhälterei ge genüber seiner Ehefrau und Körperverletzung ver handelte. Im Termin benahm sich der Ange klagte schon von Anfang an unverschämt. Das Gericht verhängte daher eine sofort zu vollstreckende Disziplinarstrafe von einer Woche strengem Arrest bei Wasser und Brot, Entziehung des Nachtlagers und Unterbringung in einer Dunkelzelle. Der Angeklagte rief schließlich dem Vorsitzenden zu, daß die Strafe für ihn garnichts ausmache. Das Gericht beschloß sofort, den Angeklagten i« eine weitere Ordnungsstrafe von noch einer Woche strengem Arrest zu nehmen, die nach Rücksprache mit dem Gefängnisarzte vollstreckt werden soll. In Bischofsburg (Ostpreußen) wurde der Stadtverordnetenvorsteher Fabrikbesitzer P. Drews unter dem Verdacht der Wechselfälfchung ver haftet. Scivc Verheiratung — vergessen Wege» Meineids halte sich ein Arbeiter vor dem Berliner Schwurgericht zu verantworte». Er hatte vor 14 Jahren in der Provinz geheiratet, seine Fra» aber schon nach 5 Wochen verlassen. Das Kind fiel der Armenpflege zur Last. Als der Aufent halt des Vaters durch Zufall ermittelt worden war, sollte er die Pflegekosten zurückerstatten. Er beschwor, nicht der Vater zu sein, überhaupt mit der Mutter nicht verheiratet zu sein. Das Gegen teil wurde rasch festgestcllt. Vor Gericht behaup tete der Mann, seinerzeit im Delirium gewesen zu sein und seine Verheiratung vergessen zu haben. Auf Grund des Gutachtens des medizinischen Sachverständigen wurde der Angeklagte zu eincin Jahr drei Monaten Zuchthaus verurteilt. (Unter den Löwen. Novelle von Gerd Harmstors. (Nachdruck »«Lote«.) Wohl vertraute er sich weder seiner lieben Mutter noch einem anderen lebenden Wesen an, aber er setzte insgeheim Himmel und Erde in Bewegung, um Gewißheit über das Schicksal des uugmcklicheu Mädchens zu erlangen, und jede neue Enttäuschung, die ihm als die einzige Frucht seiner Bemühungen zu teil wurde, um- düsterte sein Gemüt immer mehr. Und als seine Gedanken dann für eine ge wisse Zeit doch andere Richtung gewannen, da war es keine zum Frohen und Beglückten. In folge einer Erkältung, der sie selbst keine Be deutung beizulegen schien, hatte das Leiden seiner Mutter eine verhängnisvolle Wendung ge nommen, und während sie ihren Sohn noch immer lächelnd versicherte, daß sie sich schon der Genesung nahe fühle, bereiteten ihn draußen im Vorzimmer die Aerzte auf den nahen Eintritt der Katastrophe vor. Bald saß er an ihrem Sterbebette und hielt ihre erkaltende Hand in der seinigen, als sie den letzten Atemzug tat. Das Jahr, das ihn des Vaters beraubt hatte, war noch nicht zu Ende, als er auch hinter dem Sarge seiner Mutter einherschveiten mußte. Und in den Wochen, die nun folgten, war der Gedanke an Xenia allerdings so weit zurück getreten, daß er ihr Bild nur zuweilen wie einen Von nebelhafter Ferne verschleierten Schatten vor seiner Seele austauchen sah. Aber er vergaß sie darum nicht und nahm die Nach forschungen, die der Tod seiner Blutter unter brochen hatte, bald von neuem auf. Aber das Geld, das er dafür opferte, war nutzlos verschwendet, und schließlich mußte er wohl erkennen, daß ihm nur noch ein Zufall Auskunft über Xenias Geschick verschaffen konnte. Auch er zweifelte jetzt nicht mehr, daß sie zu Grunde gegangen, daß sie tot sei, denn eine Lebende hätte nicht so spurlos verschwinden, hätte nicht so vollständig jede Fährte hinter sich verwischen können, wie es angesichts der Er gebnislosigkeit aller Nachforschungen der Kom- .teste Saburow gelungen war. So trauerte er denn um den Verlust von allem, was ihm auf Erden wert und teuer ge wesen war, und seine Freunde bemühten sich vergebens, ihn der gefährlichen Melancholie zu entreißen, die mehr und mehr von dem einst so heiteren jungen Manne Besitz ergriff. Nur an gestrengte Berufsarbeit und eifriges wissenschaft liches Studium ersetzten ihm zum Teil, was ihm bei der Flucht vor aller Geselligkeit au beleh- reuder und anregender Zerstreuung fehlte. Einzig im Interesse des Dienstes, nicht um der Zerstreuung willen geschah es denn auch, daß Gaston eines Abends — es waren inzwischen vierzehn Monate seit dem Tode seiner Mutter vergangen — den Zirk-us besuchte. Er mußte seinen nächsten Vorgesetzten durchaus uoch heute