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17. April 1907. Referate und kleinere Mitteilungen. Stahl und Eisen. 569 überschritten hat. In den folgenden Zeilen sollen die Gründe untersuchen, welche den Niedergang und möglicherweise sogar das praktische Verschwinden dieses klassischen Prozesses der Stahlerzeugung herbeiführen. Schon in Großbritannien hat die Erzeugung an Martinmaterial die an Bessemerstahl weit überholt. Es belief sich für die erste Hälfte des Jahres 1906 die Erzeugung an Martinstahl auf 2 232 000 t, während die an Bessemerstahl nur 934 334 t ausmachte (vergl. S. 565). Die Zahl für Martinstahl bedeutet eine Zunahme dieser Erzeugung von 220 226 t gegenüber dem gleichen Zeitraum des Jahres 1905, während die Bessemerstabl erzeugung eine Abnahme von 101871 t zu verzeichnen hat. Statistiken anderer Länder zeigen, daß diese Ver hältnisse allenthalben ähnlich liegen. Nach unserer Ueberzeugung sind es vornehmlich drei Hauptgründe, die diesen Umschwung hervor bringen, die den einst als die bestmögliche Lösung der Frage der Umwandlung von Roheisen in Stahl angesehenen Prozeß in den Schatten zu stellen drohen. Diese Gründe sind: 1. der immer mehr steigende Mangel an Erzen, die zur Herstellung von geeignetem Roheisen für den Bessemer- oder Thomasprozeß dienen könnten; 2. die Ueberlegenheit des im Martin prozeß hergestellten Materials und 3. die durch mo derne Arbeitsweisen ermöglichte Verbilligung des im Martinofen erzeugten Rohstahls. Der oben genannte sich immer fühlbarer machende Mangel an geeigneten Erzen für den Bessemerprozeß ist von den angeführten Gründen vielleicht der stich haltigste. Die bisher bekannten Lagerstätten von Rot eisenerz in Großbritannien sind nicht sehr umfang reich und beschränken sich fast ausschließlich auf die Westküste. Seit Jahren muß England seinen Haupt bedarf in spanischem Brauneisenstein (von Bilbao) decken, dessen Vorkommen immer geringer und ärmer wird. Gewöhnlich enthält das englische Roheisen, das im Bessemerprozeß weiterverarbeitet werden soll, nicht mehr als 0,04 bis 0,07 0/o Phosphor. Ein Erz, aus dem ein Roheisen erblasen wird mit einem auch nur wenig höherem Phosphorgehalt, als dem genannten, wird allgemein in England und auf dem Kontinent als ungeeignet erachtet zum Erblasen von Bessemer roheisen. Anderseits soll ein für den Thomasprozeß geeignetes Roheisen niedrige Gehalte an Schwefel und Silizium aufweisen neben einem hinreichenden Phos phorgehalte, dem wichtigsten „Brennstoff" des basischen Verfahrens, um den Prozeß durchführen zu können. Es wird daher ein Mindestgehalt von 1,8 0/o Phosphor bei diesem Roheisen als nötig erachtet. Da nun all gemein aus den englischen Erzen ein Roheisen mit diesem Phosphorgehalte nicht erblasen werden kann, so müssen dem Hochofen phosphorhaltige Zuschläge wie Puddelschlacke usw. zugesetzt werden, um dem Roh eisen den erforderlichen Gehalt an Phosphor zu geben. Mit der Schwierigkeit der Beschaffung geeigneter Rohmaterialien für den Bessemerprozeß sind auch die Preise in England entsprechend gestiegen. Einige Zahlen mögen dies näher belegen: Ende 1904 Ende 1905 Preis in •l f. d. Tonne Rubioerz 15,81 Hämatitroheis, a. d. Ostküste 55,14 20,94 72,00 Ende 1906 24,25 83,25 In Deutschland überragt die Erzeugung an Thomasstahl die aller anderen Prozesse bei weitem. So wurden im Jahre 1905 nur 424 196 t in der Bes semerbirne hergestellt, gegenüber einer Erzeugung von 6 203 706 t Thomasstahl. Nur 165 930 t wurden in dieser Zeit im sauren Siemens-Martinofen erzeugt gegen 3 086 590 t basischen Martinmaterials. * * „Stahl und Eisen“ 1906 Nr. 8 S. 490. Die in der Talbotschen Abhandlung gebrachten Zahlen sind teilweise unrichtig angeführt und nicht auf englisches Gewicht umgerechnet. In Nordamerika