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KONGRESS-SAAL DEUTSCHES HYGIENE-MUSEUM Sonnabend, 13. Juni 1964, 19.30 Uhr Sonntag, 14. Juni 1964, 19.30 Uhr 3. ZYKLUS-KONZERT MOZART - MAHLER Dirigent: Prof. Heinz Bongartz Solistin: Lore Fischer, München, Alt Städtischer Chor und Kinderchor Dresden Einstudierung: Wolfgang Berger Gustav Mahler 1860-1911 . Kindertotenheder Nun will die Sonn’ so hell aufgeh’n! Nun seh’ ich wohl, warum so dunkle Flammen Wenn dein Mütterlein Oft denk’ ich, sie sind nur ausgegangen! In diesem Wetter Sinfonie Nr. 3 d-Moll 1. Abteilung a) Kräftig, Entschieden — Pause — 2. Abteilung b) Tempo di menuetto c) Scherzo d) Sehr langsam e) Es sungen drei Engel f) Adagio Dr. Dieter Hartwig GUSTAV MAHLER Bildnis einer großen Musiker- ' Persönlichkeit (Schluß) Mahlers bürgerliche Nachfolger auf dem Gebiet der Sinfonik waren viel fach nicht mehr fähig, die wirklich große sinfonische Form zu pflegen. Statt Großes zu sagen in inhalts starken sinfonischen Schöpfungen gelangten sie zu aphoristischen Geist- reicheleien. Der Inhalt der Mahler sehen Sinfonien ist jedoch weiträu mig, vielfältig, und kühn oft ist ihre Sprache. Bruno Walters Erkenntnis ihrer Gültigkeit hat unverändert Bestand: „Mahler, Abenteurer der Seele, hinterließ auch ein dem Ele ment abgerungenes Neuland in der Musik. Doch 'es entsteht die Frage, wie weit das Gewagte, das Abenteu bedeutet; das. nur Gesagte, vorwiegend auf Neuheit und Kühnheit gestellt, muß dem schnelleren Veralten erliegen — erst die Verbindung mit tiefe ren und beständigeren Werten kann ihm zu längendauernder Wirkung verhelfen. Daß die Werke 1 der Meister prometheischer Abkunft in die Unsterblichkeit eingingen, verdanken sie ihrem Gehalt an Schöpferkraft, Gefühlstiefe und vor allem an Schönheit, die ihrem Wesen nach unsterb lich ist. und die ihr verbundenen sterblichen Reize des Interessanten vor dem Welken schützt. — Und so liegt der höchste Wert des' Mahlerschen Werkes auch nicht in dem Neuen, das sich darin an interessanten, gewag ten, abenteuerlichen, bizarren Wesenselementen erregend offenbart; son dern daß dieses. Neue mit dem .Schönen, dem Inspirierten, dem Seelen vollen verschmolzen zu Musik geworden ist, daß die Dauerwerte künst lerischer Schöpferkraft und bedeutender Menschlichkeit seinem Schaffen zugrunde liegen, hat ihm bis heute die volle Lebenskraft bewahrt und verbürgt sie für die Zukunft.“ Viele große Komponisten des 20. Jahr hunderts empfingen schöpferische Anregungen aus Mahlers Tonwelt: Janäcek, Bartok, Prokofjew, Schostakowitsch, Eisler. Zitieren wir zum Abschluß unserer Betrachtung nochmals E. H. Meyer: „Mahler wird leben. Nicht nur, daß er zahllose Modeerscheinungen und sensationelle -ismen der vergangenen 50 Jahre, daß er die Eiszeit des Nazifaschismus, während derer er verboten wär, überdauert hat: Er ist eben nicht nur ein End- Stadium höchstentwickelter Kunst einer Epoche, sondern weist in seiner tiefen Menschlichkeit gleichzeitig weit nach vorwärts. Den Menschen heute und hier hat er viel zu sagen, sie werden reicher durch Mahlers Musik. Wir können voraussagen, daß diese in wachsendem Maße als lebendiger Faktor in unser Musikleben eingehen wird. Wenn in Mahlers Werk manchmal von den Verwaisten, Verlorenen und Heimatlosen die Rede war, so dürfen wir ihm verkünden, daß da, wo der Humanismus ist, auch all das viele Humane, Echte und Starke, das er schuf, eine Heimstätte gefunden hat, daß .hier alles das ,warum er ,geschmäht, verhöhnt, ver kannt und totgeschwiegen 1 wurde, aus dem Geistesleben des Menschen für immer verbannt worden ist.“