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12. Juni 1907. Chemische u.metallographische Untersuchungen des Hartgusses. Stahl und Eisen. 837 zurücksteigt, müsse deutlich ein eutektischer Punkt bei der thermischen Analyse wahrgenommen werden. Da nun die eutektischen Temperaturen der beiden Systeme nach den oben angeführten Arbeiten so äußerst wenig differieren, so stand die Möglichkeit offen, daß die beiden Vor gänge (die Aufhebung der Unterkühlung des instabilen Systems und die beendigte Erstarrung des stabilen Systems und die damit verbundene Bildung des Graphits) bei derselben Temperatur einen Haltepunkt erzeugten. Dieser Haltepunkt existiert bei allen Abkühlungskurven unzweifel haft. Die zufällig vereinigte Wirkung der beiden Vorgänge hatte dazu geführt, sie nicht gebührend zu unterscheiden. Es ist ferner auch nicht klar ersichtlich, ob die zur Halte punktsbestimmung verwendeten Proben immer auch metallographisch untersucht wurden, so daß man bezweifeln muß, ob das einer Ab kühlungskurve entsprechende Probestück auch wirklich den Kohlenstoff vorzugsweise als Graphit oder nur als Zementit enthielt. Auch ist zu beachten, daß bei der verhältnismäßig schnellen Erstarrung einer siliziumfreien Roheisenprobe immer nur weißes Roheisen erhalten wird mit geringer Graphitausscheidung, nie typisches graues Eisen. Es schien deshalb nützlich zu sein, da die Versuchsfehler der pyrometrischen Aufnahme der Abkühlungskurven nicht auszuschalten sind, da ferner die bei der Kristallisation einer Roheisen schmelze auftretenden mannigfachen Einflüsse (z. B. der Beimengungen) zu wenig experi mentell erwiesen sind und eigentlich nur all gemeine technische Erfahrungen auf diesem Ge biet Geltung haben, das Verhältnis der beiden Systeme an dem Hartguß zu studieren, bei dem beide Systeme, das instabile: weißes Roheisen, das stabile: graues Eisen, aus derselben Schmelze durch einen höchst eigenartigen Kristallisations prozeß* gewonnen werden. Man muß bei der Kristallisation einer Roh eisenschmelze mit etwa 3 °/o Kohlenstoff gewisser maßen zwei Kristallisationsbahnen unterscheiden. Auf welcher von diesen beiden Kristallisations bahnen die Kristallisation vor sich geht, hängt von der Abkühlungsgeschwindigkeit der Schmelze ab. Bei ganz langsamer Abkühlung entsteht nur graues Roheisen, bei ganz schneller Ab kühlung nur weißes Roheisen. Bei schneller Abkühlung tritt leicht Unter kühlung einer Schmelze ein. So konnten bei der Aufnahme von Abkühlungskurven weißen Roheisens Unterkühlungen von 150° nach gewiesen werden. Unterkühlungen einer Schmelze können durch Keimwirkung aufgehoben werden. Man hat es nun in der Hand, ob man durch * Tammann: »Ueber die Anwendung der ther mischen Analyse«. „Zeitschr. f. anorg. Chemie“ 37 (1903), 303; 45 (1905), 24; 47 (1905), 289. Keime weißen oder grauen Roheisens dieses oder jenes erzeugen will. Bei langsamer Abkühlung können auch Unter kühlungen eintreten. Es zeigt sich aber, daß bei geringen Unterkühlungen bis etwa 40° graues Eisen entsteht. Die Abkühlungsgeschwin digkeit modifiziert also wesentlich den Grad der Unterkühlung und damit die beiden Kristalli sationsbahnen von weißem und grauem Roheisen. Gelangt eine unterkühlte Schmelze zur Kri stallisation, so ist diese unabhängig von zwei Hauptfaktoren: 1. dem spontanen Kristallisations vermögen, 2. der Kristallisationsgeschwindigkeit. Das spontane Kristallisationsvermögen, d. h. die Bildung der Kristallisationszentren ist abhängig von dem Grade der Unterkühlung derart, daß mit wachsender Unterkühlung bis zu einem maxi malen Werte die Anzahl der Kristallisations zentren für die Zeit- und Gewichtseinheit zu nimmt, dann wieder abnimmt. Abbildung 3. Die Kristallisationsgeschwindigkeit ist gleich falls abhängig von dem Grade der Unterkühlung (siehe Abbildung 3). Im Gebiet A kristallisieren flächenreiche Kristalle, im Gebiet B wächst die Kristallisationsgeschwindigkeit auch bei sinkender Temperatur. Da die Flächen eines Kristalls einen verschiedenen Vektor der Kristallisations geschwindigkeit haben, so wachsen die Flächen mit größtem Vektor. Es entstehen daher säulen artige, prismatische Kristallanordnungen. Im Gebiete C ist die Kristallisationsgeschwindigkeit unabhängig von der Temperatur. Diese drei Intervalle müssen nun unterschieden werden, wenn eine Roheisenschmelze von etwa 3 °/o Kohlenstoff, wie sie zum Hartguß verwendet wird, zum Kristallisieren kommt. Die Verhältnisse komplizieren sich indessen noch weiter. Aus einer Roheisenschmelze scheidet sich primär ein Mischkristall aus. Für die Zu sammensetzung eines Mischkristalls, der aus zwei Komponenten a und b bestehen möge, ist das Unterkühlungsintervall, in dem er sich bildet, von Bedeutung. Man hat hier drei Fälle zu unterscheiden. I. Es entsteht auch bei schneller Abkühlung ein Mischkristall, der in seiner Zusammensetzung identisch ist mit dem Mischkristall, der bei langsamer Abkühlung am Schmelzpunkt sich