liegen die Verhältnisse wieder anders. Abgesehen von den Südstaaten und dem nörd lichen Teile des Staates New York sind gegenwärtig in diesem Lande keine Erze verfügbar, die sich zui Herstellung von Roheisen für den Thomasprozeß eignen. Der Bessemerprozeß spielt daher die erste Rolle, und der Wettkampf um die Führung in der Zukunft voll zieht sich zwischen diesem und dem basischen Martin verfahren. Schritt für Schritt erobert sich das letzt genannte Verfahren das Feld, und in der allernächsten Zukunft wird die Erzeugung des Martinverfahrens die des Bessemerprozesses weit überflügeln. Talbot berührt hier die diese Entwicklung beein flussenden Umstände, die von uns schon früher be trachtet worden sind,* so daß wir uns mit diesem Hinweis begnügen können. Ist der Bessemerprozeß nun auch bezüglich der Umwandlungskosten, abgesehen von dem Abbrande, vielleicht das billigste Verfahren, so erfordert er, wie schon oben ausgeführt, ein Roheisen sowohl für den basischen wie für den sauren Betrieb, das immer teurer werden wird. Da nun der Abbrand notwendigerweise stets höher sein muß als bei irgend einem der Martin verfahren, so wird der Uebelstand des teureren Roh eisens noch mehr verschärft: je höher der Einstandspreis des Roheisens, um so größer die Kosten des Abbrandes. Das Ausbringen bei dem Bessemerprozeß kann mit ungefähr 90 bis 92 Teilen Rohstahl auf 100 Teile eingesetztes Roheisen angenommen werden. Dagegen ermöglicht das Martinverfahren bei guter Durchführung ein Ausbringen von mindestens 98 Teilen, das bei dem kontinuierlichen Prozesse durchweg auf 107 bis 108 Teile Rohstahl für 100 Teile eingesetztes Material ge steigert werden kann, wenn Hämatitroheisen ver arbeitet wird. Dieses Mehrausbringen an Rohstahl über den Betrag des eingesetzten Materials kann natür lich nur erreicht werden durch die Reduktion von Eisenoxyd, das dem Bade zugesetzt werden muß. So müßte also theoretisch das Ausbringen um so größer sein, je unreiner das zur Verwendung gelangte Roh eisen ist, da in diesem Falle dem Bade auch ent sprechend mehr Eisenoxyd zu seiner Reinigung hat zugeführt werden müssen. In der Praxis werden un gefähr 22 bis 25 0/o Eisenoxyd, meist in der Form von Walzsinter, dem Bade zugesetzt. Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß die vor kurzem zustande gekommene Uebertragung der Hin sehen Eisenerzkonzessionen an den amerikanischen Stahltrust** im Laufe der Zeit eine fortgesetzte Steigerung der Roheisenpreise in den Vereinigten Staaten hervorrufen wird. Es muß auf die Bedingungen dieses Abkommens etwas näher eingegangen werden. Der genannte Stahltrust erzeugt jetzt etwas weniger als 50 °/o allen Roheisens, das in den Staaten erblasen wird, und ungefähr 60 °/o allen Rohstahls und aller Gußstücke. Soll diese Erzeugung fortgesetzt aufrecht erhalten werden, so müssen dem Truste enorme Eisen erzlagerstätten zur Verfügung stehen. Wenn auch noch nicht annähernd zu übersehen ist, welchen tat sächlichen Betrag an Eisenerz die Hillschen Kon zessionen im Mesabagebiet enthalten, da das Gebiet größtenteils noch unverritzt ist, so liegen in dem Be zirk sicherlich noch sehr große Erzmengen. Der Preis, den der Trust für dieses Erz zu zahlen hat, beträgt, auf einer Basis von 59 0/o Eisen kalkuliert, 6,82 -K f. d. Tonne frei Dock am Oberen See geliefert. Dieser Satz steigt in jedem der folgenden Jahre um 14 © f. d. Tonne.*** Die Mindestforderung soll in diesem * „Stahl und Eisen“ 1907 Nr. 3 S. 111, Nr. 5 S. 185. ** „Iron Age“, 11. Oktober 1906, S. 950 und 953. *** Diese jährliche Erhöhung des Preises um 4 0/o bedeutet einen Gegenwert gegenüber der Verzinsung der im Besitz der Erzfelder festgelegten Kapitalien. Diese Erhöhung ist immer zu bezahlen, bis die Erz felder erschöpft sind.