sprechen, um ihm Mitteilung von einer soeben eingelaufenen wichtigen Depesche zn machen, und man hatte ihm in der Wohnung des hohen Staatsbeamten gesagt, daß er denselben in einer Loge des Zirkus finden werde. Die Vorstellung näherte sich bereits dem Ende, als der Marquis diese Loge betrat. Er hatte nur einen flüchtigen teilnahmslosen Blick in die Arena geworfen und sich sogleich wieder abgewendet. Es fand eben eine der bekannten aufregenden Dressnrvorführungen im Löwenkäsig statt. Er war niemals ein Freund derartiger uervenreizender Schauspiele gewesen, die sich in erster Linie an die grausamen Instinkte der Menschen wenden, und heute vollends war er am wenigsten in der Stimmung, ihnen Geschmack abzugewinnen. Das gesamte übrige Publikum freilich schien in atemloser Spannung den Vorgängen inner halb der vier Eisengitter zn folgen, hinter denen Gaston die riesenhaften Gestalten von einem halben Dutzend ausgewachsener Löwen unruhig hatte durcheinander rennen sehen. Kanin ein anderer Laut als das Knurren oder gelegentliche Aufbrüllen der gelben Bestien wurde minuten lang in dem gewaltigen, von Menschen über füllten Hause vernehmlich, und selbst der hohe Beamte, der seinen jungen Kollegen mit flüch tigem Händedruck begrüßt hatte, ließ das Opern glas nicht von den Augen, während er seinen hastig geflüsterten Bericht anhörte. „Sehr wohl," sagte er, als Gaston geendet, „ich bin Ihnen außerordentlich verbunden, Herr- Marquis, und ich werde nach der Vorstellung noch einmal ins Ministerium fahren, nm die Angelegenheit unverzüglich zu bearbeiten. Jetzt aber bitte ich Sie, mir zu sagen, ob Sie je in Ihrem Leben etwas gesehen haben, das an Ver wegenheit den Leistungen dieses Mädchens gleich, gekommen wäre. Sollte man nicht meinen, das zierliche Persönchen müßte jeden Augenblick in Stücke gerissen werden?" Nicht, weil seine Teilnahme geweckt war, sondern weil er doch aus Höflichkeit irgend etwas antworten mußte, blickte auch Gaston jetzt in die Arena hinab. Er sah in dem großen, auf sechs Nädern ruhenden Käfigwagen noch dasselbe wilde Durcheinander der anscheinend iebr aufgeregten Löwen, die eben durch einen von der Bändigerin gehaltenen brennenden Reifen springen sollten. Aber er sah von diesem Moment an nicht mehr die schönen, königlichen Tiere, sondern er sah nur noch die feingltedrige weibliche Gestalt mitten unter ihnen. Sie war nicht in Trikot und flitterbesetzte Seidenstoffe gekleidet, wie sonst' die Tier bändigerinnen, sondern sie trug ein eigenartiges, halb frauenhaftes, halb männliches Kostüm, w>e der Marquis' es nicht zum ersteumal in seine!» Leben erblickte. Ein kleines silbergraues Pelzbarett saß keck auf dem dunklen Lockenhaar, und von demselbe» Pclzwerk war auch das knappanschließende Jäckchen und der kurze, kaum bis zn de» Knöcheln reichende Tuchrock umsäumt. Die kleinen Füße aber steckten in hohen, blanke» Stiefeln, deren silberne Sporen zuweilen iw Licht der elektrischen Lampen anfblitzten. Von dem Gesicht der Löwenbändigerin war nicht mehr als das feine rnndliche Kinn dew Publikum sichtbar. Stirn, Nase und Wange» waren hinter einer Larve von grauem Sammel verborgen, aus der nur die duuklcn Augen i» einem seltsamen Feuer hervorblitzten. Unbekümmert um das Erstaunen, daS damit bei seiner nächsten Umgebung Hervorrufe» mußte, war Gaston bis an die Brüstung der Loge vorgetreten und hatte sich weit über sie hinabgeneigt, um mit bleichem Antlitz, in dew sich deutlich erkennbar die furchtbarste Spannung malte, und mit weitgeöffneten Augen auf das Schauspiel da unten hinabzustarren. Nach wähnte er nur, daß ihn eine neue Grausamke» des Schicksals narrte, indem sie ein greifbares, leibhaftiges Ebenbild derjenigen, der fast alle seine kummervollen Gedanken galten, vor ihw erstehen ließ. Noch war es einzig der schmerz liche Zauber der Erinnerung au ein unwieder bringlich verlorenes Glück, dein er sich angcsichw dieser seltsamen Aehnlichkeit hingab, noch lag die Möglichkeit, daß er die Komtesse Xem» Saburow unter den dressierten Löwen eine- Zirkus Wiedersehen könnte, gänzlich außer dew Bereich seines Vvrstcllungsvcrmögens. „ . Da fiel das blendend Helle Strahlenbüudel
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